„Das Kreuz war zur Zeit des Frühchristentums ein geläufiges Symbol, sowohl im ägyptischen als auch im jüdischen oder im römischen Bereich“, so Wegscheider. Weil Jesus am Kreuz gestorben war, mussten sich die Christen und Christinnen schon früh mit seiner Bedeutung auseinandersetzen. Zum Symbol des christlichen Glaubens sei es aber erst mit der Zeit geworden.
Obwohl das Kreuz ein Marterwerkzeug war, sei schon in den frühesten christlichen Schriften, etwa bei Paulus, versucht worden, „das Kreuz bei all seiner Problematik als etwas Positives zu bestimmen“. So wurde es zum Zeichen dafür, dass „Christus nicht zum Schein gelitten hat, dass dieser Christus wirklich gestorben ist. Und dass Gott treu war bis in den Tod hinein und diesen Christus auferweckt hat.“ Die verschiedenen Kreuztypen sind „einfach Entwicklungen in der Symbolik, die dann später eine allegorische Deutung erfahren“ haben, so Wegscheider.
Zahlreiche Bedeutungen
Eine der einfacheren Kreuzdarstellungen ist das Tau- oder Antoniuskreuz. Dargestellt wird es als Balken, der auf einem Kreuzstamm liegt. Seine Bezeichnung leitet sich vom griechischen Buchstaben Tau ab oder noch wahrscheinlicher vom letzten Buchstaben des hebräischen Alphabets Taw, erklärt Wegscheider. Es wurde zum Kennzeichen des christlichen ägyptischen Mönchs und Asketen Antonius. Später verbreitete es vor allem Franz von Assisi, der es als Segenszeichen und Zeichen von Demut und Erlösung verwendet haben soll.

Ebenso einfach in der Darstellung ist das Griechische Kreuz. Es hat „zwei gleich lange Schenkel, die sich in der Mitte treffen und ist vermutlich das älteste Kreuz im Christentum“, so Wegscheider. Das Griechische Kreuz spielt in der Architektur für den Grundriss byzantinischer und syrischer Kirchen eine große Rolle. Abgebildet ist es auch in einigen Staatswappen, wie in der Schweizer Flagge oder den Symbolbildern internationaler Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz.

Darüber hinaus wird das Griechische Kreuz auch als Sühnekreuz verwendet. Diese Flur- oder Wegkreuze wurden im Mittelalter für begangene Morde oder nach einem Totschlag aufgestellt. Die steinernen Kreuze sollten das Seelenheil der Verstorbenen retten.
Himmel und Hölle
Das Lateinische Kreuz, dessen Längsbalken länger ist als der Querbalken, stellt eine Entwicklung aus dem Griechischen Kreuz dar, so Wegscheider. Es symbolisiere einerseits den Opfertod Jesu, sei aber auch Zeichen für die Verbundenheit des Menschen mit der Erde, den Mitmenschen und dem Göttlichen. „Eine Steigerung zu dem ist das Patriarchalkreuz mit zwei Querbalken“, erklärt Wegscheider. Über dem langen Querbalken hat dieses einen zweiten kleinen Balken, der das Brett symbolisiert, auf dem die Inschrift INRI (‚Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum‘, deutsch: ‚Jesus von Nazareth, König der Juden‘) zu lesen war.

Das Russische Kreuz stellt eine besondere Form des Lateinischen Kreuzes dar, so Wegscheider. Bei diesem verläuft der unterste Kreuzarm, aus der Perspektive des Betrachters oder der Betrachterin, von links oben nach rechts unten. „Es symbolisiert den Übergang oder die Entscheidung zwischen ‚Himmel‘ und ‚Hölle‘“, erklärt Wegscheider. So habe der Dieb, der zur Rechten Jesu gekreuzigt wurde, seine Tat bereut, nicht aber jener zu seiner Linken, so die Erzählung.
Kreuz und Nationalsozialismus
Das Tatzenkreuz ist ein griechisches Kreuz mit sich verbreiternden Balkenenden. „Dieses war in den Ritterorden vertreten, hat aber aufgrund der Verwendung in der Wehrmacht eine Prägung erhalten, die eine Nähe zum Nationalsozialismus vermuten ließe“, sagt Wegscheider. Diese Nähe sei aber nicht gegeben.
Deutlich werde das auch daran, dass das Tatzenkreuz von Ordensgemeinschaften verwendet wird, die nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben. So sei etwa das Johanniterkreuz eine Abwandlung der Form des Tatzenkreuzes. Was sich hier zeige, so Wegscheider, ist, dass es immer wieder unterschiedliche Entwicklungsströme in der Darstellung und Verwendung von Kreuzen gegeben hat. Umso wichtiger sei der Blick auf die unterschiedlichen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichten.
Zeichen der Hoffnung
Weitere bekannte Kreuze sind, wie Wegscheider darlegt, das Andreaskreuz, das sich etwa an Bahnübergängen finden lässt, oder das Petruskreuz, ein verkehrtes Lateinisches Kreuz. „Interessanterweise hat sich dieses weitaus später in satanistischen oder satanischen Kreisen zu einem Gegenzeichnen zum christlichen Kreuz entwickelt“, so Wegscheider. Dabei hatte es ursprünglich eine klar christliche Konnotation. Sei es doch Petrus gewesen, der verkehrt und „nicht wie Jesus Christus gekreuzigt werden wollte, weil er sich nicht als würdig gesehen hat“.

Bis heute klar christlich konnotiert ist das Kleeblattkreuz, das sich häufig bei Beerdigungen und auf Friedhöfen findet. Die Enden der Balken haben die Form eines dreiblättrigen Kleeblatts und werden als Zeichen für die Dreifaltigkeit und damit für Gott, Sohn und Heiliger Geist gedeutet. Sie sollen gerade auf dem Friedhof Trost und Hoffnung spenden.
„Leid hat nicht das letzte Wort“
„Wichtig ist, dass bei all den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Kreuze das Symbol doch immer dieselbe Botschaft trägt: Es erzählt davon, dass das Leid nicht das letzte Wort hat“, sagt Wegscheider. Diese Botschaft sei, so Wegscheider, eine „universale, die alle Religionen vermitteln wollen“. Das Kreuz biete also Anlass für einen gemeinsamen Dialog, auch für Nichtgläubige.

Die Kreuzverehrung begann im vierten Jahrhundert mit dem aufkommenden Pilgerwesen, so Wegscheider. Gerade dort, wo das Kreuz die Landschaften prägt, wäre es wichtig, das Symbol wieder neu zu erschließen, sagt Wegscheider. „Warum stellen wir es auf das in vielen Dörfern höchste Gebäude? Was wollen wir damit zum Ausdruck bringen?“ Diese Fragen gemeinsam zu diskutieren würde Wegscheider gerade auch im Sinne der Osterzeit „als einen fruchtbringenden Ansatz sehen“.