Missbrauchsgutachten

Anerkennung und Kritik für Stellungnahme von Benedikt XVI.

Geteilte Reaktionen hat der Brief ausgelöst, mit dem der emeritierte Papst Benedikt XVI. am Dienstag eine weitere Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten abgegeben hat.

In Deutschland werde das Schreiben vielfach als ungenügend beurteilt, während es in Italien zumeist als beeindruckendes Schuldbekenntnis gelesen werde, erklärte der Kinderschutz-Experte und Jesuit Hans Zollner auf Anfrage von Kathpress.

Der Brief trage nun, anders als die zuvor veröffentlichte knappe Stellungnahme, tatsächlich die Handschrift des Ex-Papstes. Es sei sehr persönlich, aber zu allgemein gehalten und hätte besser zuerst das Bekenntnis gegenüber Betroffenen, dann erst den Dank an Freunde bringen sollen, befand der Leiter des bisherigen Kinderschutzzentrums und neuen Safeguarding-Instituts in Rom.

Privatsekretär beklagt Kampagne gegen emeritierten Papst

Der Privatsekretär des emeritierten Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, beklagte unterdessen eine Kampagne gegen das frühere Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. „Es gibt es eine Strömung, die seine Person und seine Arbeit wirklich zerstören will.“ Diese „Strömung“ habe „seine Person, seine Theologie und sein Pontifikat nie geliebt“, so Gänswein in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ (Mittwochausgabe).

Der Missbrauchsskandal in Deutschland sei „eine ideale Gelegenheit zur Abrechnung“. „Viele lassen sich leider von diesem feigen Angriff täuschen, es gibt so viel Dreck“, beklagte der Erzbischof. Für den Sekretär des emeritierten Papstes Joseph Razinger „wissen diejenigen, die Benedikt kennen, dass die Anschuldigung, er habe gelogen, absurd ist“. „Man muss zwischen einem Fehler und einer Lüge unterscheiden“, mahnte Gänswein.

Als Kardinal Kurs gegen Pädophilie in der Kirche gewählt

Im Kampf gegen die Pädophilie in der Kirche habe Ratzinger als erster als Kardinal gehandelt hat und dann als Papst die Linie der Transparenz fortgesetzt. Während Benedikt XVI. den Mea-Culpa-Brief schrieb, „dachte er an die Missbrauchsopfer und vor seinen Augen hatte er Gott selbst“, betonte Gänswein.

Benedikt XVI. hatte in einer Stellungnahme Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche um Verzeihung gebeten – konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich, wie im Münchner Gutachten festgehalten, aber entschieden zurückgewiesen.

„Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“, schrieb er in einer Stellungnahme, die der Vatikan am Dienstag veröffentlichte. Ratzinger war 1977-1981 Erzbischof von München und Freising.

Anerkennung vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz

Anerkennung für das Schreiben kam aus Deutschland laut Kathpress zunächst vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, jedoch auch von seinem Amtsvorgänger und nunmehrigen Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx.

Benedikt XVI. bringe darin seine „tiefe Scham“, seinen „großen Schmerz“ und seine „Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck“, erklärte Marx am Dienstag.

Zugleich betonte der Kardinal erneut, die Erzdiözese und er selbst als Erzbischof nähmen das Gutachten, „in dem es besonders im Blick auf die Leitungsebene auch um persönliche und institutionelle Verantwortung geht, sehr ernst“. Die Empfehlungen der Gutachter würden zusammen mit dem Betroffenenbeirat und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission aufgegriffen.

Enttäuschung und Ärger bei Betroffenen-Organisationen

Enttäuschung und Ärger signalisierten hingegen Betroffenen-Organisationen wie etwa „Eckiger Tisch“. Benedikts Stellungnahme reihe sich ein „in die permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch: Vergehen und Fehler seien geschehen, doch niemand übernimmt konkret Verantwortung“, hieß es in einer Aussendung vom Dienstag.

„Bestürzt und betroffen“ von Benedikts persönlicher Erklärung zeigte sich auch der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick. Es fehle ein „wirklich empathisches Gegenübertreten“ mit Blick auf die vielen Menschen, die in der Kirche Missbrauch und Gewalt erfahren hätten.

Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, bezeichnete es gegenüber domradio.de als „grundsätzlich gut“, dass Benedikt XVI. in seinem Schreiben auch um Verzeihung bitte. Dieser Schritt komme aber „deutlich zu spät“. Zudem rücke der Ex-Papst nicht sein eigenes Handeln in den Fokus, sondern erkläre sich für Taten anderer verantwortlich, was statt einer persönlicher bloß eine „politische Verantwortungsübernahme“ sei.

Kritik vom Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Eine zu allgemeine gehaltene Entschuldigung kritisierte auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, die Benedikts Brief für „nicht überzeugend“ hielt. Was fehle, sei Empathie gegenüber den Betroffenen.

Ähnlich äußerte sich die Gruppe „Wir sind Kirche“: „Ratzinger sieht sich selber immer noch als Opfer, das in übergroße Schuld hineingezogen wurde. Und er ist nicht bereit, zu der nicht delegierbaren Gesamtverantwortung zu stehen, die ein Bischof hat“, sagte Sprecher Christian Weisner am Dienstag in München.

Ratzinger habe „Gewissenserforschung betrieben“

Als einen „Befreiungsschlag“ nannte dagegen der deutsche Psychiater und Vatikan-Berater Manfred Lütz den Brief. Benedikt übernehme „ohne Wenn und Aber die sozusagen politische Verantwortung für das, was in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising dort an Schrecklichem geschehen ist“, sagte Lütz der dpa.

Für den theologischen Leiter des Benedikt-Geburtshauses in Marktl am Inn, Franz Haringer, ist die Äußerung „menschlich und geistlich tief bewegend“. Ratzinger habe „Gewissenserforschung betrieben“. „Dieselbe Haltung wünsche ich mir von manchen, die in den letzten Tagen harsche und vorschnelle Urteile über ihn gefällt haben.“

„Zeugnis der Wahrhaftigkeit“

Als ein „Zeugnis der Wahrhaftigkeit“ bezeichnete der Jesuit Federico Lombardi, langjähriger Pressesprecher der Päpste und nunmehr Präsident der Stiftung Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., in einem Interview mit Radio Vatikan das Schreiben.

Der emeritierte Papst habe sehr gelitten unter dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, „ein Lügner zu sein, also wissentlich über konkrete Situationen gelogen zu haben“, sagte der frühere Vatikan-Sprecher. „Der Dienst an der Wahrheit stand immer an erster Stelle“, könne er selbst als einstiger enger Mitarbeiter bezeugen.