„Projeto Morrinho“, seit 1997, Installation für das Dom Museum Wien, 2021
ORF.at/Johanna Grillmayer
ORF.at/Johanna Grillmayer
Ausstellung

Das Dom Museum und die große Schere

Die Schere zwischen (Super-)Reichen und Armen wird größer und größer, die Pandemie hat das noch verschärft. Das Wiener Dom Museum stellt die beiden Extreme in seiner neuen Ausstellung „arm & reich“ einander gegenüber, bleibt dabei aber nicht in der Position des Betrachtenden. Auch die Kirche kommt nicht einfach so davon.

„Selbst seinem Nächsten ist der Arme verhasst, der Reiche aber hat viele Freunde“ (Spr 14,20), das lehrt schon die Bibel. In Sachen Themensetzung im Bereich Soziales bzw. Sakrales hat sich das Dom Museum unter der Leitung von Johanna Schwanberg seit der Neueröffnung 2017 deutlich positioniert – davon zeugt etwa der Österreichische Museumspreis 2020.

In der fünften Schau setzt das Haus auf die bewährte Gegenüberstellung alter und neuer Kunst sowie, im Fall von „arm & reich“, eben auch auf jene des titelgebenden Gegensatzpaars. In den schlichten Räumlichkeiten geht das Konzept der genauen und fast spartanischen Gestaltung wieder auf.

Dabei sprechen alle ausgestellten Werke – Videokunst, Gemälde, Fotografien und Kostbarkeiten aus kirchlichem Bestand – natürlich auch für sich. Den Auftakt machen Arbeiten, die beide Enden des sozialen Spektrums zusammen zeigen, etwa die Fotoserie „Rich and Poor“ des US-Amerikaners Jim Goldberg und die glamourös-überzeichneten Fotografien der libanesischen Künstlerin Lamia Maria Abillama aus der Serie „Ladies of Rio“ (2007), die die weiße Oligarchie Brasiliens in ihrer ganzen neokolonialen Pracht zeigt – Dienstbotinnen inklusive.

Die pralle Welt der Reichen

Möglichst achtsam vorbei an der in einer Ecke hockenden Skulptur „Sitzender“ (2008) des deutschen Künstlers Albrecht Wild geht es in den mit „Gesichter und Geschichten“ übertitelten Teil der Ausstellung: Hier treten einander knallige Fotos protzender Superreicher (einige von ihnen durch die Finanzkrise tendenziell „verarmt“) den ernsteren Darstellungen von Armen gegenüber, bei deren genauem Studium etwas doch deutlich wird: Zum Thema Armut hat die Kunst schon seit jeher den feineren Strich geführt.

Lauren Greenfield: Limo Bob, 49, the self-proclaimed “Limo King" in his Chicago office, 2008. Aus der Serie Generation Wealth, 1982–2017
Lauren Greenfield
Lauren Greenfield: „Limo Bob, 49, the self-proclaimed ‚Limo King‘, in his Chicago office“, 2008

Direktorin Schwanberg bestätigt genau diesen Eindruck: Anders als die Armut, die „schon immer“ Gegenstand von Forschung und allgemeinem Interesse gewesen sei, habe man erst vor Kurzem begonnen, sich dem Reichtum in ähnlicher Weise zu nähern. Genähert wird sich anscheinend eher in drastischer Weise: Golden glitzert sie, die Welt der Reichen, und Kinder stellt man gleich unter einen Glassturz, als seien sie selbst ein Schmuckstück, wie in Lauren Greenfields Fotoreihe „Generation Wealth, 1982–2017“.

Collagen, Fotos und Ölgemälde

Liebevoll dokumentieren hingegen die Fotos der Serie „Piroska“ (2010/2011) von Iris Andraschek das zärtliche Verhältnis einer in kleinsten Verhältnissen lebenden alleinerziehenden Roma-Mutter zu ihren Töchtern. Stark wirken auch Collagen (1932/33) der von den Nazis ermordeten Friedl Dicker-Brandeis im nächsten Raum, die die steigende Armut ebenso wie das Abgleiten in den Nationalsozialismus der 1930er Jahre anprangern.

Ein lieblich wirkender Ferdinand Georg Waldmüller, der Kinderarbeit im 19. Jahrhundert abbildet, sei durchaus sehr sozialkritisch zu verstehen gewesen, betonte Direktorin Schwanberg: „Hier wurde Kinderarbeit erstmals in Öl gemalt.“ Dennoch ungleich drastischer sind die Fotoarbeiten des Spaniers Fernando Moleres, die seit 1990 brutale Bedingungen der Kinderarbeit in über 30 Ländern dokumentieren.

Ausgrenzung deutlich machen

Mitten im Raum steht eine große, lange Röhre: Im „Homeless Vehicle“ („Obdachlosenfahrzeug“, 1988/89, 2013) des polnisch-amerikanischen Künstlers Krzysztof Wodiczko fanden Obdachlose in New York und Philadelphia eine Schlafmöglichkeit, Schutz vor Wind sowie körperlichen Angriffen – und einen Behälter für Pfandflaschen. Zugleich sollten die „Vehikel“ auch Fragen nach dem Recht auf öffentlichen Raum und einer Arme ausgrenzenden Gentrifizierung aufwerfen.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Lamia Maria Abillama „Ladies of Rio“ 
(2007), Ausstellung „arm & reich“ im Wiener Dom Museum
Galerie Tanit, Lamia Maria Abillama
Lamia Maria Abillama: „Ladies of Rio“ (2007, Ausschnitt)
Eintritt zur Ausstellung „arm & reich“ im Wiener Dom Museum
Lena Deinhardstein
Eintritt zur Ausstellung „arm & reich“ im Wiener Dom Museum
Joseph Beuys: Kunst = Kapital, 1980
Spreegold Collection Berlin
Joseph Beuys: „Kunst = Kapital“, 1980
Isa Rosenberger in Zusammenarbeit mit Martina Berisha, Margaret Carter, Martha Vollnhofer, Got it rough ‚cause I’m a She (Still), 2021, Ausstellung „arm & reich“ im Wiener Dom Museum
Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary
Aktion „Got it rough ‚cause I’m a She (Still)“, 2021
Krzysztof Wodiczko: Homeless Vehicle (1988/89, 2013)
ORF.at/Johanna Grillmayer
Krzysztof Wodiczko: „Homeless Vehicle“ (1988/89, 2013)
„Projeto Morrinho“, seit 1997, Installation für das Dom Museum Wien, 2021
ORF.at/Johanna Grillmayer
„Projeto Morrinho“, seit 1997

Dass die Kritik an den sozialen Umständen keine Erscheinung der Moderne ist, beweisen die Altmeister Pieter Bruegel d. Ältere (1526/27–1569), Rembrandt van Rijn (1606–1669) und Albrecht Dürer (1471–1528), kleine Kupferstiche des Ersteren sorgen für ein wenig „comic relief“ in der doch sehr ernsten Schau. „Der Mann mit dem Geldsack“ Brueghels (1568) verteilt Geld, dafür kriechen seine „Freunderl“ ihm buchstäblich hinten hinein.

Eine Minifavela aus bunten Ziegeln

Den Themenkreis „Orte der Ungleichheit“ dominiert eine Installation, die mit Jugendlichen aus einer Favela in Rio de Janeiro gestaltet wurde. Aus bunt bemalten Ziegelsteinen und Lego ist die „Projeto Morrinho“ seit 1997 auf eine Größe von 450 Quadratmeter gewachsen; in Kooperation entstand in Wien heuer eine eigene Installation für das Dom Museum.

Sie gehört zu dem etwa einen Drittel der eigens für die Schau „arm & reich“ zugekauften Werke. Ein Film zeigt, wie die Kinder und Jugendlichen aus dem Elendsviertel auf die Idee kamen, aus Fundstücken und wenigen Spielsachen eine eigene, selbst imaginierte Welt zu schaffen. Die für das Wiener Dom Museum geschaffene Version der Miniaturfavela verfügt über einen kleinen Stephansdom und auch ein Mini-Dom-Museum.

Sendungshinweis

Dom-Museum-Direktorin Johanna Schwanberg über die Ausstellung „arm & reich“ in den „Gedanken für den Tag“

Superreiche im Trailerpark

Einen witzigen Kontrapunkt dazu bietet Johanna Kandls Gemälde „Bill, Paris und Donald sind umgezogen“ (2009) in Tempera auf Holz, das superreiche Promis kurzerhand in einen Trailerpark umsiedelt.

Auf den durchaus zwiespältigen Platz, den die katholische Kirche in der Welt zwischen „arm & reich“ einnimmt, geht die Ausstellung vor allem mittels einiger reich verzierter, goldener Kelche und Reliquiare sowie schöner mittelalterlicher Heiligenbilder ein. Hier wäre vielleicht mehr möglich gewesen. Doch hat man wohl auf den Blick aus dem Fenster auf den Stephansdom gesetzt, der Besuchende gleich an den immensen Reichtum der Kirche erinnert. Joseph Beuys ist mit einem Siebdruck auf einer Schiefertafel vertreten, es fasst es kurz: „Kunst = Kapital“ (1980).

Wohnungslose als Akteurinnen

Auch dem sozialen Engagement der Kirche trägt die Ausstellung Rechnung: Berührend und schön ist eine Arbeit, die Isa Rosenberg gemeinsam mit von Obdachlosigkeit betroffenen Frauen schuf, die in der VinziRast untergekommen sind. Statt die Frauen als Protagonistinnen ihrer Armut zu zeigen oder zu befragen, sieht man sie auf Bildern, wie sie vor der Wiener Hofburg demonstrieren.

Ein Video zeigt sie als Akteurinnen, nicht als Ziel von Mitleid (und vielleicht Voyeurismus): Sie rappen, sie malen und zeichnen – eine Selbstermächtigung, wie sie schlichter und würdevoller nicht sein könnte. Verglichen mit den Vorgängern „Family matters“ und „Fragile Schöpfung“ ist „arm & reich“ weniger opulent geraten – was allerdings nicht so schlecht zum Thema passt.