Arbeiter in einem Arkadengang in Aleppo
APA/AFP
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Bericht

Syrien: Kein Brot, kein Strom, keine Hoffnung

Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs haben sich die Lebensbedingungen für die Menschen in Syrien nochmals drastisch verschlechtert. Dazu kommt, dass die Weltöffentlichkeit davon keine Notiz mehr nimmt. Das hat der Franziskanerpater Ibrahim Alsabagh in Wien betont.

Alsabagh äußerte sich bei einem Gesprächsabend im Ordenszentrum „Quo vadis?“ in Wien, über das die heimischen Ordensgemeinschaften, Kathpress und die APA am Freitag berichteten. Harte Sanktionen gegen das Regime in Damaskus, die Coronavirus-Pandemie, der Finanzcrash im Libanon. „Diese drei Faktoren waren wie eine Mauer gegen das Volk“, so der Pater im APA-Gespräch.

Dann kam der Krieg in der Ukraine. „Wir sahen darin eine Wiederholung all dessen, was wir in Syrien erlebt hatten. Aus einem vermeintlich schnellen Krieg wurde ein langer.“ Aufgrund der Not und der schlechten hygienischen Bedingungen seien auch noch Cholera und Typhus ausgebrochen, berichtete der Ordensmann laut Kathpress.

Ehemalige Metropole Aleppo zu Dorf geschrumpft

Ein Trauma für die Menschen, schildert der Pater die herrschende Hoffnungslosigkeit. Alsabagh erzählte über den Albtraum, den die Menschen im Alltag erleben. Gerade in „seiner“ Stadt Aleppo, wo er die Pfarre St. Francis betreut, ist das Überleben nach zwölf Jahren Krieg besonders schwierig.

Die einstige Wirtschaftsmetropole in Nordsyrien sei zu „einer Kleinstadt, einem Dorf“ geschrumpft. „Die Lage ist schlechter als in Damaskus.“ Nur zwei Stunden am Tag gebe es Strom, in der Hauptstadt wenigstens vier Stunden lang. Im Winter habe es kein Heizöl gegeben. „Das sind unmenschliche Lebensbedingungen.“

Zerstörung und Hoffnungslosigkeit

Die Folgen des Ukraine-Krieges bekamen die Syrer unmittelbar zu spüren. Der Ausfall der Weizenimporte aus der Ukraine brachte „noch mehr Hunger, noch mehr Leiden“ mit sich. Pater Ibrahim: „Von Anfang an fühlten wir den Zusammenhang zwischen den beiden Kriegen.“ Krieg und Terror, Tod und Elend hatten die Menschen in Syrien erlebt. Ende 2016 zogen die letzten Rebellen aus Aleppo ab. 75 Prozent der Bewohner wurden getötet oder vertrieben, die Stadt lag in Trümmern. Doch nach der Befreiung gab es noch Hoffnung.

Jetzt aber sind die Menschen „verzweifelt“, so der Pater. Die humanitäre Lage habe sich verschlechtert, die Wirtschaft sei am Boden. Noch immer sei Aleppo zu 60 Prozent zerstört, es gebe keinen Treibstoff, kein Heizöl. Viele Menschen leben unter der Armutsgrenze.

Medizinische Versorgung zusammengebrochen

Die Franziskaner bemühen sich mit einer Suppenküche, die Ärmsten und die Kranken der Stadt, Christen wie Muslime, mit Mahlzeiten – circa tausend pro Tag – zu versorgen. Inflation und Preissteigerungen kommen dazu. Manche Väter können mit ihrem geringen Verdienst ihre Familie nur drei, vier Tage pro Woche ernähren.

Auch die medizinische und sanitäre Versorgung sind laut Alsabagh weitgehend zusammengebrochen. Früher habe es eine medizinische Grundversorgung gratis gegeben, jetzt nicht mehr. Viele Menschen getrauten sich wegen der Kosten nicht mehr, einen Arzt aufzusuchen. Spitäler seien zerstört, Geräte wegen mangelnder Ausrüstung nicht in Aktion.

Gesellschaft wie Patient

Dementsprechend wählt er einen drastischen Vergleich: „Die Gesellschaft ist zu einem Patienten geworden, der Hunger hat und nicht atmen kann.“ Eine Perspektive auf Verbesserung lasse sich nicht erkennen. „Die Jungen emigrieren, die Alten geben auf.“ Der Exodus hält an. „Seit 2014 haben zwei Drittel der Bürger Aleppo verlassen.“

Tag für Tag emigrieren weitere Familien in Richtung Libanon, in Richtung Irak, oder, falls sie entsprechende Visa erhalten, zu Familienangehörigen in Kanada oder Australien. „Wir verlieren die Menschen, mit denen wir eine Zukunft aufbauen sollten.“

Viele mit psychischen Problemen

Viele der Zurückgebliebenen hätten mit psychischen Problemen zu kämpfen. An den öffentlichen Schulen lasse die Betreuung der Schüler oft zu wünschen übrig. Pater Ibrahim: „Es gibt viel Gewalt, das reflektiert psychologische Schäden.“ Der Einfluss des Krieges sei bei den jungen Menschen spürbar. An den 17 privaten Schulen der verschiedenen christlichen Kirchen sei die Lage besser, doch würden die Lehrer schlecht bezahlt. Die Kirchen zahlten oft das Schulgeld, wenn Eltern es nicht mehr aufbringen können.

Auf die Pfarren kommen in dieser tristen Situation große gesellschaftliche Aufgaben zu. Die Strategie der Franziskaner laute, so Pater Ibrahim: „Wir setzen für die Menschen ein Zeichen des Friedens.“ Die Kirchen kümmerten sich um das Zusammensein der Menschen, um Sport und Unterhaltung. „Wir tragen eine Gesamtverantwortung für das Leben ganzer Familien.“ Die Aktivitäten der Kirchen würden von den staatlichen Behörden sehr geschätzt.

Wie „Spielball der Mächte“

Befragt nach möglichen Lösungsansätzen für Syrien sagte Alsabagh: „Die Syrien-Krise kann nicht gelöst werden, ohne dass alle Gruppen im Boot sind.“ Alle, die in Syrien Verantwortung tragen, müssten eingebunden werden. Doch in Syrien selbst könne keine politische Lösung erarbeitet werden. „Die Welt müsste mitmachen“ – mit dem Ziel eines Wiederaufbaus.

Denn es gehe um einen strategischen und geopolitischen Kampf. Freilich, derzeit hätten die Menschen das Gefühl, die ausländischen Akteure verfolgten ihre eigenen Interessen. „Wir fühlen uns wie ein Spielball der Mächte.“

Ibrahim Alsabagh, der aus Damaskus stammt, lebte und studierte einige Jahre in Rom, bevor er 2014 in sein Heimatland zurückkehrte und die Pfarre in Aleppo übernahm. Demnächst entsendet ihn der Franziskaner-Orden nach Nazareth.