Deutschland

Kardinal Marx entschuldigt sich bei Missbrauchsopfern

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat sich ein Jahr nach Veröffentlichung eines Aufsehen erregenden Gutachtens über Missbrauchsfälle in seinem Bistum erneut bei den Betroffenen entschuldigt.

„Für das damit verbundene Leid werde ich immer in der Verantwortung stehen und bitte darum nochmals um Entschuldigung“, sagte der Erzbischof von München und Freising am Dienstag. „Ich kann Geschehenes nicht rückgängig machen, aber jetzt und zukünftig anders handeln. Und das tue ich.“

Dass die Perspektive der Betroffenen anfänglich zu wenig berücksichtigt worden sei, „war unser größtes Defizit. Das müssen wir als Kirche, das muss ich als Erzbischof selbstkritisch einräumen“. Auch ein Jahr nach dem Gutachten sei das Entsetzen über die Fälle groß. „Der Schrecken ist geblieben“, sagte Marx. „Missbrauch ist und bleibt eine Katastrophe.“

Gutachten empörte weltweit

Das vom Bistum bei der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebene Gutachten hatte bei seiner Vorstellung im Januar 2022 weltweit Aufsehen erregt. Die Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus – und von einem weit größeren Dunkelfeld.

Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx
APA/AFP/Lennart Preiss
Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, entschuldigte sich ein Jahr nach dem Missbrauchsgutachten erneut bei den Betroffenen

Den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem an Silvester gestorbenen Papst Benedikt XVI., wurde in dem Gutachten persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen – ebenso Kardinal Marx. Marx rief am Dienstag dazu auf, Hinweise auf möglichen Missbrauch zu melden.

Mehr als hundert neue Hinweise

Seit Veröffentlichung des Gutachtens gingen bei den katholischen Bistümern in Bayern bis Ende 2022 mehr als hundert neue Hinweise auf Verdachtsfälle ein. Mindestens 116 Meldungen zählten die Diözesen im Freistaat in diesem Jahr, wie eine Umfrage der dpa ergab.

Allein im Erzbistum München und Freising gingen seit der Veröffentlichung bis Ende November 54 neue Meldungen ein. Darunter sind nach Angaben eines Sprechers aber auch „Grenzverletzungen, die nicht in den Bereich sexuellen Missbrauchs fallen, und bereits bekannte Missbrauchsfälle“.

Auch Staat in der Pflicht

„Die Berichterstattung über die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München hat dort sicher viele ermutigt, sich zu melden“, sagte der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch.

Kick sieht inzwischen auch den Staat in der Pflicht – gerade wenn es um Fälle in Kinder- und Jugendeinrichtungen geht. „Wir brauchen jetzt auch ein Einschreiten des Staates.“ Er forderte die Einrichtung einer professionellen Stelle, die das Thema Missbrauch in Institutionen bayernweit in den Blick nimmt.

Betroffenenbeirat fordert weiteres Gutachten

„Im Großen und Ganzen ist viel passiert“, sagte der Vorsitzende des Betroffenenbeirats der Diözese, Richard Kick, der Deutschen Presse-Agentur. „Wir sehen – nach anfänglichem, misstrauischem Beäugen – eine tragfähige Zusammenarbeit mit der Bistumsverwaltung.“

Er hält die Fälle, die das Gutachten aufgebracht hat, aber immer noch für die Spitze des Eisbergs. „Wir fordern ein weiteres Gutachten für die Einrichtungen, die nicht diözesan, aber trotzdem kirchlich sind“, sagte Kick. „Da passiert ja noch gar nichts. Ich glaube, dass es da aber die meisten Fälle gab – unter anderem bei den Orden, in den Kinderheimen.“