Missbrauch

Kirchliche Kinderschutzkonferenz tagt in Polen

Seit Sonntag tagt in Polen eine internationale Konferenz zum Thema Kinderschutz – es geht um sexuellen Missbrauch. Teilnehmer sind Vertreter von Bischofskonferenzen und Experten aus rund 20 Ländern. Der kirchliche Experte für Missbrauchsprävention, Hans Zollner, erhofft sich eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Thema.

Ziel sei, „dass alle in der Kirche Verantwortlichen in diesen Ländern auch wissen, dass sie sich mit dem Thema auch weiterhin auseinandersetzen müssen“, sagte der Jesuit im Interview mit dem Portal Vatican News am Samstag. Zollner ist Leiter des Institutes für Anthropologie – Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen (IADC) an der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom und Mitorganisator der katholischen Konferenz in Polen.

Zollner hatte gegenüber religion.ORF.at für eine Form von „kirchlichen Gefängnissen“ für Missbrauchstäter ins Gespräch gebracht. Dort könnten Täter nach verbüßter Haftstrafe aufgenommen und weiter streng kontrolliert werden, um zu verhindern, dass sie wieder missbrauchen – mehr dazu in Experte: „Kirchliche Gefängnisse“ für Missbrauchstäter.

Unterschiedliche Umsetzung der Leitlinien

Die aktuelle Konferenz begann am Sonntag in Warschau. Das dreitägige Treffen steht unter dem Motto „Unsere gemeinsame Sendung: Die Kinder Gottes schützen“. Die Konferenz finde nicht in Rom, sondern „im größten mitteleuropäischen katholischen Land“ statt, da die Weltkirche auf alle Regionen blicke, betonte Zollner. „Alle Bischofskonferenzen haben mittlerweile die geforderten Leitlinien, aber wie die umgesetzt werden, das ist natürlich sehr unterschiedlich von Land zu Land“, fügte er hinzu.

Auf Einladung der Päpstlichen Kinderschutzkommission nehmen an der noch bis Mittwoch dauernden Konferenz etwa 80 Bischöfe, Ordensleute, Laien sowie Betroffene sexualisierter Gewalt teil. Die Veranstaltung soll dem Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zur Prävention des sexuellen Missbrauchs von Kindern dienen. Die Teilnehmer kommen aus Polen, Albanien, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Rumänien, der Republik Moldau, Bulgarien, Tschechien, der Slowakei, der Ukraine, Russland, Estland, Lettland, Litauen, Belarus, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und dem Kosovo.

Polen schwer von Missbrauchsskandalen getroffen

In Polen selbst sei vor allem seit dem Fall des früheren und wegen Missbrauchs entlassenen Nuntius und Erzbischof Jozef Wesolowski (1948-2015) „eine ziemliche Lawine am Laufen“, so Zollner. Mittlerweile interessiere sich die größere Öffentlichkeit für das Thema und es seien Betroffenenverbände entstanden. Darüber hinaus werde viel gemacht, auch im Bereich Prävention. Und die Polnische Bischofskonferenz stelle sich diesem Thema in „einer durchaus anerkennenswerten Weise“, so Zollner, auch wenn es Widerstände gab.

So seien in den vergangenen zehn Monaten zehn Bischöfe in Polen zurückgetreten. „Da ging es zum Teil um Anschuldigungen von Missbrauch, der von Bischöfen verübt wurde, aber eben auch um Vernachlässigung der Amtspflichten, Vertuschung“, erklärte der Experte. Er wolle mit der Kinderschutzkommission darauf hinwirken, dass in all solchen Fällen auch die Öffentlichkeit über die Hintergründe informiert werde, damit nicht ein Generalverdacht bei Rücktritten entstehe.

Verantwortung: Hoffnung auf weitere Signale

Polens staatliche Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch hatte der Bischofskonferenz am Freitag eine gemeinsame Forschungsgruppe vorgeschlagen. Diese solle die Akten der Diözesen zu abgeschlossenen Fällen analysieren, die den sexuellen Missbrauch von Kindern unter 15 Jahren betreffen.

Angesprochen auf den von Kardinal Reinhard Marx angebotenen und vom Papst abgelehnten Rücktritt wegen des Missbrauchsskandals in der Kirche wiederholte Zollner seine Hoffnung auf weitere Signalwirkung. Er bedauere aber persönlich, dass die Antwort des Papstes so schnell kam. „Weil ich glaube, dass eine heilsame Verunsicherung da durchaus noch hätte wirken können, und dass die Gewissenserforschung von jenen, die in Verantwortung standen und stehen, natürlich auch dazu hätte führen können, dass noch mehr Leute Rechenschaft ablegen“, so Zollner.

Chef der Kommission für mehr Kontrollen

Für den Vorsitzenden der Päpstlichen Kinderschutzkommission, Kardinal Sean Patrick O’Malley, braucht es Kontrollmechanismen in der kirchlichen Missbrauchsprävention. Diese seien nötig, um die Einhaltung der bestehenden Richtlinien zu überprüfen, zitierte das Vatican News aus O’Malleys Vortrag zum Auftakt der Konferenz.

„Schulungen und Hintergrundüberprüfungen für kirchliches Personal sind unerlässlich, ebenso wie die Durchführung von Sicherheitsaudits und die Sicherstellung, dass unsere kanonischen und zivilen Verfahren auf dem neuesten Stand sind und miteinander in Einklang stehen“, führte der Kardinal aus. Bei dem Thema gebe es keinen Raum für Improvisation.

„Ohne Abwehrreflexe stellen“

O’Malley betonte, dass die Kirche sich dem Thema ohne Abwehrreflexe stellen müsse. „Vor allem dort, wo die Kirche lange Zeit einer systematischen Verfolgung ausgesetzt war, kann eine defensive Reaktion auf Missbrauchsvorwürfe oft eine instinktive Reaktion sein“, sagte der Erzbischof von Boston mit Blick auf die Lage in Ost- und Mitteleuropa. Es brauche klare Kommunikations- und Begegnungsmöglichkeiten für Missbrauchsopfer, bekräftigte der Kommissionsvorsitzende und lobten den Mut der Betroffenen, die über ihr Leid sprächen.

Zugleich warnte er davor, ausbleibende Resonanz bei kirchlichen Meldestellen falsch zu deuten. Vielmehr könnte dies daran liegen, dass die eingerichteten Kommunikationskanäle für die Umstände in der Diözese oder im Land ungeeignet seien. Die Aufarbeitung sei ein wechselseitiger Prozess und brauche Zeit.

Papst: „Demütig um Vergebung bitten“

Papst Franziskus hatte in einer Videobotschaft an die Teilnehmer zuvor einen „konkreten Reformweg“ sowie „echte und verlässliche Veränderungen“ beim Kinderschutz angemahnt. „Nur wenn sich die Kirche der Wahrheit über diese grausamen Verhaltensweisen stellt und demütig Opfer und Überlebende von Missbrauch um Vergebung bittet, wird sie einen Weg finden, um wieder ein glaubwürdiger Ort der Aufnahme und des Schutzes für Bedürftige zu werden“, sagte der 84-Jährige. Dabei müsse das Wohl der Opfer im Mittelpunkt stehen und nicht die Sorge um den Ruf der Kirche, betonte Franziskus.

Betroffener: Kirche macht Fortschritte gegen Missbrauch

Der Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Missbrauch hat sich nach Ansicht des Betroffenen Juan Carlos Cruz grundlegend geändert. Dies sei vor allem ein Verdienst von Papst Franziskus, so der in den USA lebende Chilene im Interview mit Vatican News. Cruz äußerte sich anlässlich der Konferenz gegen Missbrauch in Warschau.

Die Zeit, da Betroffene als „Opfer ignoriert oder als Feinde der Kirche“ gesehen wurden, scheine vorbei zu sein. Gleichwohl sei er nach wie vor beunruhigt, so Cruz weiter, „dass es immer noch Bischöfe gibt, die nicht glauben und nicht erkennen, wie dringend das Problem ist“.

„Überlebende brauchen Mut“

Auf die Frage, ob das Thema Missbrauch in Mittel- und Osteuropa schwieriger anzusprechen sei, antwortete er: „Überlebende brauchen überall zusätzlichen Mut, nicht nur in Ost- und Mitteleuropa.“ Für Überlebende von Missbrauch in Uganda etwa, wo Homosexualität unter Strafe steht, sei es noch viel schwieriger. Das Umfeld dort gehe oft fälschlich davon aus, dass Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch wurde, auch homosexuell seien.

An der Konferenz in Warschau nimmt Cruz als Mitglied der Päpstlichen Kinderschutzkommission teil. Papst Franziskus hatte ihn im März in die von US-Kardinal Sean O’Malley geleitete Kommission berufen, um der Perspektive von Betroffenen mehr Gewicht zu geben. Von der Arbeit der Kommissionsmitglieder sei er immer wieder neu beeindruckt, sagte Cruz.