Große Leuchtschrift „Jesus“ auf einer Bühne, davor Menschen mit erhobenen Händen
APA/AFP/Carl de Souza
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Wahlkampf

Kirche in Brasilien kritisiert Vereinnahmung im Wahlkampf

Die römisch-katholische Kirche in Brasilien will sich nicht für den Wahlkampf vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am 30. Oktober instrumentalisieren lassen. „Religiöse Anlässe dürfen von Kandidaten nicht genutzt werden, damit sie ihre Vorschläge präsentieren“, hieß es vonseiten der brasilianischen Bischofskonferenz.

Durch „religiöse Manipulation“ würden die Werte des Evangeliums herabgemindert und so werde von den wirklichen Problemen in Brasilien abgelenkt, so die Mitteilung von Dienstag. Bestimmte Kandidaten oder Situationen wurden in der Mitteilung nicht genannt. Beobachter werteten das Schreiben jedoch als Appell an Präsident Jair Messias Bolsonaro.

Dieser hatte vergangene Woche an der traditionellen Prozession der Statue „Unserer Lieben Frau von Nazareth“ in Belem teilgenommen. Bei der Stichwahl am 30. Oktober stehen sich Amtsinhaber Bolsonaro und sein Herausforderer, der linke Ex-Präsident Luis Inacio Lula da Silva, gegenüber.

Flussprozession als Kundgebung dargestellt

Am Freitag hatte der Erzbischof von Belem, Alberto Taveira Correa, öffentlich erklärt, der Präsident sei nicht offiziell zu den Prozessionen eingeladen. Bolsonaro war dennoch erschienen und nutzte seinen Aufenthalt für Wahlwerbung. In sozialen Netzwerken hatte er eine Flussprozession in Belem als Kundgebung seiner Anhängerinnen und Anhänger dargestellt. An den mehrtägigen Feierlichkeiten nehmen rund 2,5 Millionen Menschen teil.

„Die religiöse Manipulation beschädigt die Werte des Evangeliums und lenkt von den tatsächlichen Problemen ab, die in Brasilien gelöst werden müssen“, so der Brief der Bischöfe. „Wir stellen klar, dass die Bischofskonferenz vehement jeglichen Missbrauch der Religion für Wahlkampfzwecke durch jedweden Kandidaten verurteilt.“

„Politische Instrumentalisierung des Glaubens“

Bolsonaro ist Katholik, hatte sich aber 2016 von einem evangelikalen Prediger im Jordan erneut taufen lassen. Seitdem besucht er regelmäßig evangelikale Gottesdienste. Zudem gehören die Gründer der größten Pfingstkirchen Brasiliens zu seinen engsten politischen Verbündeten. Sein Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche ist dagegen unterkühlt. So liegt sein Herausforderer Lula bei katholischen Wählerinnen und Wählern deutlich vor Bolsonaro.

Nun will Bolsonaro laut Beobachtern eine Offensive bei katholischen Gläubigen starten. Dazu gehört auch sein Besuch des Wallfahrtsortes Aparecida, wo am Mittwoch Brasiliens Nationalpatron gedacht wird: Die Statue der „Schwarzen Madonna von Aparecida“ wurde 1717 in einem Fluss gefunden.

Der Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Odilo Pedro Scherer, reagierte am Dienstag in einem Interview der Zeitung „Folha de S. Paulo“ auf Bolsonaros angekündigte Teilnahme ungehalten und verurteilte die „politische Instrumentalisierung des Glaubens“.

Katholiken von „extrem links bis extrem rechts“

Scherer unterstrich, dass sich Geistliche aus dem Wahlkampf und der Parteipolitik heraushalten sollten. Generell seien katholische Wählerinnen und Wähler über das gesamte politische Spektrum verteilt, von „extrem links bis extrem rechts“, so Scherer. Herausforderer Lula da Silva, der katholisch ist, vermeidet im aktuellen Wahlkampf Auftritte im religiösen Rahmen. Man müsse Politik und Religion trennen, so Lula.

Jüngste Umfragen sehen ihn vor der Stichwahl am 30. Oktober bei 51 bis 55 Prozent der Stimmen. Allerdings holte Bolsonaro zuletzt auf, auch aufgrund seiner großen Beliebtheit unter der evangelikalen Wählerschaft. Im ersten Durchgang am 2. Oktober hatte Lula sich knapp durchgesetzt.

Brasilien ist nach wie vor das Land mit den meisten Katholikinnen und Katholiken weltweit. Etwa 50 Prozent macht ihr Anteil aus. Aber die aus den USA importierten, häufig erzkonservativen evangelikalen Bewegungen gewinnen immer mehr Einfluss auf Politik und Gesellschaft im größten Land in Lateinamerika. Etwa 30 Prozent gehören evangelikalen Gemeinden an.