Ein Jude bei dem Taschlich-Ritual, bei dem zu Rosch ha-schana symbolisch die Sünden ins Wasser geworfen werden.
Reuters/Corinna Kern
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Rosch ha-Schana

Brösel in den Donaukanal: Juden feiern Neujahr

Weltweit begehen Jüdinnen und Juden im Herbst ihr Neujahrsfest. Warum bei dem zweitägigen Fest süße Speisen und in Wien der Donaukanal wichtig sind, erzählt die Historikerin, Shoshana Duizend-Jensen, im Gespräch mit religion.ORF.at.

Mit Sonnenuntergang am 25. September beginnt in diesem Jahr Rosch ha-Schana und damit dem jüdischen Kalender nach ein neues Jahr. Das zweitägige Fest eröffnet auch eine ganze Reihe an weiteren jüdischen Herbstfeiertagen wie etwa den Versöhnungstag, Jom Kippur, das Laubhüttenfest (Sukkot) und das Fest der Freude der Thora (Simchat Thora).

Feste wie diese spielen im Judentum eine zentrale Rolle, sagt Duizend-Jensen, langjährige Historikerin im Wiener Stadt- und Landesarchiv: „Denn sie laden auch dazu ein, sich mit der jüdischen Geschichte und dem Glauben auseinandersetzen.“ Rosch ha-Schana, wörtlich übersetzt „Kopf des Jahres“, erinnert an die Schöpfungsgeschichte, aber auch an das besondere Verhältnis von Gott und Mensch.

Die Bedeutung des Donaukanals

„Das jüdische Neujahrsfest ist nicht so wie Silvester mit sehr viel Getöse“ sagt Duizend-Jensen. Vielmehr sei es mit gemeinschaftlichem Gebet in der Synagoge und symbolträchtigem Essen verbunden. „Es gibt an Rosch ha-schana einen sehr schönen Brauch“, erzählt Duizend-Jensen: „Man geht an ein natürliches Gewässer, das ist natürlich in Wien sehr naheliegend der Donaukanal, weil im zweiten Bezirk viele Juden und Jüdinnen leben, und wirft symbolisch die Sünden ins Wasser.“

Rosch ha-Schana 2022

In diesem Jahr dauert das Fest von Sonnenuntergang am 25. September bis zum Einbruch der Dunkelheit am 27. September.

Symbolisiert werden die Sünden durch Brösel. Bei diesem Ritual, dem Taschlich, werden Gebete gesprochen. Gott soll sich erbarmen und alle Sünden „in die Tiefen des Meeres werfen“ (aus dem Buch Micha), damit die Gläubigen versöhnt in das neue Jahr gehen können.

Ton eines Widderhorns mahnt zur Reue

Zu den Besonderheiten Rosch ha-Schanas gehört auch der Klang eines Widderhorns. Wie Duizend-Jensen erklärt, ruft der eindringliche Ton des Schofarhorns Juden und Jüdinnen dazu auf, in sich zu gehen und zu überlegen, was sie im nächsten Jahr besser machen könnten.

Ein Jude, der zu Rosch ha-schana das Schofar bläst.
Reuters/Amir Cohen
Der eindringliche Ton des Schofarhorns mahnt zur Selbstreflexion

„Wenn man dann zum Beispiel in Wien durch den zweiten Bezirk geht, dann kann man in jeder Synagoge fast zum gleichen Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle des Gebetes das Schofar hören.“ Blasen darf das Instrument in den Synagogen nur ein ausgebildeter Schofarbläser. In Reformgemeinden sind zum Teil auch Schofarbläserinnen zugelassen.

Der Klang des Widderhorns, so die jüdische Überlieferung, könne alle Hindernisse und Mauern zwischen Gott und den Menschen sprengen und ein gesundes, erfolgreiches und süßes neues Jahr bescheren. Der Wunsch nach einem süßen neuen Jahr spiegelt sich auch in den süßen Speisen wider, die zu Rosch ha-Schana serviert werden.

Honig und Fisch als Symbole

Zu den klassischen Speisen gehören etwa Trockenobst, Feigen lebkuchenartiger „Zuckerkuchen“, Äpfel mit Honig und die Challa, ein geflochtenes Brot. Dieses ist zu Rosch ha-Schana rund und nicht länglich und wird in Honig statt in Salz getaucht. Ein weiteres traditionelles Symbol zu Rosch ha-Schana ist Fisch, so Duizend-Jensen.

Honig – ein wichtiges Symbol für ein süßes neues Jahr zu Rosch ha-schana
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Honig spielt zu Rosch ha-Schana eine wichtige Rolle

Häufig werde ein solcher als Hauptspeise serviert und ein Fischkopf als Symbol auf dem Esstisch platziert. Er steht für den Jahresanfang, eben den „Kopf des Jahres“. Anlässlich Rosch ha-Schana werden zudem Granatäpfel gereicht. Ihre Kerne sind Symbol für die zahlreichen jüdischen Gebote und Verbote (Mizwot), aber auch die Frucht selbst ist ein Zeichen für Fruchtbarkeit, der aufgrund des jüdischen Gebotes, „sich zu vermehren“, eine große Rolle zukommt. Beim Verzehr des Granatapfels bitten Juden darum, dass ihre Rechte wie die Kerne dieser Frucht vermehrt werden.

Zeit des Betens und der Selbstreflexion

Im Judentum gibt es die Vorstellung des „Buch des Lebens“ (Sefer ha-Chajim), einer Art göttlichen Verzeichnisses. Wie die Überlieferung erzählt, öffnet Gott am ersten Tag von Rosch ha-Schana dieses Buch des Lebens und schreibt darin das Schicksal der Menschen für das kommende Jahr fest. Wie Duizend-Jensen erzählt, gilt die Zeit des Neujahrsfestes als Zeit der Umkehr, in der das eigene Verhalten reflektiert werden sollte.

So werden auch Bitten an Gott gesandt, etwa um Gesundheit, finanzielles Auskommen, aber auch ein gutes Leben. „Man kann sich an Rosch ha-Schana noch alles Gute ‚ausbeten‘ und darauf hoffen, dass wir in das Buch des Lebens eingeschrieben werden“, so Duizend-Jensen. Zehn Tage nach Rosch ha-Schana ist Jom Kippur, der jüdische Versöhnungstag. Dieser diene der Buße und den guten Vorsätzen für das kommende Jahr. „An Rosch ha-Schana ist noch alles offen“, so Duizend-Jensen, zu Jom Kippur werde das Schicksal gleichsam besiegelt.