Statuen auf einer Balustrade auf dem Petersplatz, Vatikan
Reuters/Vatican Media
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Deutsche Katholiken

Furcht vor „Übergreifen“: Experten zu Vatikan-Schreiben

Auf das Schreiben aus dem Vatikan an die deutsche katholische Kirche vom Donnerstag, das weitgehende Reformen durch den Synodalen Weg verboten hatte, haben sich am Freitag mehrere Kirchenkenner zu Wort gemeldet.

Die harsche Kritik des Vatikans an den Reformbemühungen zeigt nach Ansicht des deutschen Theologen und Sozialethikers Daniel Bogner, dass die römische Zentralverwaltung ein Übergreifen auf die Kirche in anderen Ländern befürchtet.

„Der deutsche Synodale Weg wird ernst genommen, diesem Projekt wird offenbar Hebelwirkung zugetraut“, sagte der Professor für Moraltheologie und Ethik an der Schweizer Universität Freiburg am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „In Rom hat man offenbar ernsthaft Sorgen, von Deutschland könne eine Wirkung ausgehen, die Folgen auch anderswo hat.“

„Armes und dürftiges Dokument“

Der Vatikan hatte am Donnerstag klargestellt, dass der Synodale Weg in Deutschland „nicht befugt“ sei, neue Formen der Leitung und eine neue Ausrichtung der katholischen Lehre und Moral zu entwickeln. Der seit 2019 laufende Synodale Weg strebt unter anderem eine Erneuerung der katholischen Sexualmoral und eine verbesserte Position von Frauen in der Kirche an.

Von der Form her handele es sich bei der Erklärung aus dem Vatikan um ein „armes und dürftiges Dokument“, sagte Bogner. „Es tritt autoritär auf, ist getränkt von Misstrauen und will im Stil einer Verwaltungsverfügung ein Feuer austreten, aus der Angst heraus, es könne andere anstecken.“ Dabei arbeite der Text mit Unterstellungen. „Denn die deutsche Kirche wollte nie etwas im Alleingang durchziehen, wohl aber Dinge thematisieren, die aus ihrer Sicht auch weltkirchlich diskutiert gehören.“

Bogner: Rom spricht nicht mit einer Stimme

Deutlich werde auch, dass Rom nicht mit einer Stimme spreche. Papst Franziskus selbst fordere einen zuhörenden, synodalen Stil ein, manche seiner Kurienbehörden aber agierten mit hoheitlich-zentralistischer Attitüde. „So lässt sich die katholische Kirche im 21. Jahrhundert nicht regieren“, sagte Bogner.

„Rom sollte seine Rolle weniger darin erkennen, die Ortskirchen doktrinär einzunorden, sondern vielmehr die Chance ergreifen, Schaltstelle einer weltweiten Kommunikation innerhalb der Glaubensgemeinschaft zu sein.“ Viele würden sich jetzt in ihrer Wahrnehmung bestärkt fühlen, die römische Kirchenleitung vertiefe ein „Schisma von oben“, also eine Spaltung, anstatt einen offenen Austausch zu fördern.

Söding: Kein Anlass, Weg zu beenden

Der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Söding, sieht nach der jüngsten Intervention des Vatikans keinen Anlass, den Reformprozess Synodaler Weg zu beenden. Dieser beanspruche ohnehin „kein Mandat für Veränderungen in der Lehre“, sagte Söding dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitag-Ausgabe).

„Aber dort, wo es klemmt, zum Beispiel in der Sexualethik, gibt es Voten, die weltkirchlich zu beraten und zu entscheiden sind.“ Er hoffe darauf, dass sie gehört würden, sagte Söding. Änderungen seien überfällig.

Der Heilige Stuhl hatte zuvor in einer knappen Erklärung gemahnt, der Synodale Weg habe kein Recht, Bischöfe und Gläubige „zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten“. So entstehende neue „amtliche Strukturen und Lehren“ würden „eine Verletzung der kirchlichen Gemeinschaft und eine Bedrohung der Einheit der Kirche darstellen“.

Auf Weltebene „aktiv einbringen“

„Rom will mehr Beteiligung der Ortskirchen – dann muss die Zentrale die Initiativen vor Ort auch zulassen“, entgegnete Söding, der auch Vizepräsident des Synodalen Wegs ist. Die deutsche Kirche werde sich auf Weltebene „aktiv einbringen“ mit klaren Vorschlägen für Veränderungen, „die weltweit auf Zustimmung stoßen“.

Unterhalb dessen gelte: „Was vor Ort getan werden kann, wird auch vor Ort erledigt“, sagte Söding. Sämtliche Vorschläge für Reformen der Kirchenleitung stimmten voll mit dem Kirchenrecht überein.

Knop: „Versuch eines Machtworts“

Die Theologin Julia Knop wertet die Erklärung des Vatikans zu den Reformanstrengungen der deutschen Katholiken als „Versuch eines Machtworts“. "Die Botschaft ist: „Wir werden alles blockieren, was ihr vorschlagt, auch wenn wir eure Debatten nicht verhindern können"“, sagte die Dogmatik-Professorin von der Universität Erfurt am Freitag der dpa. Der Synodale Weg werde auf jeden Fall fortgeführt. Knop ist Mitglied des zentralen Gremiums des Reformprozesses, der Synodalversammlung.

Der Synodale Weg sei rechtlich schwach, aber politisch wirkmächtig so Knop. „Im Synodalen Weg machen sich Gläubige, Experten und Bischöfe strukturiert, transparent und ausgesprochen engagiert mit einem riesigen Zeitaufwand Gedanken zu Themen, die weltkirchlich relevant werden könnten.“ In vielen anderen Ländern seien die behandelten Fragen ebenfalls akut.

„Große Selbstentlarvung“

Die Erklärung des Vatikans sei im Grunde eine „große Selbstentlarvung“, sagte Knop. "Man hat Angst vor jeglicher Veränderung. Man will die Idee von ewigen Wahrheiten weiterfahren, koste es was es wolle. Die Botschaft an die Laien sei: „Es hat keinen Sinn, dass ihr euch engagiert. Am Ende werdet ihr auf Beton beißen.“

Bezeichnend sei auch, dass der Anlass für den Synodalen Weg – der Missbrauchsskandal – vom Vatikan mit keinem Wort erwähnt werde, sagte Knop. Stattdessen spreche aus jeder Zeile tiefes Misstrauen: „In Deutschland gab es schon mal eine Reformation, das haben die Römer immer im Hinterkopf. Dabei plant hier niemand eine deutsche Nationalkirche.“

Spekulieren über Ursprung

Kathpress-Korrespondent Roland Juchem vermutet den Ursprung des Textes im vatikanischen Staatssekretariat – von wem sie veranlasst sein könnte, darüber lasse sich spekulieren. Kritiker des Synodalen Wegs der Deutschen gebe es weltweit viele. Etliche, auch Bischöfe, meldeten sich in Petitionen und offenen Briefen. So betitelte die deutschsprachige Sektion des Nachrichtenportals Vatican News ihren kurzen Bericht mit: „Heiliger Stuhl zeigt deutschem Synodalen Weg Grenzen auf“. Dies sei eine Lesart des Schreibens, so Juchem.

„Eine andere, zumindest ergänzende, wäre: Rom will besorgte Kritiker beruhigen und lässt diese wissen, dass auch der Heilige Vater mögliche Fehlentwicklungen der katholischen Kirche Deutschlands im Blick behält. Das tut er nun mit einer eigenen Erklärung.“

Schüller: „Blütenträume zerplatzt“

Nach Einschätzung des Kirchenrechtlers Thomas Schüller hat der Vatikan den deutschen Reformbemühungen mit der Erklärung eine klare Absage erteilt. „So kann es mit den Blütenträumen der deutschen Synodalen gehen: Sie zerplatzen an den römischen Mauern“, sagte der Münsteraner Professor am Donnerstag der dpa. „Rom stellt ein Stoppschild auf und beharrt auf seinem alleinigen Führungsanspruch, was die Veränderung von Macht und Lehre in der Kirche angeht.“

Der Vatikan befürchte, dass die deutschen Katholiken einen Sonderweg einschlagen könnten, und offenbar schafften es die restaurativen Kräfte in der römischen Zentralverwaltung, Papst Franziskus in seiner kritischen Sicht auf die deutsche Kirche zu bestärken.

Aus Sicht des Papstes dächten die Deutschen zu sehr in Strukturen und kümmerten sich zu wenig um die aktive Verkündung des Glaubens. Dabei seien Änderungen in der Lehre ebenso ein Gebot der Stunde wie die Einhegung bischöflich-absolutistischer Macht, sagte Schüller. „Auch die Weltkirche und damit Rom könnte von einer Teilkirche wie der in Deutschland durchaus lernen, will es aber augenscheinlich nicht.“