Eine Femen-Aktivistin in der Madeleine Kirche in Paris
APA/AFP/Thomas Samson
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Menschenrechte

Femen-Aktion in Pariser Kirche: EGMR verurteilt Frankreich

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Frankreich zur Zahlung von Schadenersatz an eine Femen-Aktivistin verurteilt. Die Frau hatte im Dezember 2013 mit nackten Brüsten in einer Kirche in Paris gegen das katholische Abtreibungsverbot protestiert und war verurteilt worden.

Die französischen Gerichte verurteilten die Aktivistin zu eine Freiheitsstrafe von einem Monat auf Bewährung und einer Geldstrafe worden. Die EGMR-Richter kritisierten in ihrer am Donnerstag in Straßburg veröffentlichten Entscheidung die verhängten Strafen als unverhältnismäßig und sahen einen Eingriff in die Meinungsfreiheit der Frau. Unter Betrachtung aller Umstände des Falles sei die Verhängung einer Freiheitsstrafe auf Bewährung „in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig“ gewesen.

Abtreibung mit Rinderleber

Die Klägerin hatte als Mitglied der Frauenprotestbewegung Femen im Dezember 2013 in der Pariser Kirche La Madeleine für körperliche Selbstbestimmung demonstriert. Ihre Aktion mit freiem Oberkörper vor dem Altar beinhaltete religiöse Gesten und sollte unter Verwendung eines Stücks Rinderleber eine Abtreibung darstellen. Zu dem Zeitpunkt fand kein Gottesdienst statt.

Ein Gericht in Frankreich verurteilte sie wegen „sexueller Zurschaustellung“ zu einem Monat Haft auf Bewährung sowie zur Zahlung von 2.000 Euro an die Pfarrgemeinde. Berufungsgerichte bestätigten die Entscheidung.

Beitrag zur öffentlichen Debatte

Der Gerichtshof für Menschenrechte erinnerte daran, dass eine Gefängnisstrafe im Rahmen einer politischen oder gesellschaftlichen Debatte „nur unter außergewöhnlichen Umständen mit dem in Artikel 10 der Menschenrechtskonvention garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung vereinbar“ sei, beispielsweise im Fall von Hassreden oder Anstiftung zu Gewalt. Im konkreten Fall hätte dem Recht der Frau auf freie Meinungsäußerung ein ausreichendes Schutzniveau gewährt werden müssen, da ihre Botschaft ein Thema von öffentlichem Interesse betroffen habe.

Die französischen Gerichte hätten sich insbesondere darauf berufen, dass die Frau ihre Brüste in einem Gotteshaus entblößt habe, aber nicht geprüft, ob ihr Handeln „grundlos beleidigend“ gegenüber religiösen Überzeugungen war. Die zugrunde liegende Botschaft der Aktion sei nicht berücksichtigt worden, so die EGMR-Richter. Der einzige Zweck der Aktion der Frau, der kein beleidigendes oder hasserfülltes Verhalten vorgeworfen worden sei, habe darin bestanden, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte über die Rechte der Frau, genauer gesagt über das Recht auf Abtreibung, zu leisten.

2.000 Euro Schadensersatz

Die Straßburger Richter verwiesen darauf, dass auch das Recht auf ungestörte Religionsausübung bei der Entscheidung der französischen Gerichte eine Rolle spielte; weil aber die Anklage auf Exhibitionismus lautete, hätten die Gerichte keine Abwägung zwischen den Grundrechten Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit vornehmen müssen. Der Menschenrechtsgerichtshof sprach der Klägerin 2.000 Euro für immateriellen Schaden und 7.800 Euro Auslagenersatz für Gerichts- und Reisekosten zu.