Konzilsbischöfe, Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965
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Zweites Vatikanisches Konzil

60 Jahre II. Vaticanum: Das unerledigte Konzil

Vor 60 Jahren, am 11. Oktober 1962, hat in Rom das Zweite Vatikanische Konzil begonnen. Ziel war nicht mehr und nicht weniger, als die katholische Kirche in die Moderne zu führen. Während manche es heute als unerledigt sehen, werden auch Rufe nach einem neuen Konzil laut.

„Das Konzil hat begonnen, und wir wissen nicht, wann es zu Ende sein wird“, sagte Papst Johannes XXIII. (1958–1963) bei der Eröffnung. Sollte man vor Weihnachten zu keinem Ende kommen, ergänzte er, werde eine zweite Zusammenkunft nötig sein. Ganz so, als habe er geahnt, was da an Reformen auf die Konzilsbischöfe zukommen würde. Dass das Konzil aber über drei Jahre dauern und von seinem Nachfolger beendet werden sollte, konnte der beliebte und als volksnah geltende Johannes XXIII. nicht wissen.

Das II. Vaticanum, wie es auch genannt wird, war die größte Bischofsversammlung des 20. Jahrhunderts, und es sollte ein „Aggiornamento“, eine „Verheutigung“, für die Kirche bringen und sie „von den Verkrustungen der Geschichte befreien“, schreibt der Jesuit und Buchautor Andreas R. Batlogg in seiner Neuerscheinung „Aus dem Konzil geboren“. Batloggs Buch widmet sich den Konzilstexten (vier Konstitutionen, neun Dekrete und drei Erklärungen) ebenso wie der Geschichte des Ereignisses selbst.

Papst Johannes XXIII. wird am 11. Oktober 1962 in die Peterskirche getragen, Start des Zweiten Vatikanischen Konzils
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Der Prunk einer Kirche, die der Modernisierung bedurfte: Papst Johannes XXIII. wird am 11. Oktober 1962 in die Peterskirche getragen

„Verheutigung“ und Erneuerung

Ein Hauptanliegen des Konzils war liturgische Erneuerung: Die lateinische Messe schien unzeitgemäß – eine Ansicht, die nicht alle teilten, wie sich noch herausstellen sollte. „Sacrosanctum Concilium“, die Konstitution über die Liturgie, spricht für den Einsatz der Landessprachen im Gottesdienst. Dadurch sollte die Stellung der Gläubigen gestärkt werden und die Rolle der Priester ein wenig in den Hintergrund treten.

Das II. Vaticanum

Das Zweite Vatikanische Konzil wurde von Papst Johannes XXIII. (1958–1963) einberufen und von Papst Paul VI. (1897–1978) zu Ende geführt. Über 3.000 Menschen nahmen daran teil. 16 Dokumente gingen daraus hervor.

Aber auch die Verurteilung von Antisemitismus und Antijudaismus (in der Erklärung „Nostra aetate“) war überfällig, die theologische Frage des Verhältnisses der Kirche zum Judentum musste geklärt werden. „All das löste auf verschiedenen Ebenen Nervositäten aus, teils energischen theologischen Widerstand“, schreibt Batlogg. Die Öffnung in Richtung Ökumene und nicht christlicher Religionen war ein weiterer bedeutender Schritt.

Heftige Reaktionen auf „Pillen-Enzyklika“

Auch unerledigte Themen sorgten im Windschatten des Konzils für Aufregung. Ein gesellschaftlich äußerst brisantes Thema, das der Verhütung, wurde aus dem Konzil „herausgelöst“ – ebenso wie die Zölibatsfrage. Papst Paul VI. (1897–1978), der im Jahr 1963 Johannes XXIII. nachfolgte und auch das Konzil zu Ende führte, widmete beiden Themen in der Folge je eine Enzyklika, von der jene über Verhütung, „Humanae Vitae“ vom Juli 1968, als „Pillen-Enzyklika“ in die Geschichte einging.

Buchcover Andreas R. Batlogg: Aus dem Konzil geboren. Wie das Vatikanische Konzil der Kirche den Weg in die Zukunft weisen kann
Tyrolia

Andreas R. Batlogg: Aus dem Konzil geboren. Wie das II. Vatikanische Konzil der Kirche den Weg in die Zukunft weisen kann. Tyrolia, 224 Seiten, 22 Euro.

Die heftigen Reaktionen auf das Schreiben, das den Einsatz aller Verhütungsmittel mit Ausnahme „natürlicher“ Methoden verbot, hätten ihn derart getroffen, „dass er in den ihm verbleibenden weiteren zehn Jahren seiner Amtszeit nie mehr auf das Instrument der Enzyklika zurückgreifen sollte“. Der Eingriff in das „intimste Leben von Ehepaaren“ habe weltweit für Irritationen gesorgt, so der Autor.

Die Geburt der Piusbruderschaft

Zu einem kleinen Schisma führte das Konzil – oder dessen Nachwirkung – einige Jahre später, als die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ 1969 vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905–1991) gegründet wurde. Die Bruderschaft, der sich die katholische Kirche unter den Päpsten Benedikt XVI. und Franziskus mittlerweile wieder angenähert hat, lehnt viele Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils ab, vor allem in Sachen Liturgie, Religionsfreiheit und Ökumene.

Der Generalobere der Piusbruderschaft, Davide Pagliarani, sagte 2018, Papst Franziskus gehe in grundsätzlichen Fragen in genau die „falsche“ Richtung, die bereits das Zweite Vatikanische Konzil eingeschlagen habe.

Viele Fragen offen

Ob falsch oder richtig: Publikationen und Äußerungen prominenter Konzilsteilnehmer verraten, dass auch sie viele Fragen offen sehen. Ein 1998 erschienenes Buch des Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl trägt den Untertitel „Was mir nach dem Konzil noch fehlt“. Auch der frühere Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, der als junger Mann am Konzil teilnahm, fragte sich 2005: „Welches Ergebnis hatte das Konzil? Ist es richtig rezipiert worden? (…) Was muss noch getan werden?“

Benedikt XVI., der von dem deutschen Dogmatiker Michael Schmaus zu den „theologischen Teenagern“ des Konzils gerechnet wurde, dürften aus späterer Sicht einige Beschlüsse doch zu weit gegangen sein, als er von den „Übertriebenheiten einer wahllosen Öffnung zur Welt“ sprach und in diesem Zusammenhang auch das Wort „Restauration“ verwendete. Auch von „Geist“ und „Ungeist“ des Konzils sprach Ratzinger oft, wie Batlogg in „Aus dem Konzil geboren“ ausführt.

„Bewegung der Erneuerung aus dem Evangelium selbst“

Batlogg zitiert Papst Franziskus, der über das II. Vaticanum sagte: „Es hat eine Bewegung der Erneuerung ausgelöst, die aus dem Evangelium selbst kommt. Die Früchte waren enorm.“ Aus Sicht des aktuellen Papstes sei also „längst noch nicht abgearbeitet, was dieses Konzil angestoßen hat“.

Und braucht es ein neues Konzil? Franziskus setzt auf umfassende Bischofssynoden zu unterschiedlichen Schwerpunkten. Der derzeit weltweit laufende Prozess des Synodalen Weges wird in einer Bischofssynode im Oktober 2023 zu Ende geführt. Vielleicht ist ihm der Ausspruch des Theologen Karl Rahner bekannt, den Batlogg am Ende seines Buchs zitiert: „Es werde ‚lange dauern‘, bis die Kirche, ‚der ein II. Vatikanisches Konzil geschenkt wurde‘, auch wirklich (und wirksam) ‚die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils sein wird‘.“