Abu Dhabi

„Tag der Geschwisterlichkeit“ mit Papst und Großimam

Am Freitag wird der zweite „Internationale Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen“ begangen. Zu diesem Anlass eröffnete der Vatikan eine neue Botschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Der Schritt gilt als Beweis für die guten bilateralen Beziehungen zwischen den Emiraten und dem Heiligen Stuhl.

Der „Tag der Geschwisterlichkeit“ erinnert an das am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi von Papst Franziskus und Großimam Ahmed al-Tajjib unterzeichnete „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“. Bei der derzeit in den VAE laufenden Weltausstellung „Expo“ finden zum Jahrestag mehrere Aktionen, darunter eine interreligiöse Konferenz sowie ein kleiner interreligiöser Friedensmarsch, statt.

„Unter dem gleichen Himmel“ lautet das diesjährige Motto des von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Tags der Geschwisterlichkeit“. In einem Videofilm, den der Vatikan dazu in 22 Sprachen produziert hat und der im Rahmen der „Expo“ in Abu Dhabi gezeigt wird, heißt es dazu: „Lasst uns zum Himmel aufschauen und an Gott glauben, der uns keine Feinde wünscht, sondern nur Brüder und Schwestern.“ Zu sehen sind Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen bei Gebet, Meditation, Gottesdienst oder gemeinsamer Mahlzeit.

Papst Franziskus und Großimam Ahmed al-Tajjib begrüßen einander am 4. Oktober 2021 im Vatikan
APA/AFP/Vatican Media
Papst Franziskus und Großimam Ahmed al-Tajjib im Oktober 2021 im Vatikan

Das rund zweieinhalb Minuten lange Video zeichnet das Idealbild einer Menschheitsfamilie, wie es wohl in allen Religionen verkündet und erhofft wird. Ohne dabei auszublenden, dass es in allen Familien Konflikte, Streit und Leid gibt. In seinem Video sagt Papst Franziskus: „Im Namen Gottes müssen wir, die wir seine Geschöpfe sind, anerkennen, dass wir Brüder und Schwestern sind.“ Drei Mal wiederholt er seine Warnung: „Entweder sind wir Brüder und Schwestern oder alles bricht zusammen.“ Dies sei „keine Melodramatik, sondern die Wahrheit“.

Daher sei „heute ein guter Tag, um uns die Hand zu reichen, um unsere Einheit in der Vielfalt zu feiern – Einheit, nicht Einheitlichkeit“. Gegen die weit verbreitete Gleichgültigkeit sei nun die Zeit der Geschwisterlichkeit gekommen, um in Solidarität miteinander zu leben.

Großimam mit eigener Botschaft

Der Großimam beschwor in einer eigenen Botschaft, „die Vorzeichen von Angst und Panik“ über der Welt mögen „betäubte Gewissen, arrogante Seelen“ sowie „Menschen mit privaten Absichten“ aufrütteln, „damit sie sich mit aufrichtigen Führern und Weisen solidarisieren, um die Menschheit aus den aufeinanderfolgenden Krisen zu befreien, die sich in allen Ecken des Globus auftürmen“.

Arme, Waisen und Vertriebene der Welt, so al-Tayyeb, litten „sowohl unter dem harten Leben als auch unter den harten Herzen der Reichen, die über Reichtum, Macht und Einfluss verfügen“. Sie seien „Opfer des modernen Materialismus mit seinen Begleiterscheinungen wie übermäßigem Egoismus“, Begierden und Wünschen sowie der „Vergötterung des Menschen und seiner individualistischen Neigungen“.

Interreligiöses Dokument auch Wagnis

Ihr 2019 während eines Papstbesuchs in den Emiraten unterzeichnetes Abu-Dhabi-„Document on Human Fraternity“ gilt als Meilenstein im interreligiösen Dialog. Franziskus und Al-Tajjib erteilen darin jeglicher Gewalt im Namen von Religion eine Absage und fordern von den Gläubigen ihrer Glaubensgemeinschaften den Einsatz für Grundrechte und die Bewahrung der Schöpfung.

Für beide Religionsführer war das Dokument ein Wagnis. Weswegen es bis wenige Minuten vor der Unterzeichnung geheim gehalten worden war. Franziskus ließ die Entwürfe an der vatikanischen Kurie vorbei erstellen. Al-Tajjib, der im sunnitischen Islam eine deutlich schwächere Stellung hat als der römische Papst, musste sowieso vorsichtiger auftreten.

Realpolitischer Kompromiss

Unter dem Protektorat von Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, dem starken Mann der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), gründete sich bald darauf ein „Höheres Komitee für Geschwisterlichkeit aller Menschen“. Dessen Aufgabe ist im Wesentlichen die Verbreitung der Ideen und Anliegen des Dokuments von Abu Dhabi.

Dass die Emirate und bin Zayed als stellvertretender Streitkräfte-Kommandant mit ihrem Engagement im Jemen-Krieg nicht die glaubwürdigsten Zeugen für Geschwisterlichkeit sind, ist ein realpolitischer Kompromiss, den die Religionsführer eingehen mussten.

Immerhin gelang es dem Komitee, dem unter anderem Kurienkardinal Miguel Ayuso und der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Ioan Sauca, angehören, UNO-Generalsekretär Antonio Guterres für die Idee des „Welttags der Geschwisterlichkeit“ zu gewinnen, der nun zum zweiten Mal begangen wird.

Dialog in der arabischen Welt

Am Mittwoch wurde das Komitee in Abu Dhabi von Scheich bin Zayed empfangen. Am Donnerstag und Freitag sind auf der „EXPO2020“ in Dubai mehrere Aktionen geplant. Dazu gehören eine interreligiöse Konferenz wie ein kleiner interreligiöser Friedensmarsch, an dem Ayuso und Vertreter anderer Konfessionen und Religionen teilnehmen wollen. Das Thema der pandemiebedingt verschobenen Weltausstellung lautet „Connecting Minds, creating the future“. Dieses Anliegen, so Kardinal Ayuso, solle im Pavillon des Heiligen Stuhls vertieft werden.

Einen weiteren Vorposten für den interreligiösen Dialog in der arabischen Welt errichtete der Vatikan am Mittwoch in Abu Dhabi: eine eigene Nuntiatur. Bisher saß der päpstliche Nuntius für die Emirate in Kuwait. Dazu war eigens Kurien-Erzbischof Edgar Pena Parra angereist. Begleitet wurde der zweite Mann des vatikanischen Staatssekretariats von Yoannis Gaid. Der ägyptische Geistliche war früher Privatsekretär von Franziskus und begleitete den Papst bei dessen historischem Besuch auf der arabischen Halbinsel.

Dokument intern auch kritisiert

Dass der päpstliche Coup 2019 in Abu Dhabi vatikanintern zumindest auf Stirnrunzeln und teils auch auf offene Kritik stieß, ist kein Geheimnis. Zudem ist die Stellung des Päpstlichen Rats für interreligiösen Dialog unter Kardinal Ayuso in der Kurie nicht die stärkste.

Daher hat Franziskus zusätzlich seine Entwicklungsbehörde und deren mutmaßlich künftigen Chef, Kardinal Michael Czerny, beauftragt, sich des Themas anzunehmen. Das sei nur natürlich, so Czerny am Donnerstag auf „Vatican News“. „Das Dokument berührt viele, wenn nicht sogar alle der wichtigsten Themen, mit denen sich das Dikasterium beschäftigt“, so der Kurienkardinal.

Schönborn: Religionen müssen sich „zusammenraufen“

Kardinal Christoph Schönborn zeigte sich in seinem Freitagskommentar in der Gratiszeitung „Heute“ überzeugt, dass sich die Religionen als Geschwister „zusammenraufen“ müssen. Es sei eine denkwürdige Begegnung in Abu Dhabi gewesen, so Schönborn: "Christentum und Islam, zwei ihrer höchsten Vertreter, unterzeichnen eine gemeinsame Erklärung.

Die Grundidee: Alle Menschen sind Geschwister. Wir gehören zur einen großen Menschheitsfamilie. Nur wenn wir einander als Geschwister begegnen, kann es gelingen: statt Terror und Krieg gegenseitige Achtung und Gespräch. Miteinander statt gegeneinander. Das Gemeinsame der Religionen, nicht das Trennende!"

Freilich: „Wer selber Geschwister hat, weiß: Kaum eine Familie kommt ganz ohne Konflikte aus. Familienstreit kann sehr bitter werden. Was Wunder, dass es in der Menschheitsfamilie immer wieder kracht.“ Papst und Großimam seien aber nicht blauäugig, sondern überzeugt, so Schönborn: „Weil wir eine Menschheitsfamilie sind, müssen wir uns zusammenraufen. Es ist lebenswichtig für alle. Denn trotz allem: Geschwister bleiben Geschwister!“