Muslimische Pilgerinnen und Pilger am Flughafen am Weg nach Mekka zum Hadsch
APA/AFP/Amer Hilabi
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Pilgerfahrt

Saudi-Arabien sorgt mit Hadsch-Lotterie für Chaos

Eine von Saudi-Arabien eilig eingeführte Hadsch-Lotterie erschwert Muslimen aus westlichen Ländern die Pilgerfahrt. Unter jenen, die das Glück hatten, ausgewählt zu werden, klagen viele über chaotische Zustände. Gläubige verlangen ihr Geld zurück. Für viele Musliminnen und Muslime, auch aus Österreich, fällt der Hadsch aus.

Fehlende Flugtickets, fehlgeschlagene Zahlungen und Personal, das nicht auf verzweifelte Anfragen reagiert: Wer dieser Tage einen Blick auf den Facebook- oder Twitter-Auftritt der saudischen Buchungsplattform Motawif wirft, findet tausende Kommentare von Musliminnen und Muslimen, die nach Mekka pilgern wollen oder wollten. Es sind emotionale Hilferufe und Beschwerden.

Einmal im Leben soll jede Muslimin und jeder Muslim nach Möglichkeit die Pilgerreise nach Mekka unternehmen. „Das ist die Reise deines Lebens“, sagt Neslihan Aydin (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit religion.ORF.at. Für sie und ihren Mann sowie für viele Musliminnen und Muslime fällt die für heuer geplante Reise aber ins Wasser.

Berichte über Chaos vor Ort

Über die neue Buchungswebsite Motawif, die für Pilgernde aus Amerika, Europa und Australien eingerichtet worden war, hatten sie zwei Plätze zugesprochen bekommen. Doch dem Reiseanbieter, der für seine Kunden nicht einmal erreichbar sei, mehrere Tausende Euro zu überweisen, dafür habe das Vertrauen nicht gereicht, sagt Aydin. Die Reise hätte das Paar immerhin rund 17.000 Euro gekostet.

In Sozialen Medien mehren sich Berichte über Menschen, die bezahlt, aber kurz vor der Reise noch keine Tickets oder keine Visa erhalten haben, über britische Muslime, die am Flughafen abgewiesen wurden, weil für sie kein Flug gebucht worden sein soll, über Chaos, schlechte Organisation und Betreuung vor Ort. Viele fordern Motawif öffentlich auf, das überwiesene Geld zurückzuerstatten. Dort scheint man ob der Masse an Anfragen überfordert und bittet immer wieder um Entschuldigung und Geduld. In ihrem Bekanntenkreis, sagt Aydin, würden alle, die geplant haben, den Hadsch zu machen, verzichten. Man hofft, dass die Saudis das Monopol für Motawif kippen und zum alten System zurückkehren werden.

Sehr wenige Pilgerinnen und Pilger umrundeten 2020 wegen der Coronavirus-Pandemie die Kaaba in Mekka
APA/AFP/Saudi Ministry of Media
Die Kaaba wird von Pilgernden sieben Mal gegen den Uhrzeigersinn umwandert

Bislang waren lizenzierte Anbieter in den unterschiedlichsten Ländern berechtigt, Reisepakete für den Hadsch zusammenzustellen und sich um die Visaanträge, die An- und Abreise sowie um Unterbringung und Verpflegung vor Ort zu kümmern.

Doch dieses Jahr galt: Wer teilnehmen will, musste sich über die Website Motawif anmelden. Die Teilnahme war aber auch dann nicht fix, sondern wurde unter den Angemeldeten in einem automatisierten Verfahren verlost. Die Änderungen waren Anfang Juni vom saudischen Hadsch-Ministerium kurzfristig eingeführt und kommuniziert worden, kritisieren Musliminnen und Muslime. Viele hatten längst bei einem heimischen, lizensierten Reisebüro gebucht, sie mussten stornieren.

Reisebüros betroffen

Die Änderungen treffen auch die Reiseanbieter in den unterschiedlichen westlichen Ländern, ihnen entgehen die Hadsch-Einnahmen, die nun ausschließlich an Motawif fließen, das zudem höhere Preise verlangt. „Wir hatten über 260 Hadsch-Reservierungen, leider mussten wir alle stornieren“, heißt es auf Anfrage von religion.ORF.at in einer Stellungnahme des Reisebüros Sky Danubia in Wien, das bisher zahlreiche Pilgerreisen organisiert hat.

In der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist man mit dem Problem vertraut: „Die kurzfristige Änderung des Prozederes hat zu großer Verunsicherung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft geführt, denn in der Regel bereiten sich Pilgerreisende bereits vor Beginn der Pilgerfahrt wochenlang auf die Durchführung der damit verbundenen religiösen Rituale vor“, so IGGÖ-Sprecherin Valerie Mussa gegenüber religion.ORF.at. Die Gläubigen würden dafür etwa Vorträge besuchen. Heuer beginnt der Hadsch am Abend des 7. Juli. Wie Aydin erzählt, seien dennoch mehrere damit konfrontiert, dass ihre Teilnahme noch gar nicht bestätigt worden ist.

Gebet in einer Wiener Moschee (für die Opfer des Terroranschlags am 2.11.2020)
Reuters/Leonhard Föger
Auch die muslimische Gemeinde in Österreich ist von den neuen Regeln betroffen

Reservierungen oft ein Jahr im Voraus

Vonseiten des Wiener Reisebüros bestätigt man die Problematik der Kurzfristigkeit: „Normalerweise reservieren unsere Kunden ihre Hadsch-Reise bis zu einem Jahr im Voraus.“ Neben den für viele unklaren Regelungen des neuen Online-Anmeldeportals sei „die größte Verwirrung für unsere Kunden, dass sie von hier aus ohne Gruppe und ohne erfahrene Begleitpersonen anreisen müssen“.

Für den Hadsch, bei dem Musliminnen und Muslime auch sieben Mal die Kaaba im Innenhof der „al-Masdschid al-haram“-Moschee umrunden, gelten verschiedene religiöse Rituale, die genau eingehalten werden müssen. Die Pilgerreise ist sonst im Sinn der Glaubenspflicht nicht gültig. Die meisten Pilgerinnen und Pilger reisen daher in Gruppen und lassen sich von erfahrenen Pilgerleitern begleiten.

Andrang nach Pandemie besonders hoch

Wegen der Coronavirus-Pandemie mussten viele Musliminnen und Muslime in den vergangenen zwei Jahren auf eine Pilgerfahrt verzichten. So war der Hadsch 2020 nur einigen Tausend Menschen mit Wohnsitz in Saudi-Arabien möglich, im vergangenen Jahr waren es 60.000. Daher ist der Andrang heuer besonders hoch. Die Anzahl der zugelassenen Pilger wurde auf eine Millionen Menschen festgelegt, vor der Pandemie waren es 2,5 Millionen.

Das wirkt sich auch darauf aus, wie viele Personen aus Österreich an der Pilgerfahrt teilnehmen dürfen. Sind es vor dem Coronavirus noch 2.000 Plätze gewesen, so seien es dieses Jahr nur noch 900, so IGGÖ-Sprecherin Mussa. Personen, „die seit Beginn der Coronapandemie auf einer eigens für die Hadsch eingerichteten Warteliste stehen“ seien durch das neue System um ihren Vorrang umgefallen.

IGGÖ will „vermitteln“

Die IGGÖ sei nun um eine „vermittelnde Rolle“ bemüht. Man sei „im engen Austausch sowohl mit der saudi-arabischen Botschaft in Wien, den zuständigen Behörden in Saudi-Arabien, als auch mit der österreichischen Botschaft in Riad“ und bestrebt, eine Erhöhung des Platzkontingents für Musliminnen und Muslime aus Österreich und den angrenzenden Nachbarländern für die kommenden Jahre zu erwirken.

„Manche warten schon seit drei Jahren darauf, dass sie fahren können“, sagt Aydin. Die Enttäuschung ist bei den Betroffenen besonders groß. Wer die Pilgerfahrt antritt, „sollte ausgeruht sein, davor keinen Stress haben“ damit man sich auf diese besondere Erfahrung konzentrieren kann. Was derzeit Musliminnen und Muslime in Europa, Amerika und Australien erleben, ist das Gegenteil. Auf Facebook schreibt ein Muslim aus Großbritannien resignierend an Motawif: „Wir werden das Chaos, das ihr verursacht habt, niemals vergessen. Mein Traum ist zerstört.“