Innenraum einer evangelischen Kirche in Russland
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Ukraine-Krieg

Repressionen: Lutherischer Erzbischof floh aus Russland

Der leitende Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands (ELKR), Dietrich Brauer, ist wegen staatlicher Repressionen mit seiner Familie aus Moskau nach Deutschland geflohen. „Es gab eine klare Forderung des Präsidialamtes an alle religiösen Leader, sich zu äußern und den Krieg zu unterstützen“, so Brauer.

Der Erzbischof äußerte sich in einem Interview für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Die meisten seien diesem Appell nachgekommen. Ein katholischer Bischof habe sich auf den Vatikan berufen und geschwiegen. Der Oberrabbiner, der aber auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitze, habe kluge Worte gewählt und alle aufgerufen, sich für den Frieden einzusetzen.

„Dem hätten wir uns anschließen können“, so Brauer: „Ich wollte eine gemeinsame Erklärung mit allen Religionsgemeinschaften verfassen, aber dem haben sich die anderen nicht angeschlossen. Gemeinsam hätten wir etwas bewegen können.“ Er könne „im Moment“ nicht nach Russland zurückkehren, sagte der Bischof: „Ich distanziere mich klar und öffentlich von diesem Krieg, der nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine ist, sondern ein Krieg gegen die Menschlichkeit. Er wird nicht in unserem Namen geführt.“

Staatliche Repressionen „unvorstellbar“

Die neuesten staatlichen Repressionen seinen „unvorstellbar“. Brauer: „Wir durften nicht vom Krieg sprechen, nicht für den Frieden beten und keinen Kontakt zu unseren ukrainischen Geschwistern aufnehmen.“

In seiner Predigt in der Moskauer St.-Peter-und-Pauli-Kathedrale habe er davon gesprochen, dass eine neue Zeit angebrochen sei, „in der wir keine Erklärung mehr für das Geschehen finden. Wir spüren unsere Macht- und Hilflosigkeit, irgendwie auf die Situation einzuwirken.“ Wie der Bischof in dem Interview sagte, hätten viele Gemeindemitglieder geweint und ihre Ängste ausgesprochen.

Narrativ über Christenverfolgung in der Ukraine

Die Russisch-orthodoxe Kirche verbreitet laut Brauer „seit Jahren ein Narrativ über Christenverfolgung und Völkermord in der Ukraine“. Skeptisch äußerte er sich hinsichtlich der Möglichkeit eines Protests von unten in dieser Kirche: „Manche Bischöfe äußern sich, aber viele Priester und Gläubige haben Angst. Dazu kommt noch die innere Zerrissenheit.“

Brauer ist seit 2011 Bischof für den europäischen Teil Russlands und seit 2014 Erzbischof der ELKR. Er wurde 1983 in der ostsibirischen Hafenstadt Wladiwostok geboren. Als gebürtiger Russe wurde er als erster lutherischer Bischof in den „Rat für die Zusammenarbeit mit religiösen Vereinigungen“ beim Präsidenten der Russischen Föderation berufen. Er ist mit der Pfarrerin Tatjana Petrenko verheiratet und hat drei Kinder. Die Familie wohnt nun im Südwesten Deutschlands. Die ELKR zählt etwa 170 Kirchengemeinden sowie rund 50 Pfarrerinnen und Pfarrer.

Moskauer Berichterstattung

Die Russisch-orthodoxe Kirche verbreitet unterdessen ihre eigene Sicht des „Konflikts“ in der Ukraine, wie der Ökumene-Fachdienst der deutschen Katholischen Nachrichtenagentur KNA in seiner aktuellen Ausgabe berichtet. Auf der offiziellen Homepage des Moskauer Patriarchats, die die Zerstörung von Mariupol und anderer Städte durch die russische Armee totschweigt, findet sich demnach die Meldung, wonach am 20. März in der Stadt Volnovakha in der Nähe von Mariupol „mit dem Segen des Metropoliten Ilarion von Donezk und Mariupol in der Heilig-Geist-Kirche der erste Gottesdienst nach dem Ende der Kampfhandlungen von Archimandrit Ignaty (Zyuzin) gefeiert“ wurde.

Obwohl die Heilig-Geist-Kirche „durch Beschuss beschädigt“ worden sei, seien „ihre wichtigsten Heiligtümer erhalten geblieben“. Nach dem Gottesdienst habe Archimandrit Ignaty „den Gemeindemitgliedern die aus Russland gesandten Hilfsgüter – Lebensmittel, Säuglingsnahrung und Medikamente“ überbracht, die von diesen vorab angefordert worden seien.