Feiertag

Nikolaus und die Ohnmacht des Krampus

Als traditionelles Gegensatzpaar sind sie selten geworden: der heilige Nikolaus und der wüste Krampus. Dabei stellen sie zwei Seiten ein- und derselben Ästhetik dar, sagt der Kulturwissenschaftler und Ikonografieexperte Johannes Domsich im Gespräch mit religion.ORF.at.

Ein glatter, weißer Rauschebart, fließende Gewänder und ein Bischofsstab: Der Nikolaus strahlt schon rein durch sein Erscheinungsbild Ruhe aus. Ob als Besuchsnikolo oder auf Gemälden, der Heilige ruht in sich – und das, so Domsich, ist Absicht: „Der Nikolaus trägt einen Zeremonialbart, wie er im alten Byzanz üblich war.“ Er steht, als glatte, einfärbige Fläche, für Würde und Ruhe – ebenso das Gewand des Nikolaus mit weitem, flächigem Talar. Das „doppelte Dreieck“ rund um sein Gesicht, oben die Mitra, unten der Bart, verleihen dem Heiligen noch zusätzlich eine ruhende Anmutung. Der Bischofsstab gibt den Gangrhythmus vor.

Krampus und Nikolaus in Krungl, Bad Mitterndorf, Steiermark
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Ein gegensätzliches Paar: Krampus und Nikolaus

Mit ruhigen Bewegungen und langsamer Sprechweise drücke er auch Macht aus, so Domsich. Der Bart verdeckt die Gesichtszüge, was die Mimik, so sie vorhanden ist, verbirgt. Der Experte erinnert an die (falschen) Bärte der ägyptischen Pharaonen und Pharaoninnen: Selbst Herrscherinnen trugen ihn, denn „Macht drückt sich durch den Verzicht auf Mimik aus“. Ebenso verhalte es sich mit dem Sprechen. „Je weniger ich spreche, desto mächtiger wirke ich.“ Der Nikolaus spricht langsam, wenn er Kinder besucht, vergleichbar mit dem getragenen Sprechen des Priesters in der Messe.

Zappelig vs. würdevoll

„Und daneben hampelt der Krampus“, mit glotzenden, großen Augen, womöglich heraushängender Zunge, gefletschten Zähnen und einem Gesicht voller Runzeln – Elemente, „die zum Kanon des Hässlichen gehören“, so Domsich. Unruhige Linien, unkoordinierte Bewegungen – das werde „als unangenehm, als hässlich empfunden“. Dazu kommen zottelige Haare, ein Fellgewand, Kettengerassel und hektische Bewegungen. Von seinem animalischen Zappeln hebt sich der Heilige umso souveräner ab.

Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker Johannes Domsich
JD
Kulturwissenschaftler Johannes Domsich

Dabei sei gerade Nikolaus ein „besonders hemdsärmeliger“ Heiliger, erklärt Domsich. Wunder um Wunder soll er vollbracht haben, seine Abenteuer sind zahllos: Er soll drei junge Frauen vor der Prostitution gerettet haben, indem er ihnen je einen Goldklumpen durch das Schlafzimmerfenster warf – als Mitgift, Voraussetzung für eine Verehelichung. Die drei Goldkugeln zählen zu seinen Attributen, mit denen er in der Kunst dargestellt wird.

Viele Wunder und eine Ohrfeige

Zu den Heldentaten des Bischofs aus der Stadt Myra (dem heutigen Demre in der Türkei) zählen unter anderem die Rettung unschuldig Verurteilter, zahlreiche Wunder, die Bergung eines Ertrinkenden und die Wiedererweckung eines getöteten Kindes. Sogar einen Sturm soll er zum Abflauen gebracht haben, weshalb er auch der Patron der Seefahrer ist.

Hl. Nikolaus von Bari, um 1554/1555, Jacopo Robusti, gen. Tintoretto
KHM-Museumsverband
Der dynamische Nikolaus: „Hl. Nikolaus von Bari“, um 1554/1555, Jacopo Robusti, gen. Tintoretto

Drastisch auch die Geschichte, in der Nikolaus mehrere ermordete und zerstückelte Gelehrte wieder zusammengesetzt und zum Leben erweckt haben soll. Legendär (und vielleicht tatsächlich eine Legende) ist sein Auftritt beim Konzil von Nicäa (325). Dort soll Nikolaus, der die Heilige Dreifaltigkeit vertrat, seinen Gegner Arius geohrfeigt haben und dafür verhaftet worden sein.

Buchhinweis

Johannes Domsich: Ver Icon. „Was Bilder erzählen“. Dachbuch Verlag, 176 Seiten, 36 Euro.

Trotz dieser zahlreichen Aktivitäten ist der dynamische Heilige im Duo Krampus-Nikolaus der ruhende Pol. „Diese zwei Figuren transportieren noch immer eine Kanondifferenz“, wie der Kulturwissenschaftler ausführt: harmonische Proportionen, glatte Oberflächen beim Nikolaus, alles recht statisch. „Das entspricht dem klassischen ‚Kanon des Schönen‘, wie man ihn allgemein häufig bei Heiligendarstellungen vorfindet“, so Domsich.

Engel, Ginkerl und Gankerl

Doch heute fehlt ihm oft sein Gegenpart: Der Krampus wird vielfach nicht mehr gern gesehen. In Kindergärten und in vielen Haushalten ist er verpönt, die Kinder sollen sich nicht fürchten müssen. Figuren wie der Krampus, die Perchten und noch viele andere, heute unbekannte Erscheinungen wie etwa die Habergoaß hätten im „kindlichen Angstlernen“ einen Zweck erfüllt: „Was kann nicht eingeordnet werden, was birgt eine Gefahr?“

Manchmal hat der Nikolaus auch andere „Adjutanzfiguren“ dabei, etwa ein Engelwesen. Aber auch der Krampus sei früher in Begleitung aufgetreten, als „Gankerl oder Ginkerl“, als kleine Teufel verkleidete Kinder, seien um ihn herumgesprungen, so der Kulturwissenschaftler.

Hieronymus Bosch und Heavy Metal

Seit einigen Jahren tobt rund um die krampusähnliche Figur des „Zwarten Piet“ in den Niederlanden eine Rassismusdebatte: Hier handle es sich um rassistisches „Blackfacing“, das an die Verbrechen des Kolonialismus erinnere und eine üble Abwertung schwarzer Menschen symbolisiere. Kann man das auch dem Krampus vorwerfen? „Der Krampus ist eine rein alpine Erscheinung. Seine Ursprünge finden sich in der Antike und in heidnischen Naturkulten, als man gerne Mischwesen dargestellt hat“, so Domsich. Er stehe in der Tradition mittelalterlicher Inferno-Darstellungen etwa eines Hieronymus Bosch.

Krampus bei einem Krampuslauf in Biberwier, Tirol
Reuters/Angelika Warmuth
Mut zur Hässlichkeit: Der Krampus bei einem Krampuslauf in Biberwier, Tirol

Weiterhin erfreuen sich die wilden Krampusläufe, besonders im alpinen Raum, großer Beliebtheit. Gemeinsam mit den Perchtenläufen scheinen sie als Ventil für Aggressionen vor allem junger Männer zu dienen. Domsich ortet hier eine Freude am Abstoßenden. „Dieses Diabolische, der ästhetische Kanon des Hässlichen, findet sich zum Beispiel auch im Heavy Metal.“ Hier wie dort geht es um die Aneignung von Macht – durch das Hässliche.

Eine domestizierte Figur

Als Begleiter des Nikolaus ist der Krampus eine domestizierte Figur. „Auch damit zeigt der Nikolaus, wie mächtig er ist.“ Funktioniert der Nikolaus auch ohne den Krampus? „Lässt man eine Figur wie den Krampus weg, ist er irgendwann nicht mehr wichtig“, sagt Domsich. Brauchtum wie das rund um Nikolaus und Krampus verblasse „schneller, als man glaubt“.

Auch die Pandemie befördere gerade den Abbau von Brauchtum. Vorweihnachtliche „Restrituale“, zu denen auch das Punschtrinken und Firmenfeiern gehören, seien nicht mehr möglich. „Jede Reduktion von Ritualen macht es schwieriger, in Stimmung zu kommen. Die Leute vermissen dann etwas, ohne zu wissen, was.“