Hände ältere Frau
Pixabay/Sabine van Erp
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Assistierter Suizid: Kirche mit gemischter Bilanz

Die Regierung hat sich auf eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe in Österreich geeinigt. Wer Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen will, kann ab 2022 eine Sterbeverfügung errichten – ähnlich der Patientenverfügung. Die römisch-katholische Kirche und die Caritas ziehen nach Durchsicht des Gesetzesentwurfs eine gemischte Bilanz.

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler – er ist in der Bischofskonferenz für Lebensschutzfragen zuständig – sagte, er respektiere die Bemühung des Gesetzgebers, eine sensible und verantwortungsvolle Regelung vorzulegen. Schließlich habe es „der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber nicht einfach gemacht, Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen zu erlassen“. Höchst positiv wertete Glettler das deutliche Bekenntnis zur substantiellen Aufstockung der Hospiz- und Palliativversorgung.

„Mit dem flächendeckenden Ausbau der palliativen Medizin und der Hospizversorgung wird eine Kultur menschlicher Begleitung und ein Ja zum Leben, das es vor allem auch am Lebensende braucht, gefördert.“ Die katholische Kirche werde sich weiterhin für „Assistenz zum Leben“ einsetzen und am „klaren Nein zu jeder Form der Beihilfe zur Selbsttötung“ festhalten – „trotz der gesetzlichen Straffreistellung“.

Im Bild: Bischof Hermann Glettler im Interview.
ORF/Metafilm
Bischof Hermann Glettler reagiert mit Lob und Kritik für den Gesetzesentwurf

Anforderung für Ärzte „nicht zumutbar“

Der nun vorliegende Entwurf verfolge aus der Sicht des Bischofs einige wichtige Punkte – etwa den mehrstufigen Beratungsprozess als Schutz vor Irrtum oder übereiltem Handeln. Auch sei zu begrüßen, dass die Beihilfe zum Suizid nicht als ärztliche Leistung eingestuft werde.

Dass jedoch „zusätzlich zur medizinischen Diagnose und palliativmedizinischen Aufklärung die Ärzte auch noch die Frage der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Suizidwilligen zu klären haben, ist eigentlich nicht zumutbar“, so Bischof Glettler. Hier sollte unbedingt noch eine Anpassung erfolgen, sodass die vom Notar zu erstellende Sterbeverfügung in jedem Fall notwendig ist.

Sendungshinweis

„Orientierung“-Studiogespräch zum Thema Sterbehilfe mit dem katholischen Bischof Hermann Glettler, So, 24.10., 12.30 Uhr, ORF2.

Glettler vermisst Suizidprävention

Nach der ersten Durchsicht des Gesetzesentwurfs blieben für die katholische Kirche jedoch noch wesentliche Fragen offen, hielt Glettler fest: „Wo etwa bleibt die verpflichtende Suizidprävention? Wo bleibt die rechtlich erhöhte Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen?“

Nach dem Urteil des VfGH im Vorjahr hätten sich fast alle Parlamentsparteien klar „für ein striktes Verbot der Tötung auf Verlangen“ ausgesprochen. Darauf könnte man aufbauen und eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erhoffen, so Bischof Glettler, doch „der nunmehrige Entwurf erwähnt dies nicht einmal“.

Caritas: „Bekenntnis zu Suizidprävention“

Die Generalsekretärin der Caritas Österreich, Anna Parr, begrüßt das Bekenntnis zu einem weiteren Ausbau von Hospiz- und Palliativdiensten und damit zur „Suizidprävention“ in den kommenden Jahren, wie sie in einer Aussendung am Samstag erklärte. Allerdings brauche es mehr Geld als angekündigt, um das Ausbauziel einer Verdoppelung des Angebots zu erreichen. Parr plädiert dafür, dass „alle Kosten zur Erfüllung“ der Qualitätskriterien abgedeckt werden. Bisher sei der Hospiz- und Palliativbereich vielfach auf Spenden angewiesen gewesen.

Positiv sieht die Caritas auch die Einbindung von Ärztinnen und Ärzten, mit deren Hilfe in einem „mehrstufigen Prozess“ sichergestellt werden soll, dass es sich um einen „freien und selbstbestimmten Willensentschluss“ handelt. Auch das Werbeverbot und das Verbot wirtschaftlicher Vorteile für institutionelle Anbieter begrüßt die katholische Hilfsorganisation ausdrücklich.

Anna Parr Caritas Generalsekretärin
ORF/Marcus Marschalek
Caritas-Generalsekretärin Anna Parr fordert unabhängige Beratung

Unabhängige Beratungsstellen „vermisst“

Vermisst werde im aktuellen Entwurf allerdings die Option unabhängiger Beratungsstellen, so Parr: „Es sind zwar zwei ärztliche Gespräche vorgesehen, jedoch wäre es auch wichtig, dass Betroffene über unabhängige Beratungsstellen zusätzlich die Möglichkeit auf eine neutrale Beratung – insbesondere auch über Alternativen – haben." Man sei in Sorge, dass Beratungen „durch institutionelle Anbieter der Sterbehilfe einseitig erfolgen“ könnten.

Zwar sei im Gesetzesentwurf die Freiwilligkeit der Mitwirkung bzw. ein Benachteiligungsverbot explizit genannt, es brauche aber auch „eine explizite Garantie, dass es weder eine direkte noch eine indirekte Verpflichtung zur Duldung oder Durchführung des assistierten Suizids in Einrichtungen der Pflege, Krankenbehandlung, Hospiz- und Palliativarbeit und anderen Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen geben wird“. Die Caritas werde nicht bei der Selbsttötung assistieren, machte Parr deutlich.

„Psychologisches Gespräch“ gefordert

Stephanie Merckens vom kirchlichen „Institut für Ehe und Familie“ (IEF) bezeichnete den Entwurf als „ambivalent“. Er zeige „ernsthaftes Bemühen“, der Verletzlichkeit von Menschen in Krankheit, Leid und Lebenskrisen gerecht werden zu wollen.

Kritisch bewertete die Leiterin der Abteilung Politik des IEF aber, dass im Zuge der Beratung kein psychologisches Gespräch verpflichtend vorgesehen ist. Es brauche „oft Zeit und mehrere Gespräche", um überhaupt zu erkennen, dass sich hinter einem Todeswunsch eine tiefsitzende Depression versteckt, die behandelbar wäre“, so Merckens mit Verweis auf Expertenmeinungen. „Gerade Altersdepression“ sei ein Phänomen, „dass allzu oft übersehen wird“.

Beihilfe streng limitiert

Der Gesetzesentwurf der Regierung wurde am Samstag vorgestellt. Das neue „Sterbeverfügungsgesetz“ ist notwendig geworden, da der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Verbot des assistierten Suizids in Österreich mit Ende 2021 aufgehoben hat – nicht allerdings das Verbot der aktiven Sterbehilfe.

Mit dem neuen Gesetz, wird nun der Rahmen für die Beihilfe zum Suizid streng limitiert geregelt. Eine „Sterbeverfügung“, mit der man sich zur Möglichkeit des assistierten Suizids entscheidet, kann nur „höchstpersönlich“ vom Betroffenen selbst errichtet werden. Berechtigt dazu ist jede dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Person. Diese muss volljährig und entscheidungsfähig sein. Für Minderjährige ist dieser Weg ausgeschlossen. In Apotheken wird ein letales Präparat erhältlich sein. Begleitend kommt ein Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung.

Aufklärung durch zwei Ärzte

Notwendig, um eine Sterbeverfügung (bei Notaren oder Patientenanwälten) zu errichten, ist die Aufklärung durch zwei Ärzte. Einer davon muss über eine palliative Qualifikation verfügen. Auch die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person muss ärztlich bestätigt werden.

Zweifelt dabei ein Arzt, so muss zusätzlich ein Psychiater oder Psychologe beigezogen werden. Auch ist vor der Errichtung der Verfügung eine Frist von zwölf Wochen einzuhalten. Ziel ist die Überwindung von akuten Krisenphasen. Sollten Personen allerdings nur eine sehr geringe Zeit (etwa wenige Wochen) zu leben haben, dann verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

Präparat muss selbst eingenommen werden

Eine aufrechte Sterbeverfügung berechtigt sterbewillige Personen, ein letales Präparat in einer Apotheke abzuholen. In der Verfügung kann auch eine Person bestimmt werden, die dieses Mittel für den Betroffenen abholt, etwa wenn dieser nicht mobil ist. Auch eine Zustellung durch die Apotheke ist möglich.

Das Präparat (das der Gesundheitsminister per Verordnung festlegt) muss selbstständig zugeführt werden. Sollte man nicht in der Lage sein, das Mittel oral einzunehmen (z. B. bei Schluckproblemen), ist auch eine andere Gabe, etwa über eine Sonde, möglich. Allerdings muss in diesem Fall der Betroffene selbst diese Sonde auslösen.

Andere Formen der Sterbehilfe nicht straffrei

Dieser Punkt der selbstständigen Auslösung ist wichtig, da es dabei um die Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe geht, die weiterhin verboten ist. Betont wurde am Samstag seitens der Regierung, dass niemand verpflichtet ist, Sterbehilfe zu leisten. Auch Apotheker dürfen nicht zur Abgabe des Präparats verpflichtet werden.

Straffrei bleibt Sterbehilfe definitiv nur über den Weg des in den Apotheken künftig erhältlichen Medikaments und über den skizzierten Ablauf, betonten die Regierungsvertreter. Aber auch hier gibt es Einschränkungen: Bei Minderjährigen, aus verwerflichen Gründen (wenn man etwa aus Habgier hilft), bei Personen, die nicht an einer schweren Krankheit leiden sowie wenn keine ärztliche Aufklärung erfolgt, ist auch dieser Weg verboten.

Ausbau von Hospizversorgung

Begleitend zum Sterbeverfügungsgesetz kommt es zu einem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung, den Hilfsorganisationen wie Diakonie und Caritas schon lange fordern. Dazu soll ein eigener Fonds errichtet werden. Ab dem Jahr 2022 stellt der Bund den Ländern jährlich einen Zweckzuschuss zur Verfügung, vorgesehen ist eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden. 2021 gibt es vom Bund 21 Mio. Euro, 2023 dann 36 Mio. Euro und 2024 51 Mio. Euro.

Schöpfen Länder und Gemeinden die vollen Mittel aus, stünden damit etwa 2024 insgesamt 153 Mio. Euro zur Verfügung. Aktuell gibt es laut Regierungsinformationen seitens des Bundes sechs Mio. Euro pro Jahr, inklusive Land – und Gemeindemitteln also 18 Mio. Euro.

Ab 1. Jänner in Kraft

In Kraft treten soll die Neuregelung laut den Plänen per 1. Jänner 2022. Für die Umsetzung ist noch der Beschluss im Parlament notwendig, der im Dezember erfolgen soll. Die Begutachtungsphase läuft bis 12. November.