Menschen überqueren den Stephansplatz
Reuters/Heinz-Peter Bader
Reuters/Heinz-Peter Bader
Religionen

Österreichs religiöse Landkarte in Bewegung

Eine aktuelle Erhebung der Statistik Austria zeigt: Die religiöse Landschaft in Österreich verändert sich – und zwar drastisch, wie die Religions- und Politikwissenschaftlerin Astrid Mattes gegenüber religion.ORF.at sagt. Sie ortet drei große Trends, die kommende Jahrzehnte prägen werden.

Die am 25. Mai publizierte Erhebung ergab einen deutlichen Zuwachs bei Menschen mit islamischer Religionszugehörigkeit und Orthodoxen, begleitet von sinkenden Zahlen bei Katholikinnen und Katholiken. Außerdem gibt es wesentlich mehr Menschen ohne Konfession, in Wien stellen sie bereits die größte Gruppe – mehr dazu in Österreich: Zahl der Muslime und Orthodoxen steigt.

Als die einschneidendste Veränderung benennt Mattes die fortschreitende Säkularisierung: „Das ist der große Trend, der alles umwälzt, der alles verändert, der auch unaufhaltsam und sicherlich auch unumkehrbar ist.“ Zwei Millionen Konfessionslose verzeichnet der Bericht der Statistik Austria, die erste Erhebung repräsentativer Daten zum religiösen Bekenntnis seit der Volkszählung im Jahr 2001.

Grafik zur religiösen Landschaft in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Säkularisierung als stärkster Trend

In den letzten 20 Jahren stieg der Anteil der Menschen ohne Zugehörigkeit zu einer Religion von zwölf auf 22,4 Prozent. Den größten Anteil an Konfessionslosen hat mit 34 Prozent die Bundeshauptstadt Wien. Es sei „schon überraschend, wie deutlich Wien sich abhebt vom Rest Österreichs“, so die Expertin. Der zweite starke Trend sei die „Verbreiterung des religiösen Spektrums – der Anteil der ‚anderen‘ Religionsgemeinschaften ist massiv angestiegen“. In Wien zeige sich auch das am stärksten.

Zahlen

55 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind katholisch, 22,4 Prozent konfessionslos, 8,3 Prozent Muslime, 4,9 Prozent Orthodoxe, 3,8 Prozent sind evangelisch.

Der dritte große Trend sei, wie die Migration sich auswirkt, vor allem bei Muslimen und Orthodoxen. In beiden Religionsgemeinschaften sind die Zahlen stark gestiegen. 2021 waren es 8,3 Prozent Musliminnen und Muslime, wobei sich der Anteil in den 20 Jahren davor verdoppelt hatte. Der Anteil der Orthodoxen stieg im selben Zeitraum von 2,2 auf 4,9 Prozent. „Das wird sich mit der Ukraine-Krise noch verstärken, da die Geflüchteten zum Großteil orthodox sind.“

Große Unterschiede Stadt – Land

Zugleich unterliegen auch diese Gemeinschaften dem Trend zur Konfessionslosigkeit, so Mattes: „Die Säkularisierung wird auch Orthodoxe und Muslime betreffen.“ Denn von einer Generation zur anderen sinkt der Grad der Religiosität oft, besonders im städtischen Raum: „Ein säkulares Umfeld macht mit allen etwas.“ An den Zahlen mit den teils großen Unterschieden in Stadt und Land erkenne man, „dass soziale Bindung durch Religion im städtischen Raum viel geringer ist als im ländlichen“.

Grafik zur Muster der religiösen Orientierung im Generationenvergleich nach Herkunftsregion in Prozent
Astrid Mattes
Grafik zur religiösen Orientierung im Generationenvergleich nach Herkunftsregion in Prozent

Aber gleichzeitig werde Religion nicht verschwinden, so die Religionswissenschaftlerin: „Es werden mehr Religionsgemeinschaften dazukommen, und in den Gemeinschaften bleibt der Anteil derer übrig, die das auch wirklich wollen.“ Bei Menschen mit Migrationshintergrund spiele auch noch mit, dass die Religionszugehörigkeit auch ein starker Identitätsmarker sein kann, ein Faktor von Heimatbezug und Identitätsstiftung. Das sei in Österreich insbesondere bei Musliminnen und Muslimen der Fall, die stark über ihre Religiosität definiert würden.

Katholische Feiertage und Bauten

Wie ist diesen Trends zu begegnen? Trotz sinkender Mitgliederzahlen dominiert die katholische Kirche die religiöse Landschaft – auch physisch, was Gebäude, mediale Präsenz und Feiertage angeht. Neun christliche Feiertage sichert das Konkordat, der Vertrag zwischen Kirche und Staat, der auch die Rahmenbedingungen für den Religionsunterricht und das Selbstverwaltungsrecht für religiöse Gebäude festlegt.

Zur Frage, ob in absehbarer Zeit auch offizielle muslimische und jüdische Feiertage denkbar wären, rät die Religionswissenschaftlerin zur Vorsicht: „Das wäre ein Umbau des Systems. Dass der rechtliche Rahmen angetastet wird, sehe ich nicht.“ Einstweilen wäre es vielleicht gut auszubauen, „was es jetzt schon gibt: den Anspruch, sich an religiösen Feiertagen freizunehmen, ein Entgegenkommen der Arbeitgeber und der Schulen, dann ist das wahrscheinlich ein gangbarer Weg“.

Mit Karfreitagsregelung „niemand glücklich“

Als negatives Beispiel für gröbere Änderungen nennt Mattes die 2019 eingeführte neue Karfreitagsregelung, „mit der niemand glücklich ist“: Seit damals ist der Karfreitag, der höchste und bis dato exklusive Feiertag für Evangelische, kein gesetzlicher Feiertag für sie, Methodistinnen und Methodisten sowie auch Altkatholikinnen und Altkatholiken mehr.

Laut der Statistik-Austria-Erhebung machen Katholikinnen und Katholiken nur noch gut 55 Prozent der Bevölkerung aus – aber Kirchen dominieren Landschaften und Stadtbilder. Bereits jetzt werden einzelne Kirchen anderen Gemeinschaften überlassen wie die Pfarrkirche Neulerchenfeld in Wien-Ottakring, die der serbisch-orthodoxen Kirche geschenkt wurde.

Die Politik- und Religonswissenschaftlerin Astrid Mattes
ÖAW/Klaus Pichler
Die Religions- und Politikwissenschaftlerin Astrid Mattes arbeitet und forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Es gebe sehr wohl ein Bewusstsein in der katholischen Kirche, „dass sie den ganzen Platz nicht brauchen“. Doch Kirchen hätten auch eine kulturelle Funktion, argumentiert Mattes: „Es gibt Kunst, die man anschauen kann, Konzerte, Führungen, die meisten Kirchen sind als offene Räume gestaltet. Ein gewisses Allgemeingut sind diese religiösen Räume ja ohnehin schon.“

Künftig noch mehr gemeinsame Nutzung

Die Nutzung von Kirchen sei eine vielfältige: „Leute gehen hinein, um ein Kerzerl anzuzünden oder um einmal reinzuschauen. Kirchen sind mehr als rituelle Orte, um seinen Glauben zu praktizieren.“ Die Religionswissenschaftlerin glaubt, dass es künftig mehr Kirchenschenkungen und -verborgungen oder eine gemeinsame Nutzung geben wird. Ein Beispiel für eine erweiterte Nutzung ist die Impfstraße im Stephansdom: Hier sei ein erfolgreicher Versuch gemacht worden, religiösen Raum der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Religionsunterricht „gleichberechtigt“

In Sachen Religionsunterricht hält Mattes das derzeitige Modell für ausreichend: „Der islamische Religionsunterricht ist gleichberechtigt mit den anderen. Gerade beim Religionsunterricht hat Österreich ein sehr inklusives Modell, weil viele Gemeinschaften die Möglichkeit haben, einen annähernd gleichwertigen Religionsunterricht durchzuführen.“

Buchhinweis

Astrid Mattes: Migration und Religion. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 217 Seiten, 19 Euro; oder als Gratisdownload

Sie wäre auch „vorsichtig mit der Forderung, das aufgrund sinkender Religionszahlen abzuschaffen, weil hier etwas relativ Besonderes vorhanden ist. Der Religionsunterricht ist immer auch eine Möglichkeit, um das Moderate in den Gemeinschaften zu fördern.“

Es gebe eine hohe Professionalisierung beispielsweise beim islamischen Unterricht – es unterrichteten jetzt primär Menschen, die in Österreich ausgebildet wurden. Mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien/Krems habe man „europaweit etwas Besonderes, dass Religionen so zusammenkommen“.

Religionsgemeinschaften „kooperativ“

Die Religionsgemeinschaften in Österreich findet die Expertin „durchaus kooperativ untereinander und auch mit den staatlichen Stellen. Natürlich ist so etwas wie das Islamgesetz, das in Konflikt mit der Gemeinschaft installiert wurde, problematisch.“ Ein solches Vorgehen zerstöre die gute Gesprächsgrundlage – denn „eigentlich schafft das österreichische Modell die Möglichkeit, gut mit Religion umzugehen“.

Was kleinere religiöse Gemeinschaften angehe, müsse man sich mehr anschauen: „Was brauchen die? Muss man etwa (von gesetzlicher Seite, Anm.) diese starke Differenzierung Religionsgemeinschaft – Bekenntnisgemeinschaft beibehalten?“

Stille Gruppe ohne Strukturen

Die Konfessionslosen, die stille, aber stark wachsende Gruppe, verfügen über gar keine Strukturen – was in der Natur der Sache liegt, denn dafür fehlt das verbindende religiöse Element. Man könne aber zumindest Weltanschauungen, die das anstreben, „in irgendeiner Form zulassen, eine Möglichkeit der Einbindung finden“, schlägt Mattes vor. Man könne auch kritisch sehen, dass religiöse Vertreterinnen und Vertreter in Bioethikkommissionen sitzen – und hier ein diverseres Spektrum einbinden.

Religionen sind nach Ansicht der Expertin weit davon entfernt, komplett an Bedeutung zu verlieren: „Wenn man sich eingesteht, dass Religionen etwas sind, das es immer geben wird, und mehrere Player, mit denen man als Staat einfach zu spielen hat – dann ist das nicht der schlechteste Weg, damit umzugehen.“