Petersplatz in Rom mit Menschenmenge
APA/AFP/Tiziana Fabi
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USA

Vatikan begrüßt US-Abtreibungsverbot

Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zu Abtreibungsverboten hat der Vatikan die Entscheidung begrüßt und zugleich eine ideologiefreie Debatte zum Lebensschutz gefordert. Die US-Bischöfe feierten die „historische Entscheidung“, Menschenrechtsorganisationen sind besorgt.

„Die Tatsache, dass ein großes Land mit einer langen demokratischen Tradition seine Position in dieser Frage geändert hat, fordert die ganze Welt heraus“, erklärte die Päpstlichen Akademie für das Leben am Freitagabend. Es sei nicht richtig, dass das Problem ohne angemessene Gesamtbetrachtung beiseitegeschoben werde.

Es gehe darum, politische Entscheidungen zu treffen, die die Lebensbedingungen zugunsten des Lebens förderten, ohne von vornherein in ideologische Positionen zu verfallen. Dazu gehöre auch, „für eine angemessene Sexualerziehung zu sorgen, eine für alle zugängliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz von Familie und Mutterschaft vorzubereiten, um bestehende Ungleichheiten zu überwinden“, so die Akademie weiter.

Verantwortung für die Zukunft

Zudem fordert sie eine „solide Unterstützung für Mütter, Paare und das ungeborene Kind, die die gesamte Gemeinschaft einbezieht und Müttern in Schwierigkeiten die Möglichkeit gibt, die Schwangerschaft fortzusetzen und das Kind denjenigen anzuvertrauen, die dessen Aufwachsen gewährleisten können“.

„Indem wir uns für das Leben entscheiden, steht unsere Verantwortung für die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel“, schloss der Präsident der Akademie, Erzbischof Vincenzo Paglia. Am Freitag hatte der Supreme Court das Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aufgehoben, das im Jahr 1973 ein Recht auf Abtreibung aus der US-amerikanischen Verfassung abgeleitet hatte. Die Aufhebung ermöglicht Bundesstaaten nun, Abtreibungen einzuschränken bzw. zu verbieten. Es wird erwartet, dass dies etwa die Hälfte der 50 Staaten tun.

Spaltung der Gesellschaft befürchtet

Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs gab es teils heftige Reaktionen von Befürwortern, Befürworterinnen und Kritikerinnen und Kritikern. In den USA kam es zu Demonstrationen beider Lager. Beobachter befürchten eine tiefere Spaltung des Landes sowie mögliche weitere Einschnitte in Grundrechte durch den Supreme Court.

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich entsetzt, während etwa die katholischen Bischöfe, republikanische und evangelikale Kreise das Urteil begrüßten. Der Vatikan schloss sich den US-Bischöfen an, rief aber zu einer „ideologiefreien Debatte“ auf.

US-Bischöfe: „Historischer Tag“

Die US-Bischofskonferenz sprach von einem „historischen Tag im Leben unseres Landes“. Seit fast 50 Jahren gelte in Amerika ein „ungerechtes Gesetz“, das es einigen ermöglichte zu entscheiden, „ob andere leben oder sterben können“, heißt es in einer Erklärung des Vorsitzenden, Erzbischof Jose Gomez von Los Angeles, und von Erzbischof William Lori von Baltimore, Vorsitzender des Ausschusses für Pro-Life-Aktivitäten.

„Wir danken Gott heute, dass das Gericht diese Entscheidung nun aufgehoben hat.“ Man bete dafür, dass die Amtsträger jetzt Gesetze und Richtlinien erlassen, „die die Schwächsten unter uns fördern und schützen“. Zugleich erinnerten sie an die Pflicht der Kirche, jene zu unterstützen, „die mit schwierigen Schwangerschaften konfrontiert sind, und sie mit Liebe umgeben“. Jetzt sei es an der Zeit, Wunden zu heilen und soziale Spaltungen zu reparieren, so die Vertreter der US-Bischöfe.

Bischof: „Arbeit hat erst begonnen“

Auch San Franciscos Erzbischof Salvatore Cordileone begrüßte die Entscheidung. „Aber unsere Arbeit hat gerade erst begonnen.“ Cordileone hatte im Mai der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, den Kommunionempfang in seiner Diözese untersagt, weil sich die Katholikin für eine Wahlfreiheit beim Thema Abtreibung stark macht.

Bischof Joseph Strickland von Tyler/Texas zeigte sich auf Twitter erleichtert und ermunterte: „Möge die Pro-Life-Bewegung unsere Nation im Gebet halten, da viele negativ auf diesen wichtigen Schritt zum Schutz des ungeborenen Lebens reagieren.“

UNO in Sorge

Dagegen zeigten sich Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen verbittert und besorgt. Die Entscheidung stelle einen „monumentalen Rückschlag für Rechtsstaatlichkeit und Geschlechtergerechtigkeit“ dar, erklärten mehrere Sonderberichterstatter und Leiterinnen von Arbeitsgruppen des UNO-Menschenrechtsrats in Genf.

Das restriktive rechtliche Umfeld werde den Bedarf an Abtreibungen nicht mindern; nur würden künftig mehr Frauen und Mädchen, vor allem aus sozial benachteiligten Schichten, heimliche und unsichere Schwangerschaftsabbrüche suchen. Zu den Unterstützern der Erklärung zählt auch der scheidende UNO-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Ahmed Shaheed.

UNO-Menschenrechtskommissarin Michele Bachelet betonte, Frauen und Mädchen müssten selbst über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können, frei von Diskriminierung, Gewalt und Zwang. In den vergangenen 25 Jahren hätten mehr als 50 Staaten ihre restriktiven Abtreibungsgesetze gelockert. Von diesem „progressiven Trend“ rückten die USA nun ab.

Amnesty: „Bitterer Tag“

Amnesty International sprach von einem bitteren Tag „im Kampf um reproduktive Rechte in den USA“. Ungewollt Schwangere seien nun gezwungen, Schwangerschaften auszutragen oder sich auf unsichere Abbrüche einzulassen, hieß es.

Das Urteil ebne den Weg für eine nie dagewesene staatliche Gesetzgebung zur Kriminalisierung von Abtreibung sowie für weitere Gesetzentwürfe, die darauf abzielen, Millionen Bürgern ihre Menschenrechte zu entziehen. Dazu gehörten etwa die Themen Zugang zu Geburtenkontrolle oder Gleichberechtigung der Geschlechter.

Weitere Grundsatzurteile wackeln

Derzeit in Diskussion ist, ob nach „Roe v. Wade“ nun noch weitere Urteile überprüft werden. Richter Samuel Alito hatte zwar als Autor der Mehrheitsmeinung im Urteil geschrieben, es würde hier nur um die Abtreibung gehen, weitere Grundsatzurteile stünden nicht zur Disposition.

Sein Kollege Clarence Thomas hat sich in seiner zustimmenden Urteilsbegründung jedoch dafür ausgesprochen, das Gericht solle auch Urteile, die einen freien Zugang zu Verhütungsmitteln, den Schutz gleichgeschlechtlicher Beziehungen und der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare garantieren, überdenken.

Verhütungsmittel, Ehe für alle infrage gestellt

Betroffen sei etwa das Urteil Griswold v. Connecticut (1965). Mit dieser Entscheidung in letzter Instanz hatten damals die Richter des Supreme Court Ehepaaren ein Recht auf Privatheit in der Ehe zugestanden – einschließlich des Rechts auf Gebrauch von Verhütungsmitteln. Angesprochen wurde von Richter Thomas auch das Urteil Lawrence v. Texas von 2003, das gleichgeschlechtlichen Paaren eine intime Beziehung erlaubt.

2015 öffnete der Supreme Court überdies die Ehe für homosexuelle Paare (Obergefell v. Hodges). In republikanischen und evangelikalen Kreisen, deren Schnittmenge sehr groß ist, wird auch dieses Urteil zunehmend in Frage gestellt – und nun auch auf höchstrichterlicher Ebene.

Tiefe Eingriffe in Bürgerechte

Kurz vor seiner Ende Juni beginnenden Sommerpause hatte das höchste Verfassungsgericht der USA bereits in den vergangenen Tagen mehrere sehr weitreichende Urteile veröffentlicht, die tief in die Rechte der US-Bürger eingreifen. So wurde etwa der zweite Zusatz zur Verfassung bestätigt, der das Tragen von Waffen außerhalb des eigenen Hauses erlaubt, sowie ein Gesetz bestätigt, das Bürgerrechte gegenüber der Polizei in Sachen Aussageverweigerung beschränkt.

Hinsichtlich der Frage der Trennung von Staat und Kirche befürworteten die Richter, dass der Staat oder die Bundesstaaten Geld für Schulen zur Verfügung stellen, die von einer Glaubensgemeinschaft getragen werden oder einen Religionsunterricht anbieten.