Missbrauchsstudie

Opfersprecher: „Historische Erschütterung“

Der Sprecher der deutsche Missbrauchsopfer-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, nennt das neue Gutachten zu sexuellem Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising eine „historische Erschütterung“ der katholischen Kirche.

„Dieses Lügengebäude, das zum Schutz von Kardinal Ratzinger, von Papst Benedikt, errichtet wurde hier in München, das ist heute krachend zusammengefallen“, sagte er der dpa am Donnerstag in München.

Einige Taten hätten nur darum stattfinden können, weil Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising die Entscheidung getroffen habe, einen Missbrauchstäter in seinem Bistum einzusetzen.

„Täterzentriertes System“

Das „täterzentrierte System“ sei „an der Spitze belastet“, sagte Katsch – „im Vatikan, da wo Benedikt bis heute sitzt und leugnet“. „Jeder, der das jetzt hier gerade miterlebt hat, muss erkennen, dass dieses System an sein Ende gekommen ist.“

Matthias Katsch, Sprecher der Missbrauchopfer-Initiative „Eckiger Tisch“
APA/AFP/Daniel Roland
Missbrauchopfer-Sprecher: „Lügengebäude krachend zusammengefallen“

Missbrauchsexperte fordert Zeichen von Benedikt XVI.

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens forderte der Experte Pater Hans Zollner ein Zeichen von Benedikt XVI. „Jetzt muss etwas vom emeritierten Papst Benedikt XVI. kommen. Er muss noch mal darauf reagieren“, sagte der Missbrauchsexperte der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in Rom. Zollner ist Mitglied der 2014 eingerichteten Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und fungiert damit als externer Berater für den Vatikan.

„Die Zahlen sind furchtbar, aber leider nicht überraschend“, erklärte Zollner. Die Gutachter werfen unter anderem Benedikt XVI. Fehlverhalten in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising vor. Diejenigen, die missbraucht wurden, bräuchten nun Gerechtigkeit und Zuwendung, forderte Zollner.

„Erschreckend“

„Für eine wirkliche Aufarbeitung sind die menschliche, psychische und spirituelle Seite wichtig. Nur dann begreift man, was mit den Opfern passiert ist.“ Es sei erschreckend, dass das nicht von der Kirche gesehen wurde, kritisierte der deutsche Jesuit.

Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ hofft auf weitere Untersuchungen in Deutschland. Sie forderte, „dass alle deutschen Bistümer unverzüglich und möglichst nach gleichem Standard Missbrauchsgutachten vorlegen, die Täter und Vertuschungsstrukturen offenlegen“, hieß es in einer Mitteilungam Donnerstag.

„Toxisches Muster“

„Wir sind Kirche“ berichtete von einem „toxischen Muster“ aus Vertuschung durch Leugnen, Versetzen und Wegschauen und erkannte eine „immer zwielichtiger werdende Rolle des damaligen Münchner Erzbischofs Joseph Ratzinger“.

Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor.