Die Luther Bibel aus dem Jahr 1544/45
APA/Nationalbibliothek
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Jubiläum

500 Jahre Lutherbibel: „Dem Volk aufs Maul geschaut“

„Ein Herz und eine Seele“ oder „Perlen vor die Säue“: Viele, bis heute gebräuchliche Redewendungen sind zum ersten Mal in der Bibelübersetzung von Martin Luther zu finden. Der Reformator wurde daher zum Schöpfer der modernen deutschen Sprache stilisiert. Vor 500 Jahren erschien der erste Teil dieses – im wahrsten Sinn des Wortes – „bahnbrechenden“ Werkes.

So viel wie zwei Ochsen kostete das „Septembertestament“ im Handel und erschien vorerst noch anonym unter dem schlichten Titel „Das newe Testament Deutzsch“. Die erste Auflage von schätzungsweise 3.000 bis 5.000 Stück war so rasch vergriffen, dass noch im Dezember 1522 in Wittenberg, Frankfurt und Basel weitere Auflagen auf den Markt gebracht wurden. Das „Alte Testament“, wie es Luther nannte, sollte 1534 folgen.

Fünf Jahre nach der Veröffentlichung seiner 95 Thesen, an die das „Reformationsfest“ Jahr für Jahr am 31. Oktober erinnert, setzte Luther mit dem „Septembertestament“ einen weiteren reformatorischen Meilenstein. Der Papst hatte ihn mittlerweile exkommuniziert, und der Kaiser verhängte die „Reichsacht“ über ihn – was einem Todesurteil gleichkam.

Therapie und Marketing

Unter dem Decknamen „Junker Jörg“ musste sich Luther auf der Wartburg (bei Eisenach) verstecken. In dieser schwierigen Situation sei die Arbeit an der Übersetzung des neuen Testamentes für ihn sicher so etwas wie eine Therapie gewesen, sagte Michael Chalupka, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich in der Ö1-Sendung „Logos“ am Samstag. Dass er sie im Alleingang in nur 73 Tagen abgeschlossen haben soll, ist aber eher eine fromme Legende.

Sendungshinweis

Ö1-Sendung „Logos“ „Die deutsche Sprache und die Heilige Schrift“, von Samstag, 29.10.2022, 19.05 Uhr zum Nachhören.

Als wichtigster Mitarbeiter gilt heute Philipp Melanchthon, eine Koryphäe für die griechische Sprache, mit der Luther selbst zu Beginn angeblich noch seine Schwierigkeiten hatte. Auch andere Professoren-Kollegen an der Universität Wittenberg werden mitgeholfen haben. Das daraus letztliche eine „Lutherbibel“ geworden ist, hat wohl etwas mit klugem Marketing zu tun.

Das „Wort Gottes“ für alle verständlich

Martin Luthers Bibelübersetzung war nicht die erste, auch nicht die erste gedruckte – aber die erste, die sich ganz bewusst an der Alltagssprache der Menschen orientieren wollte. „Wie die Kinder auf der Gasse, wie der Mann auf dem Markt, wie die Mutter im Hause“ – so versuchte Luther sich auszudrücken. „Dem Volks auf Maul geschaut“ – dieses berühmte Diktum fasst seine Absicht als Übersetzer durchaus passend zusammen.

Die Lutherstube auf der Wartburg in Eisenach (Thüringen)
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Luthers Stube auf der Wartburg in Eisenach (Thüringen)

Allen Menschen soll ein direkter Zugang zum „Wort Gottes“ eröffnet werden: In diesem Sinne sei die Übersetzung der Bibel in die jeweilige Landessprache ein zentrales Anliegen der Reformation, betonte Chalupka. Der Mensch brauche dafür nach reformatorischer Auffassung keine „priesterliche Vermittlung“ durch eine kirchliche Autorität, „denn wer aus der Taufe gekrochen ist selber Priester, Bischof oder Papst".

Martin Luther griff – auch das ist neu – auf das griechische bzw. hebräische Original der Bibel zurück. Dafür nutzte er in erster Linie die zweisprachige Ausgabe, die Erasmus von Rotterdam einige Jahre davor veröffentlichte. Frühere Übersetzungen hatten sich in der Regel sehr strikt Wort für Wort an die „Vulgata“ gehalten, eine lateinische Bibelübersetzung des Kirchenvaters Hieronymus aus dem 4. Jahrhundert.

„Vater der modernen deutschen Sprache“

Bis tief ins 20. Jahrhundert hinein galt der Reformator auch gleich als Vater der (modernen) deutschen Sprache. „Wir in der Linguistik relativieren das schon seit einiges Jahrzehnten“, sagt der Germanist Manfred Glauninger. Mit seinem Gespür für die Sprache sei Luther aber – in Verbindung mit dem Buchdruck – zum „maßgeblichen Motor“ der Entwicklung geworden.

Eine schriftsprachliche Norm für den gesamten deutschen Sprachraum gab es damals noch nicht – mehr noch: der deutsche Sprachraum war geteilt. Im Norden wurden niederdeutsche Varianten gesprochen, im Süden hochdeutsche. Mit seinem Geburtsort Eisleben (heute in Sachsen-Anhalt) wuchs Luther an der Sprachgrenze auf.

Bis heute gebräuchliche Redewendungen

Mit dem Ziel, möglichst überregional verstanden zu werden, ging Luther als Übersetzer durchaus methodisch vor. Aus der Fülle an Varianten traf er bewusst seine Wahl, so Glauninger. Er entschied sich für „Lippe“ und „fett“ (niederdeutsch) statt „Lefze“ und „feist“ (hochdeutsch) oder für „heucheln“ statt „gleißen“ – und prägte damit den Wortschatz bis heute.

Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
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Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) Wittenberg (Sachsen-Anhalt)

Noch auffälliger ist sein Einfluss in der Idiomatik: „Aus dem Herzen keine Mördergrube machen“, „das Licht nicht unter den Scheffel stellen“, „der Wolf im Schafspelz“, „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Herz und eine Seele sein“ – alle diese Redewendungen tauchen zum ersten Mal in der Lutherbibel auf.

Erster Ansatz für die moderne Bibelwissenschaft

Luther ließ sein „newes Testament Deutzsch“ aber keineswegs unkommentiert auf den Markt bringen. „Bibel braucht immer Interpretation“, sagt die evangelische Theologin Jutta Henner, Leiterin der „Österreichischen Bibelgesellschaft“. Luther versah daher jedes „Buch“ der Bibel mit einer kleinen Hinführung, einer „Vorrede“, und erklärt darin den unterschiedlichen Stellenwert der einzelnen Schriften. Für Henner ist das ein erster Ansatz für die moderne Bibelwissenschaft. „Damit ist Luther ein Vorreiter gegen jedes fundamentalistische Missverstehen der Bibel.“

Im katholischen Bereich blieb man diesem „direkten Zugang“ zur Bibel noch lange skeptisch gegenüber. Ihre Auslegung sollte doch kirchlich kontrolliert bleiben. Dem Erfolg der Lutherbibel wollte man auf jeden Fall etwas entgegensetzen und beauftragte eigene katholische Bibelübersetzungen. Diese orientierten sich jedoch sehr stark an Luther (bis hin zum Plagiat). Damit erklärt sich aber auch, warum der sprachliche Einfluss Luthers auch in katholischen Ländern wirksam werden konnte.

„Wieviel 16. Jahrhundert darf bleiben?“

Nach dem Tod von Martin Luther 1546 wurde seine Bibel immer wieder nachgedruckt. Urheberrechte waren damals noch nicht geschützt, also nahmen sich die Verlage ihre Freiheiten mit dem Text. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er wieder vereinheitlicht. Weitere Revisionen folgten: Die Schreibung wurde sanft modernisiert, aber auch neue Erkenntnisse der Bibelwissenschaft wurden und werden berücksichtigt.

„Die große Frage aber bleibt die Sprachgestalt“, so die Theologin. Wieviel 16. Jahrhundert darf bleiben? Wieviel Sprachwandel wird zugelassen? „Da sehe ich schon die Gefahr, dass das schöne Sprachdenkmal auch zu einem elitären Minderheitenprogramm wird. Und ich frage mich: Was würde Martin Luther dazu sagen? Wäre es ihm nicht ein Anliegen, diese Botschaft, die ihn sein Leben lang umgetrieben hat, in die Sprache, die Menschen heute sprechen, zu kleiden?“