Missbrauchsgutachten

Benedikt XVI. korrigiert Aussage für Gutachten

Der frühere Papst Benedikt XVI. hat eine wesentliche Aussage seiner Einlassung im Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert. Entgegen seiner bisherigen Darstellung habe er doch an einer brisanten Ordinariatssitzung teilgenommen, heißt es in einer von ihm veranlassten Stellungnahme.

Bei der Sitzung am 15. Jänner 1980 wurde über einen Priester gesprochen, der mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auffällig geworden war. Dieser Priester wurde später in Bayern wieder als Seelsorger eingesetzt und ist einer der zentralen Fälle des Gutachtens, das eine Anwaltskanzlei im Auftrag des Erzbistums München und Freising präsentiert hatte. Darin wird Benedikt XVI. in insgesamt vier Fällen Fehlverhalten vorgeworfen.

Der Fehler in der Stellungnahme sei aber „nicht aus böser Absicht heraus geschehen“, sondern „Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme“, so der emeritierte Papst. Das tue ihm „sehr leid“ und er bitte, das zu entschuldigen.

Verantwortung bestritten

Das unabhängige Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland hatte am Donnerstagvormittag dem Erzbistum München und Freising ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Auch Benedikt XVI. wurde schwer belastet. Er habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger (1977–-1982) in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen, teilten die Gutachter mit. In einer Stellungnahme hatte Benedikt XVI. seine Verantwortung bestritten.

Benedikt XVI. im Rollstuhl
APA/dpa-Pool/Sven Hoppe
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat eine Aussage für das Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert

In der betreffenden Sitzung sei „über einen seelsorgerlichen Einsatz des betreffenden Priesters nicht entschieden“ worden, hieß es am Montag in der via Vatican News veröffentlichten Erklärung. Vielmehr habe man lediglich der Bitte entsprochen, dem Mann „während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen“. Wie es zu dem Versehen kam, will Benedikt XVI. in einer „noch ausstehenden Stellungnahme“ erklären.

Stellungnahme zu Gutachten geplant

Eine ausführliche Stellungnahme will der ehemalige Papst zu einem späteren Zeitpunkt abgeben, sagte sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein gegenüber Kathpress in Rom. Der 94-Jährige bitte um Verständnis, dass die vollständige Durchsicht des 1.900 Seiten starken Gutachtens noch Zeit benötige.

„Er möchte aber jetzt schon klarstellen, dass er entgegen der Darstellung im Rahmen der Anhörung an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen hat. Die gegenteilige Angabe war also objektiv falsch“, heißt es in der Erklärung. Die bisherige Lektüre der Ausführungen, so die Erklärung, erfülle ihn „mit Scham und Schmerz über das Leid“, das den Opfern zugefügt wurde.

Gutachter bezweifelten Angaben

Die Gutachter bekundeten unter anderem erhebliche Zweifel an Aussagen von Benedikt XVI. zu einem besonders brisanten Fall eines Wiederholungstäters. Die Causa sorgte als „Fall Peter H.“ bereits mehrfach für internationale Schlagzeilen. Bei der betreffenden Ordinariatskonferenz im Jänner 1980 ging es darum, diesen Priester aus der Diözese Essen in München aufzunehmen.

Sendungshinweis

„Verteidiger des Glaubens“ – über Benedikt XVI. und die Machtstrukturen der römisch-katholischen Kirche.

Dienstag, 25.1.2022, 22.25 Uhr, ORF2.

Ob während der Sitzung auch über die Vorgeschichte von H. gesprochen wurde, konnten auch die WSW-Gutachter nicht mit Sicherheit klären. Benedikt XVI. hatte jedenfalls in seiner ersten, 82-seitigen Stellungnahme im Rahmen der Anhörung, die in das Gutachten aufgenommen wurde, bestritten, an der Sitzung überhaupt teilgenommen zu haben.

Laut dem Bericht waren mindestens 497 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen und anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es – darunter 173 Priester und neun Diakone. Allerdings sei das nur das „Hellfeld“ – es sei von einer viel größeren Dunkelziffer auszugehen, so das Gutachten.

Kirchenrechtler: Benedikt „verstrickt sich in Lügengebilde“

Der deutsche Kirchenrechtler Thomas Schüller warf dem emeritierten Papst am Montag vor, weiterhin die Unwahrheit zu sagen. Zwar habe Benedikt in der Erklärung von Montag zugegeben, an der entscheidenden Sitzung teilgenommen zu haben. Er bestreite aber weiterhin wahrheitswidrig, etwas über die Vorgeschichte des pädophilen Priesters H. gewusst zu haben.

„Dies ist erneut eine Unwahrheit, wie das in der vergangenen Woche vorgestellte Gutachten von Westpfahl Spilker Wastl beweisen konnte“, sagte Schüller am Montag der dpa. „Joseph Ratzinger verstrickt sich immer mehr in seine Lügengebilde und wird auch durch die angekündigte ausführliche Stellungnahme den irreparablen persönlichen Schaden für sich und sein Lebenswerk nicht mehr beseitigen können. Er beschädigt damit dauerhaft das Papstamt und damit die katholische Kirche.“

Ratzinger-Weggefährte: Entschuldigung notwendig

Der Theologe und langjährige Weggefährte von Papst Benedikt XVI., Wolfgang Beinert, fordert eine öffentliche Entschuldigung des emeritierten Papstes bei Opfern sexuellen Missbrauchs. „Das ist unbedingt notwendig“, sagte der emeritierte Theologie-Professor der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstagausgabe). „Es bleibt ihm also nur übrig zu sagen: Ja, ich habe einen Fehler begangen und bereue ihn bitterlich“, sagte er. „Anschließend müsste er ein Zeichen setzen – so er das noch kann.“

„Auch Päpste sind vor Lügen nicht gefeit“, sagte der Ratzinger-Schüler Beinert. „Alle Menschen sind Sünder, Päpste auch. Und auch Päpste sind Menschen, die in der Not zum rettenden Strohhalm greifen“. „Mich hat das erschüttert“, sagte er über Äußerungen Ratzingers, einer der beschuldigten Priester habe als Privatmann gehandelt. „Ich glaube, Ratzinger hat die Dimension dessen, was da geschehen ist, überhaupt noch nicht begriffen“, so der 88-jährige Theologe.

Opfervertreter enttäuscht

Der Sprecher der deutschen Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, zeigte sich enttäuscht über die Stellungnahme von Benedikt. Er habe sich nur dafür entschuldigt, dass er eine falsche Angabe zu seiner Teilnahme an einer Sitzung im Jahr 1980 gemacht habe.

„Entschuldigen müsste er sich eigentlich für den ganzen Vorgang, denn er ist mit dafür verantwortlich, dass dieser Priestertäter anschließend jahrzehntelang Kinder im Bistum gefährden konnte“, berichtete die dpa. „Das ist ja der eigentliche Skandal.“

Es sei ein Muster in der katholischen Kirche, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr bestreiten lasse. „Damit trägt er dazu bei, dass man wirklich das Gefühl hat, man kann ihnen nichts glauben.“ Viel besser wäre es, die Größe zu haben, den Fehler zuzugeben und dafür um Verzeihung zu bitten, sagte Katsch.

„Wir sind Kirche“: Stellungnahme „peinlich“

Die deutsche katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ bezeichnete die Stellungnahme des emeritierten Papstes als „peinlich“. „Was immer noch fehlt, ist sein persönliches Schuldeingeständnis“, sagte „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner der dpa am Montag.

Durch falsche Entscheidungen im Fall dieses Priesters sei „vielen Betroffenen großes Leid zugestoßen. Das hätte durch ihn verhindert werden können. Dieser Gesamtverantwortung muss er sich stellen“, sagte Weisner. „Es ist höchst peinlich und unglaubwürdig, dass Joseph Ratzinger seine erste Stellungnahme zum Münchner Gutachten in einem so entscheidenden und leicht nachprüfbaren Punkt korrigieren muss“.