Sicht auf München mit der Frauenkirche (li.)
Christof Stache
Christof Stache
Missbrauchsgutachten

Benedikt XVI. bittet um Entschuldigung

Rund drei Wochen nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachten und der Kritik am früheren Papst Benedikt XVI. hat dieser nun in einem Brief um Entschuldigung gebeten. Vorwürfe, er habe Missbrauch vertuscht, weisen seine Anwälte aber zurück.

„Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“, schreibt Benedikt XVI. Er bekundete seine „tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs“. Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs sei furchtbar und „nicht wieder gut zu machen“. Betroffenen von sexuellem Missbrauch sprach der frühere Papst sein „tiefes Mitgefühl“ aus. „Ich bedauere jeden einzelnen Fall.“

Bei all seinen Begegnungen mit von Priestern sexuell missbrauchten Menschen habe er „den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht“.

Papst Benedikt XVI
Reuters/Max Rossi
Benedikt XVI. bittet um Entschuldigung

„Übergroße Schuld“

Es berühre ihn immer stärker, dass die Kirche an den Eingang der Feier des Gottesdienstes „das Bekenntnis unserer Schuld und die Bitte um Vergebung setzt“, schreibt Benedikt XVI. „Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld“.

Ihm sei klar, dass das Wort „übergroß“ nicht jeden Tag, jeden einzelnen in gleicher Weise meint. „Aber es fragt mich jeden Tag an, ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muss. Und es sagt mir tröstend, wie groß auch immer meine Schuld heute ist, der Herr vergibt mir, wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin.“

Jünger schliefen

Benedikt XVI. nahm in seinem Brief auch Bezug auf die Bibel. „Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte. Dass gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle.“

In den biblischen Passionserzählungen wird berichtet, dass Jesus angstvoll zu Gott betete, er möge den Kelch des Schmerzes und des Todes doch an ihm vorübergehen lassen, während die Jünger eingeschlafen waren.

Benedikt XVI. bittet um Entschuldigung

Rund drei Wochen nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens und der Kritik am früheren Papst Benedikt XVI. hat dieser nun in einem Brief um Entschuldigung gebeten: „Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“, schreibt er darin.

„Bald vor dem endgültigen Richter“

In seinem Schreiben wandte sich der emeritierte Papst auch an seine „lieben Schwestern und Brüder“ und bat sie, für ihn zu beten. „Ich werde ja nun bald vor dem endgültigen Richter meines Lebens stehen. Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, dass der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt ist“.

Gutachten belastetet Benedikt XVI.

Ein unabhängiges Gutachten zum Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland stellte dem Erzbistum München und Freising, die das Gutachten beauftragt hatte, vor drei Wochen ein schlechtes Zeugnis aus. Auch Benedikt XVI. wurde schwer belastet. Er habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger (1977–1982) in vier Fällen nichts gegen des Missbrauchs beschuldigte Kleriker unternommen. In einer Stellungnahme bestritt Benedikt XVI. demnach seine Verantwortung „strikt“, die Gutachter halten das aber nicht für glaubwürdig, wie Rechtsanwalt Martin Pusch sagte.

So habe der frühere Papst angegeben, er sei 1980 als Erzbischof von München und Freising bei einer zentralen Sitzung nicht anwesend gewesen. In dieser Sitzung soll entschieden worden sein, dass ein bekanntermaßen pädophiler Priester in das Erzbistum München übernommen und wieder in der Seelsorge eingesetzt werden sollte. Der übernommene Priester missbrauchte anschließend erneut Kinder. Benedikt XVI. hatte in seiner 82-seitigen Stellungnahme an die Gutachter versichert, er habe an der Sitzung nicht teilgenommen. Diese Aussage korrigierte er aber später.

Vorwurf der Lüge „tief getroffen“

Es habe sich aber um einen Fehler gehandelt und nicht um Vorsatz, wie Benedikt XVI. in dem Brief ausführt. „Es waren über die von der Kanzlei mir gestellten Fragen hinaus nahezu 8000 Seiten digitale Aktendokumentation zu lesen und auszuwerten“, Mitarbeiter hätten ihm geholfen, das fast 2000-seitige Gutachten zu studieren und zu analysieren. „Bei der Riesenarbeit“ sei „ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft“. Dieser Fehler, „der bedauerlicherweise geschehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar“.

Dass das Versehen ausgenutzt worden sei, um an seiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, „ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen“, so der früherer Papst. Um so bewegender seien für ihn „die vielfältigen Stimmen des Vertrauens, herzlichen Zeugnisse und berührenden Briefe der Ermutigung, die mich von sehr vielen Menschen erreicht haben“. Besonders dankbar sei er für „das Vertrauen, für die Unterstützung und für das Gebet, das mir Papst Franziskus persönlich ausgedrückt hat“.

„Keine Vertuschung“

Die Gutachter der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) gehen davon aus, dass Ratzinger in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Priester, die Kinder missbraucht hatten, wieder in der Seelsorge einsetzte. Diese Vorwürfe werden in einem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten „Faktencheck“ von Ratzingers Anwälten und Beratern kategorisch abgestritten. „Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung“, heißt es darin. „Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.“

Ratzinger habe weder Kenntnis davon gehabt, „dass Priester X. ein Missbrauchstäter ist, noch dass dieser in der Seelsorge eingesetzt wird“. Laut Aktenlage sei in der betreffenden Sitzung nicht entschieden worden, „dass ein Missbrauchstäter in der Seelsorge eingesetzt wird“. Im Übrigen präsentiere das von der Erzdiözese München beauftragte Gutachten keine Beweise dafür, dass in den untersuchten Fällen „Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester“ gehabt habe.

Exhibitionismus nicht verharmlost

Außerdem weisen Ratzingers Anwälte und Berater die Behauptung zurück, Benedikt XVI. habe in seiner Einlassung Exhibitionismus verharmlost. Vielmehr habe er in aller Deutlichkeit gesagt, „dass die Missbrauchstaten, einschließlich des Exhibitionismus, ‚furchtbar‘, ‚sündhaft‘, ‚moralisch verwerflich‘ und ‚nicht wieder gut zu machen‘ sind“.

In der Stellungnahme für das WSW-Gutachten habe man „lediglich in der kirchenrechtlichen Bewertung geäußert, dass es sich nach dem damals geltenden Recht (…) bei Exhibitionismus nicht um eine kirchenrechtliche Straftat handelte, da die einschlägige Strafvorschrift derartige Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasste“.

Betroffene „wütend“

Die Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ äußerte sich am Dienstag zu dem Schreiben. Man sei enttäuscht und wütend über den Brief. „Schmerz und Scham" – Betroffene können es nicht mehr hören“, teilte die Initiative mit. Das Statement des ehemaligen Papstes reihe sich ein in die „permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch: Vergehen und Fehler seien geschehen, doch niemand übernimmt konkret Verantwortung“.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, begrüßte die persönliche Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und dessen Entschuldigung an die Missbrauchsopfer. Benedikt habe zugesagt, sich zu äußern und das nun eingelöst, twitterte der Bischofskonferenz-Vorsitzende am Dienstag. „Dafür bin ich dankbar und dafür gebührt ihm Respekt.“