Ausstellung

Genuss und Ekel: „Mahlzeit“ im Dom Museum

Essen und Trinken: Daran kann niemand vorbei. Dass die so banale Alltagshandlung der Nahrungsaufnahme auch äußerst politisch ist, zeigt die neue Ausstellung „Mahlzeit“ des Dom Museums Wien – und lässt neben schwelgenden Abbildern üppiger Genüsse auch Grausliches stehen.

Egal, wer wir sind, was wir tun und woran wir glauben – wir müssen alle essen und trinken. „Essen erzählt alles über eine Gesellschaft“, sagt Direktorin Johanna Schwanberg. Wer was mit wem essen und trinken darf oder nicht, das habe auch viel mit Ungleichheit zu tun, mit Klimathemen, Gesundheits- und Geschlechterfragen sowie religiösen Bräuchen, so Schwanberg.

In fünf Schwerpunkten, „Erstes und letztes Mahl“, „Sinneslust und Vergänglichkeit“, „Tischgemeinschaften“, „Alleinsein und Selbstreflexion“ und „Politik auf dem Teller“, liefert die Schau den schon vertrauten Mix aus historischen Beständen und modernen, teils eigens für die Ausstellung angefertigten Werken. Begleitet wird „Mahlzeit“ von einer Dauerperformance des Künstlerkollektivs honey & bunny auf dem Stephansplatz.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Maja Vukoje, Jolly (Detail), 2016
Bildrecht, Wien 2022, Roland Krauss
Maja Vukoje: „Jolly“ (Detail, 2016)
Klaus Pichler Erdbeeren, aus der Serie „One Third“, 2011
Klaus Pichler
Klaus Pichler: „Erdbeeren“ aus der Serie „One Third“ (2011)
Meister des Friedrichsaltars, Letztes Abendmahl, um 1440/1450
Belveder Wien
Meister des Friedrichsaltars: „Letztes Abendmahl“ (um 1440/1450)
Maria Lassnig, Selbstportrait mit Kochtof, 1995
Maria Lassnig Stiftung
Maria Lassnig: „Selbstporträt mit Kochtopf“ (1995)
Josef Danhauser, Der reiche Prasser (Detail), 1836
Belvedere Wien, Johannes Stoll
Josef Danhauser: „Der reiche Prasser“ (Detail, 1836)
Izumi Miyazaki: Broccoli (2017)
Izumi Miyazaki
Izumi Miyazaki: „Broccoli“ (2017)
Abraham van Beyeren: Prunkstillleben (Mitte 1660er-Jahre)
LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna
Abraham van Beyeren: „Prunkstillleben“ (Mitte 1660er Jahre)
Anna Paul: Bread Piece (2022)
ORF.at/Johanna Grillmayer
Anna Paul: „Bread Piece“ (2022)

Junge Künstlerinnen, alte Meister

Als ein kostbares Highlight preist die Schau ein schlichtes, gestreiftes Stoffstück aus der Reliquienkammer des Stephansdoms an, angeblich ein Teil jenes Tischtuchs, das beim letzten Abendmahl Verwendung fand. Religiöse Aspekte bleiben weitgehend den historischen Werken vorbehalten, zum Beispiel dem kleinen, expressiven Tafelbild des Meisters des Friedrichsaltars (15. Jahrhundert). Das Porträt einer Zwillinge stillenden Mutter „The First Week“ (2004) der in Israel geborenen und in New York lebenden Künstlerin Elinor Carucci zieht im ersten Raum die Blicke auf sich.

Viele Werke junger Künstlerinnen hat sich das Museum zugelegt, um, wie Schwanberg sagt, ein Gegengewicht zur männerdominierten Vergangenheit zu bekommen. Dem Erfolgskonzept, Altes Neuem gegenüberzustellen und (unter anderem) den Kontrast wirken zu lassen, ist das Dom Museum treu geblieben, allerdings weniger deutlich als in früheren Ausstellungen.

Teig, der den Käfig sprengt

Wenn man das Brotkunstwerk („Bread Piece“, 2022) der jungen Wiener Künstlerin Anna Paul und Nelson Jalils „Algo vivo dentro de algo muerto“ (2021), bei dem ein aufgegangener Sauerteig einen Metallkäfig „sprengt“, betrachtet, ist der Weg zu Daniel Spoerri, Joseph Beuys und Dieter Roth ohnehin nicht weit.

In der Tradition von üppigen Stillleben, die schon immer auch an die Vergänglichkeit gemahnen sollten, stehen Fotoarbeiten von Catrin Bolt, Klaus Pichler und Taryn Simon. Sie prangern die Verschwendung von Lebensmitteln an, das Bewegtbildkunstwerk „Still Life & Death with Fruits and Mice“ (2012) von Stephane Soulie (siehe oben), lädt zur kontemplativen Betrachtung des Verfalls von Früchten im Zeitraffer ein. Glamourös und ekelhaft zugleich ins Bild gesetzt sind die Erdbeeren und Mehlmaden des Wieners Klaus Pichler aus der Serie „One Third“ (2011).

Marzipanbemmerl auf dem Hasentisch

Wo es ums Essen geht, dürfen auch Tische nicht fehlen: Von Sonja Alhäusers Tischinstallation, auf dessen Platte bunte Häschen den Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden symbolisieren, darf auch gegessen werden – wenn man sich überwinden kann, ein braunes „Hasenbemmerl“ aus Marzipan und Schokolade in den Mund zu stecken. Eine ganz andere Art Tisch ist die Installation „Tete-a-Tete de Luxe“ von Götz Bury: In der Art einer barocken Tafel glitzern Tafelaufsätze und Geschirr, die auf den zweiten Blick als zusammengeschweißtes Altblech, Waschmaschinentrommeln und Staubsauger erkennbar sind.

Sehr bunt und international zeigt sich die Schau vor allem gegen Ende. Die poppigen, provokanten Einfälle der japanischen Fotokünstlerin Izumi Miyazaki erinnern daran, was Essen und auch Kochen „mit uns macht“ – ganz passiv ist die junge Frau auf den Bildern und sozusagen „Opfer“ von Nahrungsmitteln, denen sie ausgeliefert scheint. Brokkoliröschen umfliegen sie, aus ihrer Nase rinnt Sauce. Die Arbeit in der Küche (als Labor) und die Deformationen, die damit einhergehen können, verhandeln Beiträge von Marina Abramovic, Franz West und Maria Lassnig.

Essen als Ausdruck von Identität

Gegenüber erinnert die bunte Bildreihe der österreichisch-serbischen Künstlerin Maja Vukoje mit ihren zum Teil mit Zucker, Kaffee und Kakao gemalten Bildern an die koloniale Herkunft vieler unserer Lebensmittel. Menschen beim Essen zusehen kann man via Videoinstallation „Table Manners“ der in Nigeria geborenen und in Großbritannien aufgewachsenen Künstlerin Zina Saro-Wiwa: Hier diene die Nahrungsaufnahme als Ausdruck von Identität in einer von Ölausbeutung geschundenen Gegend, erklärt Direktorin Schwanberg.

Ausstellungshinweis

„Mahlzeit“ im Dom Museum Wien, Stephansplatz 6, 29. September 2022 bis 27. August 2023

Humorvoll nähert sich die deutsche Performance- und Fotokünstlerin Veronika Merklein dem heiklen Bereich der Körpernormierungsfragen. In einem an einen Werbeclip gemahnenden Video versucht sie, eine dick machende „Fettpille“ an die Frau zu bringen – ganz im Stil der Vermarktung gängiger Diät- und Schlankheitsmittelchen.

Auch lustig ist die Fotoserie „Objectifs de production“ (2005) des französischen Künstlers Thierry Boutonnier. Hier werden Schweine und Hendln mittels Grafiken und Vorträgen darüber „unterrichtet“, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Mit „Mahlzeit“ ist dem Dom Museum eine unterhaltsame und in jeder Hinsicht gehaltvolle Schau gelungen.