Menschen mit Koffern am Hauptbahnhof in Wien
APA/Tobias Steinmaurer
APA/Tobias Steinmaurer

Religion immer öfter Thema der Migrationsdebatte

Religion ist in Österreich in den letzten Jahren immer öfter zum Inhalt politischer Migrationsdebatten geworden, dabei habe sich die „religiöse Sprachfähigkeit“ innerhalb der Bevölkerung, aber auch unter den politischen Entscheidungsträgern, verschlechtert, so die Analyse der Religionswissenschaftlerin Astrid Mattes.

Der Fokus der Debatte sei zuletzt immer auf dem Islam gelegen, das wolle ihre Publikation „Migration und Religion“ "bewusst aufbrechen, betonte die an der Uni Wien lehrende Autorin bei der Buchvorstellung am Montagabend in der Wiener Hauptbücherei. Dass Migration nicht immer nur muslimisch konnotiert sein muss, zeige das aktuelle Beispiel der Flüchtenden aus der Ukraine, die weitgehend einen christlichen Hintergrund haben.

Fest stehe, „die Religionslandschaft verändert sich nicht nur durch Migration, sondern auch dadurch, dass immer weniger Menschen sich einer Religion zugehörig fühlen. Religion kann im Migrationsprozess Grund für etwa Flucht, aber auch Anknüpfungspunkt für den Heimatbezug sein“, betonte Mattes.

Buchcover „Migration und Religion“ von Astrid Mattes
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Astrid Mattes, „Migration & Religion“, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2022.

„Die Ausländer“, „die Muslime“

Religion und insbesondere religiöser Extremismus werde heute viel öfter als noch vor 20 Jahren mit der Migrations- bzw. Integrationsdebatte in Zusammenhang gebracht. In Österreich habe diese undifferenzierte Gleichsetzung um das Jahr 2006 begonnen, als die FPÖ das Thema für sich entdeckt habe und plötzlich nicht mehr auf „die Ausländer“ an sich abstellte, sondern mit den muslimisch geprägten Einwanderern eine ganz bestimmte Gruppe an den politischen Pranger stellte.

„Plötzlich wurde der Islam zum Feindbild“, so Mattes. Werte wie Gleichberechtigung von Frauen wurden Muslimen allgemein abgesprochen. Ähnliche Narrative habe später auch die türkise ÖVP unter Sebastian Kurz übernommen. Interessant werde es nun, ob sich hier etwas am Zugang der Volkspartei ändert, nachdem wieder verstärkt die Landeshauptleute die Linie der Partei mitzeichnen.

Es sei eindeutig zu beobachten gewesen, „dass auf einmal alle etwas zu diesem Thema zu sagen gehabt haben“, erinnerte Mattes. Dabei wurde wenig auf wissenschaftliche Evidenz geachtet und es seien teils unzulässige Schlüsse gezogen worden.

Religion politisch instrumentalisiert

Die Politik habe vieles instrumentalisiert und die Medien hätten das Ihre dazugetan, indem sie viel rezipiert und interpretiert hätten, sich dabei aber wenig auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützt hätten. So sei es in den 2000er-Jahren zu einer zunehmenden Polarisierung gekommen, stellte Mattes fest.

Einseitigkeiten verhinderten aber sinnvolle Debatten, gerade im religiösen Bereich, mahnte die Religionswissenschaftlerin. Das Thema Religion sei auch wie Migration und Integration politisch instrumentalisiert worden. Interessant zu beobachten sei es, dass sich die Politik bei tatsächlich religionspolitisch schwierigen Fragen in der letzten Zeit am Ende immer auf Rechtspositionen verengt habe, erinnerte Mattes etwa an die Debatten rund um die gleichgeschlechtliche Ehe oder die Sterbehilfe. „Politik drückt sich vor Entscheidungen, müsste sich aber auch schwierigen Themen stellen“, so die Autorin.

Momentan Akzeptanz für Geflüchtete

An der Buchpräsentation nahmen auch die Theologin und Chefredakteurin der Wochenzeitung „Furche“, Doris Helmberger-Fleckl, sowie der Jurist Christoph Konrath von der parlamentswissenschaftlichen Grundsatzarbeit im Österreichischen Parlament teil, die über die einzelnen Kapitel der 180-seitigen Publikation replizierten. Für die „Furche“-Chefredakteurin zeigt das Buch überzeugend die Entwicklung des ehemals katholischen Österreichs hin zu einer diversen Gesellschaft auf.

Dass mit Flucht oft Islam verbunden wird, ändere sich aktuell durch den Krieg in der Ukraine; von dort Vertriebene erführen bisher in Österreich eine sehr hohe Akzeptanz. Hier besteht für Helmberger-Fleckl die Gefahr, „dass da was kippen könnte“. Ob das Religionsthema dabei eine Rolle spiele, werde man erst sehen.

Diskurs in den 2000ern verschoben

Auch für die katholische Publizistin sei es interessant gewesen, nachzulesen, wie sich in den 2000ern der politmediale Diskus verschoben habe. Gleichzeitig wurde Europa zu dieser Zeit von einer Reihe islamistischer Anschläge erschüttert, erinnerte Helmberger-Fleckl. Hier seien bewusst Ängste geschürt worden. Die Anfragen der Menschen in dieser Hinsicht hätte den Rechtspopulisten in die Hände gespielt, auch weil es von linksliberalen Parteien eine gewisse Unfähigkeit gegeben habe, bestehende Probleme anzusprechen.

Parteien heute zu Religionspolitik gezwungen

Für den im Parlament tätigen Juristen Christoph Konrath leistet das Buch Aufklärungsarbeit in einem Bereich, in dem vielen Menschen das Wissen abhandengekommen sei. Es gebe in Österreich die Tradition, dass immer auf das gute Verhältnis unter den Religionsgemeinschaften und den Dialog hingewiesen werde, aber wo das tatsächlich passiere, wüssten die wenigsten.

Die Entwicklungen in den letzten 15 Jahren hätten alle Parteien letztlich gezwungen, plötzlich religionspolitische Standpunkte anzunehmen, „gleichzeitig nimmt Religiosität in Gesellschaft und natürlich auch in Parteien stark ab“, so Konrath. Das habe es auch für Parteien mitunter schwierig gemacht, konzise Religionspolitik voranzutreiben, da es oft schlicht an Expertise mangele.

Religion nicht auf Migration beschränken

Es seien in den letzten Jahren eine Reihe von Religionsgesetzen geändert worden. Die Novellierung des Islamgesetzes im Jahr 2015 sei zwar das prominenteste Beispiel, aber auch beim Israelitengesetz oder dem Bereich der Freikirchen habe es Änderungen gegeben, erinnerte Konrath. Das sei aber weitgehend unter dem medialen Radar geblieben.

Die Frage, die sich insgesamt stelle, sei, was es mit unserem Bild von Religion insgesamt mache, wenn sie ständig im Kontext mit Migration diskutiert werden. Grundsätzlich müsse sich die Gesellschaft und die Politik die Frage gefallen lassen, wie viel sie wirklich von den Religionen wisse, so Autorin Mattes abschließend.