Salzburg

Erzbischof: „Leid der Juden niemals vergessen“

In Salzburg hat am Sonntag der Dokumentarfilm „Marko Feingold – Ein jüdisches Leben“ Premiere gehabt. „Wir dürfen das Leid der Juden niemals vergessen. Die Mahnung muss bleiben“, sagte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner in einem Grußwort.

Lackner hob die Bedeutung des 2019 im Alter von 106 Jahren verstorbenen Holocaust-Überlebenden hervor. Lackner hatte Feingold bereits an seinem ersten Tag in Salzburg kennen und schätzen gelernt und ihn seither immer wieder getroffen. Er blickte in seinem Grußwort zurück auf den Tag seiner Amtseinführung als neuer Salzburger Erzbischof im Jänner 2014.

Beim Einzug in den Salzburger Dom sei ganz vorne ein Mann vor ihn hingetreten, „von kleiner Gestalt, aber mit einer großen, unaufgeregten und eindrücklichen Präsenz. Er stellte sich vor, reichte mir die Hand – ich weiß es noch wie heute – und fragte mich, ob er mein älterer Bruder sein könne“.

„Banalität des Bösen“

Es sei eine Wunde, wissen zu müssen, „was in unserem Land an unsäglichem Leid unseren Schwestern und Brüdern, dem auserwählten Volk Gottes, angetan wurde“, so der Erzbischof. Diese Wunde bestehe in ihm, seit sein religiöses Interesse erwacht sei. „Was war vorher? Oberflächlichkeit, Desinteresse – mit der jüdischen Philosophin Hannah Arendt gesprochen: die Banalität des Bösen.“

Erbischof Franz Lackner und Marko Feingold 2015
APA/Barbara Gindl
Erzbischof Franz Lackner, und der damals 102-jährige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Marko Feingold, 2015 bei der Integrations-Fußball-WM unter dem Titel „Kicken für ein besseres Zusammenleben in Österreich“

Das Empfinden von Schuld und Trauer über die Shoa habe ihn ihm aber die Sehnsucht nach Begegnung geweckt, betonte Lackner: „Und da steht er nun. In einem Augenblick, als ich unsicheren Schrittes die große Kathedrale betrete: Marko Feingold. Ein Jude, der durch den Schrecken des Holocaust gegangen ist: nicht anklagend, ohne Vorwurf – mir die Hand entgegenstreckend.“

Er danke Marko Feingold von Herzen, so Lackner: „Er hat etwas in mein Leben gebracht, das ich gerne Shalom nennen möchte. Am Ende bleibt zu sagen: Er fehlt, als Mahner, als Freund, als älterer Bruder.“

Film-Porträt eines Zeitzeugen

„Ein Jüdisches Leben“ porträtiert einen der letzten Zeitzeugen des Holocaust. Durch den Film soll Marko Feingolds Geschichte als unvergängliches Dokument erhalten bleiben. Der Dokumentarfilm wirft zudem zeitlose Fragen auf: zur menschlichen Natur, zu Moral, Verantwortung und zur Würde des Menschen. Feingolds Witwe Hanna war bei der Filmpremiere anwesend.

Hinweis

Der Film „Marko Feingold – Ein jüdisches Leben“ startet am 1. Oktober in den heimischen Kinos.

Sie hat nach dem Tod ihres Ehemannes die Präsidentschaft in der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg übernommen. Hanna Feingold (und ihrem Mann) ist auch ein kürzlich erschienener Podcast der Reihe „Auf Brot und Wein“ der Erzdiözese Salzburg gewidmet.

Überlebender mehrerer KZ

Marko Feingold wurde am 28. Mai 1913 in Banska Bystrica in der heutigen Slowakei geboren. Er wuchs als eines von vier Kindern in Wien auf, wo er eine kaufmännische Lehre machte. Kurz vor der Machtübernahme Dollfuß’ wurde er arbeitslos und ging 1933 mit seinem Bruder Ernst nach Italien. Im Februar 1938 kamen sie zurück nach Wien, um ihre Pässe verlängern zu lassen. Doch sie verpassten die Verlängerungsfrist.

Im März übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Die Brüder konnten ohne Pass nicht mehr zurück nach Italien. Sie wurden verhaftet, flohen nach Prag, wo sie eine Chance zur Flucht nach England ungenutzt ließen. Im Mai 1939 wurden sie erneut festgenommen und nach gut einem Jahr Gefängnis ins KZ Auschwitz gebracht.

Kritik an Vergangenheitsbewältigung Österreichs

In seinen Lebenserinnerungen „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“ schildert Feingold eindrücklich sein Martyrium im KZ – Erniedrigungen, Gewalt, Krankheiten, Hunger. Nach zweieinhalb Monaten kam er mit einem Transport für arbeitsfähige Häftlinge ins KZ Neuengamme in Deutschland, weitere Schreckensstationen waren Dachau und Buchenwald, wo er bis zur Befreiung interniert war. Feingolds Geschwister kamen allesamt ums Leben. Er ließ sich 1945 in Salzburg nieder, wo er seither wohnte.

Später kritisierte er oft, dass sich Österreich nie ehrlich seiner NS-Vergangenheit gestellt habe. Noch immer glaubten viele an den Mythos vom ersten überfallenen Land. Es fehle an Aufklärung, auch der Antisemitismus habe nach 1945 wieder zugenommen. Zu spät für eine Aufarbeitung sei es aber nie.

Nie zu spät für Aufarbeitung

Feingold selbst trug dazu bei durch seine ausgedehnte Vortragstätigkeit, insbesondere als Zeitzeuge in Schulen und Pfarrgemeinden. Seit 1979 war er Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und betreute – obwohl selbst nicht besonders religiös – auch die Salzburger Synagoge.

Neben seinen zahlreichen Auszeichnungen durch die Republik Österreich und das Land Salzburg wurde Feingold mit dem Kurt-Schubert-Gedächtnispreis und mit dem Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste geehrt. Er starb am 19. September 2019.