Ein Arzt und ein Pfleger bei einem Krankentransport
APA/Helmut Fohringer
APA/Helmut Fohringer

Suizidbeihilfe: Das Dilemma der Pfleger

Viele Angebote im Alten-, Pflege- und Palliativbereich werden von christlichen Anbietern, die Sterbehilfe ablehnend gegenüberstehen, gestellt. Dass ab Jänner 2022 assistierter Suizid in Ausnahmefällen erlaubt ist, könnte die Mitarbeitenden in ein Dilemma bringen. Diakonie, Caritas Socialis und Orden ringen nun um Lösungen. Viel Zeit bleibt nicht.

Die Gremien haben getagt, die Papiere über assistierten Suizid liegen seit einigen Monaten ausgearbeitet auf dem Tisch: Schon lange wird in der evangelischen Hilfseinrichtung Diakonie über das Thema gesprochen und beraten, allein die gesetzliche Grundlage für die Debatte fehlte. Seit einer Woche ist sie da. Sehr spät, wenn es nach der Diakonie geht. Die Eile, zu der Direktorin Maria Katharina Moser die Regierung in den vergangenen Monaten immer wieder mahnte, hat Gründe.

Die Diakonie betreibt mehrere Pflegehäuser sowie Hospiz- und Palliativpflegeeinrichtungen, in denen die Frage des assistierten Suizids aufkommen könnte. Es müsse nun ein interner Meinungsbildungsprozess stattfinden – mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeinsam. Sie müssten auch „eingeschult“ werden, sie seien besonders „betroffen“, heißt es in der Diakonie gegenüber religion.ORF.at.

Ethische und religiöse Fragen

Die ethischen, moralischen und religiösen Fragen, die sich Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen nun stellen müssen, sind grundlegender Natur und weitreichend: Sollen Mitarbeitende beim Suizid selbst assistieren können? Konfessionelle Einrichtungen werden diese Frage wohl unisono mit Nein beantworten. Der Schutz des Lebens steht für sie an erster Stelle. Wird man Angehörige oder möglicherweise Vertreter von Sterbehilfevereine hineinlassen, wenn sie Bewohnerinnen und Bewohnern ein tödliches Präparat bringen?

Soll man assistierten Suizid in der eigenen Einrichtung dulden, das hieße für Medizinerinnen und Mediziner und Pflegepersonal: das Sterben nicht verhindern, nicht eingreifen. Oder ist das christliche Ja zum Leben mit einem kategorischen Nein zum assistierten Suizid verbunden – in aller Konsequenz? Das würde nämlich für Menschen, die in christlichen Einrichtungen leben, bedeuten, dass sie in ihrem „Zuhause“ eben nicht selbstbestimmt sterben dürfen, wie es der Verfassungsgerichtshof als Recht definiert hat. Sie müssten also gegen ihren Wunsch weiterleben oder eben ausziehen.

Frage der Barmherzigkeit

Diakonie-Direktorin Moser schließt aus, dass Menschen die Einrichtung verlassen müssen, wenn sie sich für assistierten Suizid entscheiden. Die Diakonie werde zwar sicherlich kein Anbieter von Sterbehilfe werden und werde weiterhin versuchen, Sterbewillige vom Suizid abzubringen, doch Betroffene will die evangelische Hilfseinrichtung auch nicht alleine lassen. Für die Diakonie ist das eine Frage der Barmherzigkeit.

Hand in Hand, Palliativpflege und Hospizbereich
Public Domain
Wie sollen Mitarbeitende mit Suizidbeihilfewünschen von Schwerkranken umgehen? Die Frage beschäftigt Pflegeeinrichtungen.

Caritas Socialis befasst Ethikkernteam

Mit dem Auftrag, soziale Not zu lindern, wurde 1919 die Caritas Socialis von Hildegard Burjan als geistliche Schwesterngemeinschaft gegründet. In ihren Einrichtungen werden betagte, kranke und sterbende Menschen gepflegt und bis zum Lebensende begleitet. Auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten in Zukunft mit der Situation konfrontiert sein, dass Bewohnerinnen und Bewohner Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen wollen.

Bei der Caritas Socialis widmet sich bereits ein Ethikkernteam den Fragestellungen, die sich durch die Liberalisierung der Sterbehilfegesetzgebung ab Jänner ergeben. Details werden ausgearbeitet, vieles ist noch offen, ungeklärt. Ein assistierter Suizid würde „eine Menge an Menschen wie Angehörige, Mitbewohner, Mitarbeiter und Ehrenamtliche involvieren“, heißt es aus der Einrichtung.

„Leisten keine Beihilfe zum Suizid“

Trotz offener Fragen ist für Geschäftsführer Robert Oberndorfer klar: „Wir leisten Beihilfe zum Leben, nicht Beihilfe zum Suizid.“ Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden weiterhin alles tun, um Menschen „so zu begleiten, dass er oder sie nicht in eine Notlage kommt, die ausweglos erscheint“. Auf akute Suizidwünsche wolle man reagieren, wie gewohnt – mit Gesprächen, Palliative Care und psychologischer Unterstützung. Es gelte auch nach dem 1. Jänner herauszufinden, warum jemand „so“ nicht mehr leben wolle und zu versuchen, das Leid zu lindern.

Klar ist aber auch: Auch wenn die Caritas Socialis einen assistierten Suizid nicht durchführen wird, könne man „nicht ausschließen, dass ein Mensch nach all unseren Bemühungen der Suizidprävention diesen Weg wählt“. Darüber, wie solche Fälle gehandhabt werden sollen, wird wohl erst entschieden werden müssen.

Arbeitsgruppe eingerichtet

Wie sie mit konkreten Wünschen nach einem assistierten Suizid in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen umgehen werden, wollen die Österreichische Ordenskonferenz und die Caritas gemeinsam beraten. Deshalb habe man eine Arbeitsgruppe gebildet, erklärt Generalsekretärin der Orden, Christine Rod, in einer Stellungnahme an religion.ORF.at. Ein neues Sterbehilfegesetz betreffe die Gesundheitseinrichtungen der Ordensgemeinschaften ja „besonders“. In Österreich werden viele Spitäler und Pflegeheime von katholischen Orden betrieben. Ihr deutliches Nein zur Sterbehilfe bekräftigten sie in der Vergangenheit immer wieder.

Die Debatte rund um das neue Sterbehilfegesetz werfe natürlich sehr viele Fragen auf – „für die betreuten Menschen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Ein Orientierungsrahmen, „gespeist aus der Erfahrung der täglichen Arbeit in der Pflege, Betreuung und Begleitung“ soll als Hilfe für Mitarbeitende dienen. Man sei nun, nachdem der Gesetzesentwurf vorgestellt wurde, in der „finalen Abstimmungsphase“.

Suizidbeihilfe nicht „dulden“

Klargestellt, dass Suizidbeihilfe für sie jedenfalls nicht infrage kommt, hat die Caritas, die Hilfseinrichtung der römisch-katholischen Kirche. Die Caritas werde nicht bei der Selbsttötung assistieren, so Generalsekretärin Anna Parr. Und die Caritas will assistierten Suizid in ihren Einrichtungen auch nicht gesetzlich dulden müssen.

Parr kritisierte, wie auch der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, in einer ersten Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, dass es keine „explizite Garantie, dass es weder eine direkte noch eine indirekte Verpflichtung zur Duldung oder Durchführung des assistierten Suizids in Einrichtungen der Pflege, Krankenbehandlung, Hospiz- und Palliativarbeit und anderen Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen“ gibt. Der evangelische Theologe und Ethiker Ulrich Körtner schrieb in der „Furche“, es werde rechtlich kaum möglich sein, einer Bewohnerin oder einem Bewohner eines Heimes den assistierten Suizid mithilfe Dritter zu untersagen.

Klares Nein zu Suizidbeihilfe

Der Medizinethiker und katholische Moraltheologe, Matthias Beck, geht vonseiten katholischer Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen jedenfalls auch weiterhin von einem klaren Nein zu Suizidbeihilfe aus. „Die katholische Kirche hat sich aus ihrer Perspektive zu Recht grundsätzlich dagegen ausgesprochen“, sagte er im Gespräch mit religion.ORF.at. „Kein christliches Krankenhaus wird zulassen, dass ein Mensch sich tötet“, so die Einschätzung Becks.

Durch das kategorische Nein könne sich ein Patient auch „sicher fühlen“ – ganz besonders in Palliativstationen: Sterbehilfe „gehört da nicht hin“, sagt Beck. Dadurch würde das Vertrauen zu den Einrichtungen und zum Personal zerstört. Eine Möglichkeit, wie christliche Einrichtungen das ethische Dilemma entschärfen oder lösen könnten, dass sie konsequent für ihre Bewohnerinnen und Bewohner da sein wollen, aber assistierten Suizid nicht dulden, sieht der katholische Moraltheologe.

Vor Eintritt in Heim klären

Kirchliche Einrichtungen könnten Menschen, bevor sie in ihre Alten- oder Pflegeheime aufgenommen werden, schriftlich bestätigen lassen, dass sie assistierten Suizid nicht in Anspruch nehmen werden. „Ich kann mir vorstellen, dass man so Vorsorge treffen kann und wird“, sagt Beck.

Dass Bewohnerinnen und Bewohner es sich nach Jahren im Heim dann doch anders überlegen, ist freilich nicht auszuschließen, und wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann handeln sollen und werden, nicht absehbar. Das Sterbeverfügungsgesetz soll jedenfalls am 1. Jänner in Kraft treten, die meisten mit der Thematik Vertrauten gehen von einer geringen Zahl an Sterbewilligen aus oder hoffen zumindest darauf, dass sie klein sein wird.

Keine Empfehlung von Hospiz-Dachverband

Der Gesetzesentwurf, den nun viele Expertinnen und Experten im Gesundheitsbereich studieren und diskutieren, ist auch im Dachverband Hospiz Österreich, in dem verschiedene Anbieter von Palliativ- und Hospizeinrichtungen versammelt sind, die Lektüre der Stunde. Man bereite gerade eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vor, sagt die Sprecherin, Catrin Neumüller, zu religion.ORF.at.

Seinen Trägerinnen und Trägern werde der Dachverband aber sicherlich keine Empfehlung für den Umgang mit Sterbehilfe geben. Es sei „das Recht und die Pflicht jeder Einrichtung und jedes Trägers, über den Umgang mit dem neuen Gesetz selbst zu entscheiden“.