Ukraine-Krieg

Moskauer Oberrabbiner erläutert seinen Rückzug

Der langjährige Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt hat seinen Rückzug als Leiter der jüdischen Gemeinde in der russischen Hauptstadt erläutert.

„So traurig ich auch bin, unter den gegebenen Umständen ist es eindeutig im Interesse der Zukunft der Gemeinde, dass ich jetzt von meinem Posten als Oberrabbiner von Moskau zurücktrete“, sagte er am Donnerstagabend auf Anfrage der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Er danke Gott, dass er und seine Frau Dara „die Möglichkeit hatten, in den letzten 33 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion an der historischen Renaissance des russischen Judentums teilzuhaben“. Der 58-Jährige war seit 1993 Oberrabbiner in Moskau.

Zunehmend autoritäres Russland

"Wir haben unser Bestes getan, um die Gemeinschaft durch die turbulenten 1990er-Jahre und das zunehmend autoritäre Russland unter dem derzeitigen Präsidenten zu steuern und aufzubauen, wird Goldschmidt zitiert.

Rabbiner Pinchas Goldschmidt
Reuters/Heinz-Peter Bader
Rabbiner Goldschmidt: „Konnte nicht mehr schweigen.“

Als in den letzten Monaten „der schreckliche Krieg gegen die Ukraine entfacht wurde, konnte ich angesichts von so viel menschlichem Leid nicht mehr schweigen und habe mich dagegen ausgesprochen“. Trotz seiner Wiederwahl als Oberrabbiner im Juni sei zuletzt klar geworden, dass Moskaus jüdische Gemeinde durch sein Verbleiben im Amt gefährdet worden wäre, erklärte Goldschmidt.

„Werde weiterhin nach besten Kräften dienen“

„Als Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner werde ich den Rabbinern und Gemeinden Europas, einschließlich der Gemeinde Moskau, weiterhin nach besten Kräften dienen“, sagte der Rabbiner. Er bat Gott um Schutz und Segen für die Moskauer jüdische Gemeinde.

Die orthodox geprägte Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) vertritt als Dachorganisation nach eigenen Angaben rund 1.000 Rabbiner. Wer neuer Moskauer Oberrabbiner wird, ist noch unklar. Laut russischen Medienberichten entschieden die jüdische Gemeinde und Goldschmidt einvernehmlich, ihren auslaufenden Vertrag doch nicht zu verlängern.

Damaligen Berichten anlässlich der Wiederwahl zufolge waren viele Rabbiner und andere jüdische Vertreter in Versuche eingebunden, Moskaus jüdische Gemeinschaft dazu zu bringen, einen anderen Rabbiner als Goldschmidt zum Oberrabbiner zu wählen. Dagegen hätten sich jedoch israelische Rabbiner erfolgreich gewandt, so die „Jerusalem Post“ seinerzeit.

Familie spricht von „Exil“

Goldschmidts familiäres Umfeld verwies Anfang Juni in Sozialen Medien mit Blick auf seinen Aufenthalt in Israel auf Sicherheitsgründe und sprach von „Exil“. Er und seine Ehefrau seien von russischen Behörden unter Druck gesetzt worden, die „Spezialoperation“ in der Ukraine öffentlich zu unterstützen. Dies hätten sie jedoch abgelehnt, hieß es. Er hatte Russlands Krieg gegen die Ukraine in der Vergangenheit unter anderem als „Katastrophe“ bezeichnet.

Goldschmidt wurde am 21. Juli 1963 in Zürich geboren. Er studierte in Israel und den USA und erhielt 1987 in Jerusalem sein Rabbinerdiplom. 1989 zog er in die damalige Sowjetunion und spielte bald eine zentrale Rolle in der dortigen jüdischen Gemeinschaft. Immer wieder engagiert er sich als CER-Präsident für die Sicherheit von Juden und Jüdinnen in Europa sowie Religionsfreiheit, auch um jüdisches Leben auf dem Kontinent zu erhalten. Er selbst verlor mehrere Verwandte in der Schoah.

Goldschmidt ist nicht der einzige Religionsvertreter, der Russland verlassen hat: Der Erzbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Russlands, Dietrich Brauer, ist auf staatlichen Druck hin ins Ausland geflohen. Er lebt seither in Deutschland.