Missbrauchsstudie

Zulehner: „Dokument der Versäumnisse“

Die am Donnerstag veröffentlichte Studie zum Umgang mit Missbrauch im Erzbistum München sei „ein Dokument der Versäumnisse und der Verspätung“ und "Zeugnis dafür, „wie lange die Kirche gebraucht hat, den Ernst der Lage auch zu begreifen“, so Pastoraltheologe Paul Zulehner.

Zulehner unterstrich Zulehner am Donnerstagabend in der „ZiB2“ zugleich, dass die Kirche selbst, respektive die Erzdiözese München, die Untersuchung in Auftrag gegeben hätte, weil sie um Aufarbeitung bemüht sei. Er bezeichnete den Veröffentlichungstag als „guten Tag für die Betroffenen“.

Zulehner erinnerte im Interview an ein Gespräch mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich von der Wiener Universität, der schon vor längerer Zeit gesagt habe: Die Kirche müsse lernen, dass die Heilung eines Pädophilen eine extrem schwere Sache sei. Man dürfe niemanden in Bereichen einsetzen, wo er wieder die Möglichkeit zum Missbrauch hat.

„Schutz gilt Betroffenen, nicht der Institution“

Das, so Zulehner, habe die Kirche inzwischen gelernt und man habe auch gelernt, „dass der Schutz nicht der Institution gilt, sondern den Betroffenen“. Heute stünden die Betroffenen im Mittelpunkt. Für die Katholische Kirche unter Papst Franziskus sei klar, dass den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren müsse. Zu einer Entschuldigung brauche es auch weitere Konsequenzen, etwa in finanziellen Belangen, aber auch in der Prävention.

Pastoraltheologe zur Kritik an Benedikt XVI.

Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. werden in einem Missbrauchsgutachten für das deutsche Erzbistum München und Freising Vertuschung und Lügen vorgeworfen. Im Studio ist dazu der Pastoraltheologe Paul Zulehner.

Wie Zulehner weiter sagte, habe die Kirche inzwischen auch gelernt, dass Missbrauch nicht nur das persönliche Versagen eines Individuums sei, „sondern dass es strukturelle Begünstigungen gibt für pädophile Personen in der Kirche“. Und hier müsse die Kirche nicht nur die Fehler der Vergangenheit aufarbeiten, sondern „auch in die Zukunft schauen: Wie kann man solche Fehler künftig verhindern, wie kann man Prävention angehen, um die Kinder zu schützen?“

Österreich: Aufarbeitung langsam, aber doch

Im Blick auf den Missbrauchsskandal 1995 in Österreich um den damaligen Erzbischof von Wien, Hans Hermann Groer, betonte der Pastoraltheologe, dass Kardinal Christoph Schönborn sehr früh gehandelt habe. Auch auf der katholischen Fakultät in Wien habe es ein großes Symposium mit Fachleuten gegeben, „um genau auf diese strukturelle Seite bereits hinzuweisen“.

Dies habe sich seither auch in den Vatikan verlagert, erinnerte Zulehner an die im Frühjahr 2019 vom Papst einberufenen internationale Kinderschutz- und Anti-Missbrauchskonferenz. Die Beschäftigung mit den Problemen sei auch weltkirchlich „voll im Laufen“ und er hoffe sehr, dass dies auch noch für Österreich weitere Konsequenzen mit sich bringen werde, sagte der Theologe.

Gleichzeitig fügte er hinzu: „Die österreichische Kirche ist in den Fragen der Prävention und der Bearbeitung von Missbrauchsfällen wahrscheinlich der Weltkirche sogar ein paar Jahrzehnte voraus.“

Kein Missbrauch im „eigentlichen Sinn“ – „Unsinn“

„ZiB2“-Moderator Martin Thür konfrontierte Zulehner im Interview auch mit einem Ausschnitt aus der Stellungnahme von Benedikt XVI. für das Münchner Gutachten, wonach es nach früherem Kirchenrecht kein Missbrauch im „eigentlichem Sinn sei, wenn ein Priester jungen Mädchen seinen Penis zeige, weil er die Mädchen ja nicht berührt habe“.

Dazu meinte der Theologe, dass hier der frühere Papst wohl seinen Beratern auf den Leim gegangen sei, die ihm nahegelegt hätten, solches zu schreiben. „Es ist ein blanker Unsinn, wenn so etwas gesagt wird, weil diese kleinen Unterscheidungen ja im Grunde genommen den Taten überhaupt nicht gerecht werden, die ja moralisch schwerwiegend sind, ja geradezu kriminell sind.“

Der emeritierte Papst sei hier in eine Falle gelaufen. Nachsatz: „Das ist wahrscheinlich auch eine Schwäche des Papstes.“ „Benedikt XVI. hätte so etwas nicht unterschreiben dürfen.“ Er hätte vielmehr festhalten müssen, dass dies immer eine schwere Verfehlung sei, die dem Evangelium überhaupt nicht gerecht werde, so Zulehner.