Geschichte

Mittelalter: Gott zu einem Urteil zwingen

Viele vorchristliche Kulturen haben sie gekannt, und bis in die Neuzeit sind sie auch im christlichen Europa zum Einsatz gekommen: Gottesurteile. Theologisch von Anfang an umstritten, waren sie ein Element des Volksglaubens, das sich bis ins hohe Mittelalter hielt.

Zwei Ritter preschen auf bunt geschmückten Schlachtrossen aufeinander zu, die Schwerter krachen gegeneinander, auf der Tribüne halten die Zuschauerinnen und Zuschauer den Atem an … So wie in Ridley Scotts Rittererepos „The Last Duel“ war es in der Realität nur in seltenen Ausnahmefällen, sagte die Theologin und Kirchenhistorikerin Christina Traxler im Gespräch mit religion.ORF.at.

Doch publikumswirksam war es bestimmt – am spektakulärsten vielleicht die Duelle, wie es sie auch zwischen Mann und Frau gab. Solche Fälle sind belegt: Damit einigermaßen „Gleichgewicht“ herrschte, sei der Mann bis zum Bauch eingegraben worden. Frauen konnten sich aber auch von einem männlichen Kämpfer vertreten lassen. Zum Zweikampf sei es nur gekommen, wenn alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft waren und Aussage gegen Aussage stand, so Traxler.

Fechtbuch Hans Talhoffer (1420–1490)
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Zweikampf Frau vs. Mann aus dem Fechtbuch Hans Talhoffer (1420–1490)

„Eifersuchtsordal“ in der Bibel

Der Zweikampf ist aber nur eine von vielen Formen des im Mittelalter sehr verbreiteten Gottesurteils. Dabei war das Verhältnis der Kirche zum auch als Ordal (von althochdeutsch „Ordel“, „Urteil“) bekannten göttlichen Rechtsspruchs von Anfang an zwiespältig, so Expertin Traxler. Denn die Bibel kennt nur eine einzige Referenz: In Num 5, 11–31 wird ein „Eifersuchtsordal“ geschildert: Eine des Ehebruchs verdächtigte Frau muss „bitteres, fluchbringendes“ Wasser trinken und ihre Unschuld beweisen, indem sie danach trotzdem nicht unfruchtbar wird – eine antike „Giftprobe“.

Durch die Völkerwanderung hätten sich die Bräuche germanischer Stämme weit über Europa ausgebreitet – dazu gehörten auch Gottesurteile. „Die Kirche musste sich zwangsläufig damit beschäftigen“, sagte die Theologin. Im Mittelalter ging es bei Ordalen beispielsweise auch um Zweifel an der ehelichen Treue (der Frau, versteht sich) oder etwa um den Beweis, dass ein Gelehrter in seiner Theologie noch auf dem „richtigen Weg“ war.

Schon früh kontrovers diskutiert

Ab dem neunten und bis ins 13. Jahrhundert wurde die Praxis in der katholischen Kirche kontrovers diskutiert. „Das Gottesurteil ließ sich mit dem christlichen Grundverständnis eigentlich nicht in Einklang bringen“, sagte die Expertin. Unter anderem wurde das Argument dagegen vorgebracht, das Urteil werde von Gott „erzwungen“, was den Menschen nicht zustehe. Aber ganz konnte man die Gottesurteile, die Traxler im Bereich des „Wunderglaubens“ verortet, nicht loswerden.

Theologin Christina Traxler
privat
Christina Traxler ist Universitätsassistentin am Institut für Historische Theologie, Universität Wien

Daher war die Kirche bemüht, sie zumindest liturgisch „einzuhegen“: So durften nur Priester (neben Königen und wenigen anderen ausgewählten Personen) ein Gottesurteil durchführen. „Es wurde von der Kirche gebilligt.“ Der Priester sorgte für einen liturgischen Rahmen, die Person, die sich dem Urteil unterzog, musste vorher fasten, beichten und die Kommunion empfangen, auch seien Exorzismen und Segnungen vorgenommen worden, erklärte Traxler. „Man wollte Dämonen ausschalten, aber auch menschlichen Schwindel.“

Bei guter Heilung: Unschuld

Bei der weit verbreiteten Wasserprobe wurde die verdächtigte Person gefesselt und ins Wasser geworfen – ging sie unter, war er oder sie unschuldig und wurde (optimalerweise) gleich wieder herausgezogen. Unter der Feuerprobe wurde verstanden, dass ein glühendes Stück Eisen mehrere Schritte weit getragen werden musste. Verheilten die dadurch entstandenen Wunden binnen dreier Tage gut, war der oder die Delinquentin „unschuldig“.

Ähnlich die „Heißwasserprobe“: Hier wurden in einem Kessel mit heißem Wasser oder Öl kleine Gegenstände versenkt, die von der beschuldigten Person herausgeholt werden mussten. Verheilten die durch die Prozedur entstandenen Verbrennungen gut, war die Unschuld erwiesen.

Wenn die Leiche wieder blutet

Ungewöhnlich, aber spektakulär gestaltete sich das „Bahrgericht“: Der des Mordes Verdächtigte musste sich der Leiche des Ermordeten nähern, brachen dabei die Wunden erneut auf, und floss Blut, war der Mörder „überführt“. Wohl um blutigere Zweikämpfe zu ersetzen, habe die Kirche auch noch die vergleichsweise harmlose Kreuzesprobe entworfen, sagte die Theologin: Hier standen die beiden Kontrahenten in einem Rechtsstreit mit erhobenen Armen nebeneinander vor einem Kruzifix – wen zuerst die Kraft verließ, der hatte verloren.

Der Söldner Hans Spiess wird in Ettiswil durch eine Bahrprobe des Mordes „überführt“ (die Leiche seiner Frau beginnt bei Berührung zu bluten). Ausschnitt aus einer Buchmalerei in der Luzerner Chronik des Diebold Schilling, Burgerbibliothek 1513
Public Domain/Wikipedia
Der Söldner Hans Spiess wird in Ettiswil durch eine Bahrprobe des Mordes „überführt“ (die Leiche seiner Frau beginnt bei Berührung zu bluten). Ausschnitt aus einer Buchmalerei in der Luzerner Chronik des Diebold Schilling (1513).

Ebenfalls unblutig (und wohl einfach durchzustehen) war die Abendmahlsprobe: Hier galt es lediglich, eine Hostie oder auch einen Bissen Brot zu sich zu nehmen, ohne sich daran zu verschlucken.

Insgesamt scheint die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen zu sein, die jeweilige Prozedur zu überleben: „Beschuldigte machten das oft freiwillig“, so Traxler. Vor allem jenen, die rechtlich nicht gut abgesichert waren, sei wohl einfach keine andere Wahl geblieben: Als „nicht Eidfähige“, also als Unfreie, Sklavinnen und Sklaven oder schlicht Frauen, galt in einem Gerichtsprozess ihr Wort wenig oder überhaupt nichts.

Abgesehen vom Duell, mit dem eine hohe Gefahr einherging, verletzt oder getötet zu werden, habe es bei Gottesurteilen „eine gute Chance“ gegeben zu überleben – und danach rehabilitiert zu sein. Das Ziel sei dabei nicht gewesen, einander zu töten; der oder die Unterlegene konnte aber sehr wohl – als „Verlierer“ – danach auch das Leben verlieren.

Von Inquisition abgelöst

Hatte die Kirche die Gottesurteile schon länger ungern gesehen, schaffte das Vierte Laterankonzil (1213–1215) die Praxis zumindest offiziell ganz ab. Mit einer Ausnahme: „Hexen“ wurden weiterhin gern der Wasserprobe unterzogen, um herauszufinden, „ob die Hexe nun magische Kräfte hat oder nicht“, sagte die Expertin.

Ansonsten nahm die Praxis der Gottesurteile nach dem Konzil stark ab. Ein Zuwiderhandeln hätte kirchenrechtliche Konsequenzen gehabt sowie Strafen für den beteiligten Priester. Dennoch gibt es Belege für vereinzelte Gottesurteile und Zweikämpfe bis in die Neuzeit. Abgelöst worden sei das Gottesurteil übrigens durch eher noch unerfreulichere Praktiken, so Theologin Traxler: Die penibel geregelten Verfahren der Inquisition setzten zum Zweck der „Wahrheitsfindung“ lieber die Folter ein.