Pandemie

Theologen: Gegen Impfzwang, aber für Solidarität

Katholische Moraltheologen haben sich differenziert zur aktuellen Impfpflichtdebatte zu Wort gemeldet. Dabei äußerten sie Vorbehalte gegenüber Zwangsmaßnahmen, pochten aber auch auf Solidarität.

Überzogener Individualismus und „Egozentrik“ seien angesichts der Bedrohungslage durch Covid-19 und seine Mutationen unangebracht, angesichts einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems sei Solidarität gefordert, so die in einem Kathpress-Rundruf befragten Fachleute Matthias Beck (Wien), Angelika Walser (Salzburg) und Josef Spindelböck (St. Pölten).

Zugleich formulierten die Befragten Vorbehalte gegenüber staatlichen Zwangsmaßnahmen einer Verletzung menschlicher Grundrechte; diese müssten wohlbegründet sein und bestenfalls als ultima ratio eingesetzt werden.

Hohe Durchimpfungsrate „einzige Chance“

Matthias Beck, Theologe, Mediziner und Mitglied der Österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, wies darauf hin, dass Schutzmaßnahmen wie Maskentragen und Abstandhalten bisher „nicht genügen gefruchtet“ hätten. Wie der Blick auf Israel, Spanien oder Portugal zeige, sei eine hohe Durchimpfungsrate „die einzige Chance, um aus dieser Pandemie herauszukommen“.

Für die zugelassenen Impfstoffe seien weltweit sehr viele Daten gesammelt worden, die Wissenschaft sei „sehr einheitlich der Meinung, dass diese Impfung einen Schutz darstellt vor schweren und tödlichen Verläufen“, wie der studierte Pharmazeut, Mediziner und Theologe erklärte.

Impfung
APA/Wolfgang Spitzbart
Die Impfung, das „kleinere Übel“

Dieser Schutz bestehe zwar nicht zu 100 Prozent, aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Fremdansteckung sei durch eine Impfung deutlich geringer, diese somit eindeutig „das kleinere Übel“, auch wenn das von einer Bevölkerungsgruppe bestritten werde.

Impfpflicht nicht gleich Impfzwang

Beck unterschied im Interview zwischen Impfpflicht und Impfzwang. „Die Würde des Menschen ist unantastbar; das bedeutet, jeder Mensch hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit“, so der Medizinethiker. In jemanden „hineinpieksen“ gehe nur mit der Zustimmung des Menschen, der Staat dürfe nicht dazu zwingen. Sehr wohl könne der Staat aber den Menschen auf seine Verpflichtung hinweisen.

„Gerade in der Situation einer Pandemie geht eben Gemeinwohl vor Eigenwillen“, sagte Beck, „da muss der Egoismus des Einzelnen mal zurücktreten“. Jedoch: Impfpflicht sei laut Immanuel Kant etwas vom Gewissen Herkommendes, Impfzwang dagegen etwas vom Staat Aufoktroyiertes. „Und das geht nicht“, betonte Beck. „Man kann einen Menschen nicht zwingen, geradezu mit der Polizei in Handschellen abführen und dann eine Spritze hineinrammen.“

Bestrafung vertretbar

Eine Impfpflicht für medizinisch-pflegerische Berufe hält der Theologe, wie er sagte, für zulässig; für Zuwiderhandelnde sei auch eine Bestrafung vertretbar. Beck argumentierte mit der in Österreich in den 1970er-Jahren eingeführten Gurtenpflicht. Auch hier gelte: Die Schutzwirkung des Anschnallens sei weit größer, als ohne Gurt zu fahren – selbst wenn es in seltenen Einzelfällen dazu kommen mag, dass aus dem Auto geschleudert zu werden lebensrettend ist.

„So ist es auch hier“, sagte Beck. Der überwiegende Teil der Impfungen führe zu einem milderen Verlauf der Krankheit, angesichts von Millionen Corona-Toten weltweit spreche die Güterabwägung hier eindeutig für eine Impfung.

Solidarität statt Egozentrik

Laut der Salzburger Moraltheologin Angelika Walser war es absehbar, dass die Impfpflicht zu einem Politikum wird. Die FPÖ habe in geradezu „fahrlässiger und meines Erachtens auch strafrechtlich längst relevanter Weise Menschen aufgefordert …, die Realität von Corona zu ignorieren“.

Wenn jedoch de facto zu einem Impfzwang gegriffen werde, „dann sind wir natürlich auf einem ganz unguten Weg“, so Walser. Denn der Staat greife dann in sehr autoritärer Weise in die Grundrechte der Menschen und ihre körperliche Integrität ein. Insofern stünden solche Eingriffe in einer modernen Demokratie immer unter hohem Rechtfertigungsdruck.

Preis für jeden Lockdown „unglaublich hoch“

Sie frage sich oft, was Impfunwillige „eigentlich daran hindert, diesen kleinen Akt der Solidarität zu leisten“, sagte die Theologin. „Sind wir mittlerweile derartig kindische Egozentriker, dass sich alles immer nur um unser kleines Ich und die Sorge um das eigene Wohlergehen dreht?“ Walser wies darauf hin, dass der Preis für jeden Lockdown „unglaublich hoch“ sei – enormer wirtschaftlicher Schaden, psychosoziale Isolation, Depressionen bei Kindern und Jugendlichen. Dem gelte es endlich zu entkommen.

„Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt auch Drohungen erhalte“, merkte Walser an: „Wenn man schon so sehr auf den eigenen Rechten und der eigenen Selbstbestimmung beharrt, dann muss man irgendwann auch bereit sein, einen gewissen Preis dafür zu zahlen.“ Dann müssten wie in den USA bestimmte gesundheitliche Risiken, die man sich und der Solidargemeinschaft zumutet, auch finanziell abgegolten werden.

Sie befürworte eine solche „Privatisierung und dann ja auch Kapitalisierung des öffentlichen Gesundheitswesens“ nicht. Aber wenn die Solidarität von einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft zunehmend überstrapaziert wird, stelle sich diese Frage immer häufiger. „Und irgendwann landen wir dann bei der Debatte, ob die Corona-intensive Behandlung dann auch kostenpflichtig wird.“ Der Blick auf das Gemeinwohl und die Solidarität könne solche Szenarien verhindern. „Noch ist es Zeit“, warnte Walser.

Ungeimpfte nicht ausgrenzen

Nach den Worten von Josef Spindelböck von der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten gilt aus moraltheologischer Sicht grundsätzlich: Wer eine Impfung für sich persönlich ablehnt, ist ethisch verpflichtet, sich und andere vor einer möglichen Ansteckung und Ausbreitung von Covid-19 zu schützen. Dazu zählten regelmäßige Tests, Abstand halten, FFP2-Masken etc.

Um des Gemeinwohls willen kann laut Spindelböck in einem streng definierten Rahmen eine zeitweise Impfpflicht eingeführt werden, wenn dies medizinisch gesehen der letzte Ausweg ist, um die negativen Folgen einer Pandemie einzudämmen. Freilich werde damit das grundlegende Menschenrecht auf persönliche Freiheit und Achtung der körperlichen Integrität eingeschränkt; deshalb wäre eine solche gesetzliche Anordnung rechtfertigungspflichtig. Für eine auch nur temporäre Impfpflicht müssten zugleich auch Ausnahmen definiert werden: für bereits Genesene, für Menschen mit bestimmten körperlichen Erkrankungen und in außergewöhnlichen psychischen Situationen „und nicht zuletzt auch für jene, welche eine Impfung aus Gewissensgründen ablehnen“, so der St. Pöltner Theologe.

Viele Menschen in Österreich hätten derzeit den Eindruck, dass die Politik eigene Versäumnisse in der koordinierten Bekämpfung der Pandemie „auf die Gruppe der Ungeimpften abzuwälzen“ suche. „Diese werden als Sündenböcke ausgemacht, die es zu bestrafen gilt, wenn sie sich nicht überzeugen lassen“, so Spindelböck. Er nannte eine solche Vorgangsweise „hochproblematisch“, weil letztlich entsolidarisierend. Menschen – und erst recht Christen – dürften einander nicht ausgrenzen, sondern das Wohl aller Mitmenschen im Auge haben.

Angesichts der in Österreich angebotenen, „hochwirksamen“ Impfstoffe formuliert der Moraltheologe einen Appell an alle noch Zögernden: „Sofern dem nicht schwerwiegende Gründe entgegen stehen: Lassen Sie sich bitte möglichst bald impfen! Es dient dem Wohl aller.“