Fischer zeigte unter anderem anhand von Übersetzungsbeispielen aus dem Alten Testament auf, wie stark das katholische Geschlechterverständnis bis heute zweigeschlechtlich verkürzt sei und zudem Machtverhältnisse zementierend wirke. Es verwundere daher auch nicht, dass der Vatikan die Menschenrechtsdeklaration nicht signiert oder ratifiziert habe, und dass das katholische Geschlechterverständnis bis heute ein „Fremdkörper in westlichen Demokratien“ darstelle.
In einem Überblick zur Entwicklung der Genderforschung zeigte Fischer zunächst auf, wie sich diese von ersten Ansätzen der Frauenforschung, bei denen es noch nicht um heutige Fragen der Geschlechterkonstruktion ging, über die feministische Forschung im Kielwasser der 68er-Bewegung und dem Ringen um Gleichstellung bis hin zur heutigen Genderforschung mit ihren Reflexionen auf die Kategorie Geschlecht und Fragen von Macht und Ohnmacht entwickelt hat.
„Von zölibatären Klerikern bestimmt“
Der kirchenamtliche Umgang mit diesen Fragen hingegen erschöpfe sich meist in einer „von zölibatären Klerikern bestimmten Rede von der Würde der Frau“, einem „essentialistischen Verständnis von Zweigeschlechtlichkeit“ und der „Normativität von hierarchisch gelebter Heterosexualität“. Skeptisch zeigte sich Fischer in dem Zusammenhang, dass dies sich unter Papst Franziskus ändern werde.
Anhand verschiedener Übersetzungsbeispiele aus dem Alten Testament zeigte Fischer weiters auf, dass maskuline Formen nicht automatisch eine Fixierung auf das männliche Geschlecht darstellen. Der Gottesnamen JHWH etwa werde grammatikalisch männlich gesehen, obwohl das Bilderverbot (Dtn 4,16) „allen voran das nur-männliche Bild verbietet“, so Fischer. Auch eine heute übliche Übersetzung mit „Herr“ greife insofern zu kurz, als damit heute keine Herrschaftsfunktion mehr verstanden werde, sondern eine geschlechtliche Aussage – die aber sei biblisch gerade nicht intendiert.
Neue Dekanin begrüßt
Begrüßt wurden die zahlreichen Gäste und Studierende von der neuen Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät, Andrea Lehner-Hartmann. Sie bezeichnete das Thema Genderforschung und die damit verbundenen Fragen als „möglicherweise eine der zentralsten Fragen, die mit darüber entscheiden, ob Kirche eine Zukunft hat oder nicht“.
Lehner-Hartmann dankte weiters ihrem Vorgänger, Johann Pock, für seine umsichtige Dekanatsführung in den vergangenen, schwierigen Jahren und bot zudem einen Rückblick unter anderem auf von der Fakultät getragene Solidaritätsinitiativen für ukrainische Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Es ist unsere Pflicht, beständig an das Leid der Menschen zu erinnern. Dazu gehört auch, die Rolle der Kirchen und Religionen in ihren kriegstreibenden und ihren friedenstiftenden Ausprägungen offen zu benennen“, so Lehner-Hartmann.
Herausforderungen für Universitäten
Vorausgegangen waren dem Vortrag einleitende Worte der Wiener Vizerektorin und Theologin Christa Schnabl, in denen sie die besonderen Herausforderungen für die Universitäten gegenwärtig skizzierte. Unter dem Eindruck der drei „Hauptkrisen“ – Klimakrise, Coronavirus-Pandemie und Krieg – habe sich auch die „Großwetterlage“ für die Unis verändert. Die Studierendenzahlen insgesamt seien deutlich rückläufig, es herrschten Verunsicherung bei Studierenden wie auch beim wissenschaftlichen Personal im Blick auf die Zukunft.
Dem müssten Universitäten heute entgegnen: „Denn es kann uns nicht egal sein, wie es unseren Studierenden geht“, so Schnabl. Für die Fakultäten bedeute das: „Nachdenken und sichtbar machen, was das Studium attraktiv macht“.
Fakultät „auf gutem Weg“
Die Katholisch-Theologische Fakultät sei diesbezüglich schon seit einigen Jahren auf einem guten Weg, sagte Schnabl und verwies etwa auf neue Studiengänge wie den Bachelor in Orthodoxer Religionspädagogik oder den Bachelor Altkatholisch-Religionspädagogische Studien. „Vermutlich werden wir aber noch viel weitgehendere Initiativen setzen müssen, um auf die Interessen der jungen Menschen heute zu reagieren“, so Schnabl.
Vergeben wurden im Rahmen des Festaktes außerdem die fakultären Preise für herausragende wissenschaftliche Abschlussarbeiten und Dissertationen.