Frankreich

Missbrauchsopfer fordert radikale Veränderungen

Francois Devaux, Gründer der französischen Opfervereinigung „La parole liberee“, fordert tiefreichende Veränderungen in der Kirche. Angesichts der jüngsten Missbrauchsstudie müsse es finanzielle Entschädigungen geben, sagte Devaux der deutschen Zeitung „Welt“ (Dienstag-Ausgabe).

„Wir haben es mit einem Massenverbrechen zu tun, das nicht wiedergutzumachen ist. Entschädigung ist ein erster Schritt, weitere müssen folgen.“ Zuvor hatte sich der Betroffene bereits für den Rücktritt aller französischen Bischöfe ausgesprochen.

Devaux sagte weiter, es brauche „eine Art Revolution“. Die Kirche habe keine andere Wahl, als sich zu reformieren: Sie müsse „fast alles umwerfen, worauf sie aufbaut“. Dies betreffe den Zölibat, aber auch den „Männerkult“, einen Mangel an weiblicher Vertretung sowie „die Abschottung von der Außenwelt, die Führungsstrukturen, das kanonische Recht“.

Nicht allein „unter sich regeln“

Diese Probleme könnten Bischöfe und der Papst nicht allein „unter sich regeln“, mahnte Devaux: „Der systematische Missbrauch ist ein weltweites Problem, weshalb die gesamte katholische Glaubensgemeinschaft gefragt ist.“ Es brauche ein „Gegengewicht“ innerhalb der Institution.

Zugleich sieht der Opfervertreter den Papst gefragt: Franziskus müsse „aufräumen“, so Devaux. Seine Worte seien „leer, wertlos, bedeutungslos, solange der Papst nicht ein radikales Umdenken einleitet und für null Toleranz sorgt“.

„Eine Art Empfindungslosigkeit“

Über die französischen Bischöfe sagte Devaux, sie hätten „alle Bodenhaftung verloren“. Vielen mangele es an Sensibilität: „Manchmal frage ich mich, ob ein Leben ohne Frauen nicht dazu führt, dass sie eine Art Empfindungslosigkeit entwickeln.“

Francois Devaux, Gründer der Opfervereinigung „La parole liberee“, bei der Präsentation des Berichts über sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester und Ordensleute der katholischen Kirche Frankreichs, 5. Oktober 2021
APA/AFP/Thomas Coex
Francois Devaux bei der Vorstellung der Ciase-Studie

Schockiert habe ihn das Verhalten des Vorsitzenden der französischen Bischofskonferenz, Eric de Moulins-Beaufort, der den Bericht vor der öffentlichen Vorstellung gekannt habe. „Alles, was ihm einfiel, war, den Missbrauch innerhalb der Kirche zu relativieren und mit anderen Institutionen zu vergleichen.“

Studie über zahlreiche Missbrauchsfälle

Devaux hatte in der vergangenen Woche selbst als Redner an dem Medientermin teilgenommen, bei dem die Ergebnisse der Unabhängigen Untersuchungskommission zu sexuellem Missbrauch in der Kirche (Ciase), die die französischen Bischöfe im November 2018 in Auftrag gegeben hatten, präsentiert wurden.

Der Untersuchungskommission dankte Devaux dabei für ihre „enorme Arbeit“, während er die Bischofskonferenz mit eindringlichen Worten in die Pflicht nahm. In direkter Ansprache sagte er an die Adresse der Kirchenleitung: „Meine Herren, Sie sind eine Schande für die Menschlichkeit.“

Laut der Ciase-Untersuchung gab es seit 1950 geschätzt 216.000 minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester und Ordensleute in Frankreich. Nimmt man Laien und Kirchenmitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen, Schulen, Pfarren und Katechese hinzu, so kommt die Kommission sogar auf geschätzt 330.000 Opfer – mehr dazu in 330.000 Missbrauchsopfer in katholischer Kirche Frankreichs.

Disput über Beichtgeheimnis

Zu den Forderungen der Untersuchungskommission gehört unter anderem, das priesterliche Beichtgeheimnis in diesem Zusammenhang auf den Prüfstand zu stellen. Das Beichtgeheimnis ist am Dienstagnachmittag auch Thema eines Gesprächs des Bischofskonferenz-Vorsitzenden de Moulins-Beaufort mit dem französischen Innenminister Gerald Darmanin.

Darmanin hatte auf ein Gespräch gedrängt, nachdem de Moulins-Beaufort in der vergangenen Woche in einem Interview auf die Frage, ob das Beichtgeheimnis Vorrang vor französischen Gesetzen habe, sagte, dass das Beichtgeheimnis für alle Priester verpflichtend und damit „stärker als die Gesetze der Republik“ sei. In Frankreich steht die Nichtverfolgung und Nichtanzeige von Straftaten unter Strafe.

Die Bischofskonferenz erklärte, das Treffen mit dem Innenminister sei auch „eine Gelegenheit, daran zu erinnern, dass das allen Priestern vom Kirchenrecht auferlegte Beichtgeheimnis nicht gegen das französische Strafrecht verstößt“. Dies gehe auch aus einem Rundschreiben des Justizministeriums zum Berufsgeheimnis religiöser Amtsträger vom August 2004 hervor.