Soziallehre

Langes Warten auf neue ksoe

Rund ein Jahr nach dem Beschluss der Bischofskonferenz, die katholische Sozialakademie (ksoe) umzustrukturieren, ist es still geworden. Die Neuaufstellung sei noch im Laufen, heißt es vonseiten der Betreiber. Kritikerinnen und Kritiker beobachten den Prozess weiter skeptisch.

Die ksoe ist eine der katholischen Soziallehre verpflichtete Einrichtung für Erwachsenenbildung. Laut Kuratoriumsvorsitzendem Bernd Wachter befindet sie sich in der „Auferstehungsphase“. Im vergangenen Jahr erarbeitete eine Expertengruppe die Neuausrichtung, der Relaunch ist abgeschlossen. Es wurde ein Statut erstellt und im Juni 2021 der Direktor und ein fünfköpfiges Kuratorium bestellt. Dieses habe sich seitdem dreimal getroffen, so Wachter zu religion.ORF.at.

Die Bischofskonferenz (deren Einrichtung die ksoe ist) hatte im vergangenen Jahr eine Sanierung der Institution beschlossen – argumentiert wurde mit finanziellen Schwierigkeiten, die ksoe habe selbst um Hilfe gebeten. Mit der Sanierung sollte auch eine inhaltliche Neuaufstellung einhergehen. Die geplanten Reformen und der Relaunch lösten heftige Kritik von katholischen Organisationen und Einzelpersonen aus. Ein kritisches Organ solle mundtot gemacht werden, so der Tenor. Und: sie werde geschlossen, weil sie zu „links“ sei, lautete ein Vorwurf.

„Kernanliegen“ der Bischofskonferenz

Die Heftigkeit der Kritik dürfte wohl auch dazu beigetragen haben, die Bedeutung der Bildungseinrichtung wieder ins Bewusstsein zu rufen. Die Bischofskonferenz habe die ksoe mit dem neuen Statut zu einem „gemeinsamen Kernanliegen“ gemacht, wird der zuständige Referatsbischof der Diözese Gurk-Klagenfurt, Josef Marketz, in einer diözesanen Aussendung zitiert.

Ein Blick auf die Homepage der Organisation zeigt, dass nach einem Jahr Funkstille nach außen hin, jetzt langsam wieder Aktivität sichtbar wird. Kurse, Seminare etc. werden derzeit noch nicht angeboten, mittlerweile sind aber wieder einige Dokumente und Artikel abrufbar. Waren es früher 13, werden momentan drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeführt. Als „One-Man-Show“ bezeichnet Wachter das vergangene Jahr.

Team soll nächstes Jahr stehen

Man ist motiviert, wieder eine bedeutende Einrichtung auf die Beine stellen – und das möglichst offen und breit, so Marketz im Gespräch mit religion.ORF.at. Zunächst gehe es darum, wieder ein Team zusammenzustellen, aller Voraussicht nach kleiner als früher, sagte Direktor Markus Schlagnitweit gegenüber religion.ORF.at. Schlagnitweit, der die Institution bereits in den Jahren 2005 bis 2009 leitete, rechnet damit, dass er in einem Jahr wieder ein Team zusammengestellt hat.

Ein leeres Unterrichtszimmer
APA/Roland Schlager
Die katholische Sozialakademie wird derzeit nach einem Relaunch neu aufgestellt

Die ksoe solle ein „Kompetenzzentrum zu Themen der katholischen Soziallehre für Kirche, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“ werden, heißt es in der Aussendung.

Seit Sommer stehe die Basisfinanzierung durch die Bischofskonferenz – sie sei ungefähr gleich hoch wie früher, sagte Schlagnitweit. Geplant ist auch die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats für den Bezug zur Praxis. Die ksoe solle u.a. eine „offene Dialog-Plattform für gesellschaftspolitische Themen“ werden und wieder ihren Bildungsauftrag erfüllen. Einen stärkeren Fokus möchte der der zuvor interimistisch bestellte Priester, Theologe und Sozialethiker auf Projekt-Kooperationen legen. Nach drei Jahren plant Schlagnitweit eine Evaluierung.

Mehr Plattform, weniger Unternehmenscoachings

Konkret soll das Angebot der Einrichtung in Zukunft wieder Dienstleistungen umfassen: Bildungsangebote wie Seminare, Kurse und den Austausch mit anderen Institutionen und wissenschaftlichen Disziplinen, „über Probleme, die es jetzt gibt“, so Marketz. Zu diesen Herausforderungen soll sie das Know-How über die katholische Soziallehre einbringen. Die genauen Formate müssen noch erarbeitet werden.

Der Unterschied zu früher besteht laut den Zuständigen darin, dass weniger Organisationsentwicklung (also Coachings in Unternehmen) angeboten, und die ksoe mehr zu einer Plattform werden soll, die viele Stimmen an einem Tisch versammelt. Insgesamt soll der Fokus stärker auf der Erarbeitung und Entwicklung wissenschaftlicher Expertise zu Themen der katholischen Soziallehre liegen, wie Schlagnitweit bereits im Frühjahr die Pläne formulierte.

Kernforderung: Bedingungsloses Grundeinkommen

1958 gegründet, ist der Zweck der katholischen Sozialakademie „die Erforschung und Verbreitung der katholischen Soziallehre sowie die Förderung ihrer Anwendung, um dem Gemeinwohl auf geistigem, kulturellem und sozialethischem Gebiet zu dienen.“ (Statut). Eine zentrale Forderung ist beispielsweise seit Mitte der 1980er Jahre ein bedingungsloses Grundeinkommen – begründet aus der katholischen Soziallehre heraus.

Im Frühjahr 2020 meldete sich im Zuge der Coronavirus-Pandemie neben vielen anderen Stimmen auch die ksoe mit dieser Forderung zu Wort. In einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Furche“ verlieh Schlagnitweit im September 2021 dem ebenfalls Nachdruck.

Politischer Druck „Opfer-Narrativ“

Kuratoriumsvorsitzender Wachter wertet diese immer wiederkehrende Forderung als Beleg, dass es nicht um politischen Druck gegangen sein dürfte, die ksoe abzuwickeln – also in ihrer bisherigen Form zu beenden. "Das Grundeinkommen ist seit 30 Jahren Thema, warum sollte es jetzt ein Problem sein? so Wachter, und: „Dann dürfte es schon lang keine Caritas als wichtige und auch kritische Stimme der Kirche mehr geben.“

Für ein bloßes „Opfer-Narrativ" hält Direktor Schlagnitweit die These, dass die römisch-katholischen Bischöfe bezüglich der ksoe aus politischen Gründen unter Druck geraten seien, wie Kritikerinnen und Kritiker mehrfach betonten. Einen Beleg dafür sieht er in der Zusammensetzung des Expertengremiums für die ksoe-Neuaufstellung durch die bischöfliche Lenkungsgruppe: „Wenn da wirklich politisch umgefärbt hätte werden sollen, hätten die Bischöfe andere Leute damit beauftragen müssen“, so Schlagnitweit gegenüber religion.ORF.at.

In dem Gremium arbeiteten neben der damaligen Direktorin Magdalena Holztrattner unter anderen auch Reinald Tippow, Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, der die Flüchtlingspolitik der Regierung in Jahr 2015 scharf kritisierte, die neue Caritas Österreich-Generalsekretärin Anna Parr, die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, die die Bundesregierung im Jänner dieses Jahres für die nächtliche Abschiebung dreier Schülerinnen und Schüler und deren Familien nach Georgien und Armenien und auch für die Erstellung der „Islam-Landkarte“ kritisierte, mit.

Rosen für die Ehemaligen

Sowohl Bischof Marketz als auch Wachter betonen die gute Arbeit, die die erste Frau in der Direktorsposition, Magdalena Holztrattner, sowie die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet haben. Holztrattners Videos mit übersichtlichen und gut verständlichen Erklärungen der katholischen Soziallehre sind auch noch immer über die Website der ksoe abrufbar.

Die Bischofskonferenz hatte für die Sanierung der ksoe einen Unternehmensberater als zweiten Direktor eingesetzt, der die Abwicklung vollzog. Die Direktorin zog sich im Zuge der Neuaufstellung aus dieser Position zurück. Unter Holztrattners Führung entstand unter anderem das „Sozialwort 10+“.

Kritikerinnen und Kritiker abwartend

Kritikerinnen und Kritiker der Neu- und Umstrukturierungsprozesse sind derzeit noch skeptisch und verstehen nach wie vor nicht, warum die ksoe durch die praktisch vollständige Auflösung neu aufgestellt werden musste. Für „schwachbrüstig“ hält es der Sozialethiker Wolfgang Palaver, auf so eine Institution (wie sie war) zu verzichten, sagte er im Gespräch mit religion.ORF.at. Er war einer der Unterzeichner eines offenen Briefs gegen das „Verstummen“ der ksoe im September 2020. Er habe im Frühjahr im Zuge der Inseratenaffäre ihre kritischen Wortmeldungen vermisst.

Auch Anna Wall-Strasser, Bundesvorsitzende der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung Österreich, bedauert den „großen Verlust für Kirche und Gesellschaft“. Die wissenschaftliche Expertise der ksoe fehle aktuell. Die katholische Soziallehre sei von der ksoe immer aktualisiert worden, im vergangenen Jahr seien die Aufgaben aber „auf einen Bruchteil dessen zusammengeschrumpft, was sie einmal waren“, so Wall-Strasser.

Ob die Kritik am Relaunch der ksoe verstummt, wird sich in etwa einem Jahr zeigen.