Regenbogenfahne an der St.-Elisabeth-Kirche in Wien-Wieden
APA/AFP/Alex Halada
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Homosexuelle

Katholische Kirche im Zwiespalt

Im Umgang mit homosexuellen Menschen klafft in der katholischen Kirche ein Zwiespalt: Während offizielle Vorgaben gelebte Homosexualität als „Sünde“ ablehnen, ist die Praxis in Österreich heute eine ganz andere. Ein Dokument für die Seelsorge für Personen mit homosexueller Orientierung zeigt den ganzen Widerspruch.

In einem Interview, das Papst Franziskus vergangene Woche der Nachrichtenagentur AP gab, äußerte er sich einmal mehr über Homosexuelle. Diese seien keine „Verbrecher“, gelebte Homosexualität aber „Sünde“. Wenige Tage später präzisierte der Papst die Aussage: So sei jede sexuelle Handlung außerhalb der Ehe nach katholischer Morallehre eine Sünde, erklärte Franziskus. Eine solche (katholische) Ehe steht aber homosexuellen Menschen nicht offen.

Der Zwiespalt zeigt sich, wenn man die offizielle „Orientierungshilfe“ für die „Seelsorge für Personen mit homosexueller Neigung“ der katholischen Kirche liest. In dem Text, der im Zuge der Recherchen von religion.ORF.at von der Website der Österreichischen Bischofskonferenz entfernt wurde, heißt es: „Homosexuelles Tun entspricht nicht dem Schöpfungsplan Gottes.“

„Regenbogenpastoral“ in jeder Diözese

Dem gegenüber stehen in der österreichischen katholischen Kirche Scharen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Priestern, Ordensfrauen und ehrenamtlich Tätigen und Gläubigen, die das völlig anders sehen und auch leben. Jede Diözese bietet eine „Regenbogenpastoral“. Unter anderen segnet Dompfarrer Toni Faber trotz Verbots aus dem Vatikan gleichgeschlechtliche Paare.

Grundlagen für die aus dem Jahr 2001 stammende „Orientierungshilfe“ sind der Katechismus und ein Papier der Vatikanischen Glaubenskongregation aus dem Jahr 1986. In dem Text heißt es, die Kirche verurteile „jedes Unrecht, das homosexuell empfindenden Menschen zugefügt wird“. Homosexuelle Menschen sollten aber auch „nicht zu der Meinung verleitet werden, die Aktuierung (gemeint ist vermutlich die Ausübung, Anm.) einer solchen Neigung in homosexuellen Beziehungen sei eine moralisch annehmbare Entscheidung“.

„Linzpride“ 2022
Diözese Linz
An der Linzpride im Vorjahr nahm auch die Diözese Linz aktiv teil. Motto: „Unter Gottes Himmel haben alle Platz.“

Bischof für „Aktualisierung“

Und: „Der Seelsorger sollte sich dessen bewußt sein, daß ein junger Mensch trotz seiner homosexuellen Empfindungen zu einer heterosexuellen Entwicklung fähig sein kann.“ Der zuständige Familienbischof Hermann Glettler schreibt dazu in einer Stellungnahme für religion.ORF.at vom Dienstag, die „Orientierungshilfe“, „die vor mehr als zwanzig Jahren für die Kirche in Österreich erstellt wurde, bedarf in mehreren Aspekten einer grundsätzlichen Aktualisierung“. Das am Dienstag entfernte Dokument dürfte also überarbeitet werden.

Bevor es zu einer Aktualisierung des Familienbilds im Vatikan kommt, bleiben die darin festgeschriebenen Positionen allerdings aufrecht. So heißt es etwa: „Männer und Frauen, die aufrichtig wünschen, ihre heterosexuelle Veranlagung zu entwickeln, sollten nicht in Unkenntnis der Hilfen sein, die ihnen erlauben, zu ihrer gottgegebenen Männlichkeit und Weiblichkeit zu gelangen.“

Bischof Glettler: „Im kirchlichen Verständnis von Ehe sind die Unterschiedlichkeit und die gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau von zentraler Bedeutung. Die katholische Kirche hält deshalb an der Grundkonzeption von Familie fest, in der Kinder von einem Vater und einer Mutter in ihrem Heranwachsen begleitet werden.“ Die Kirche sei sich „aber sehr wohl bewusst, dass es in der heutigen Gesellschaft noch andere Formen familiären Zusammenlebens gibt, die zu respektieren sind und ebenso eine gute geistliche und menschliche Begleitung brauchen“.

Seelsorge geht andere Wege

Paul Neunhäuserer, Referent für Ehevorbereitung und Regenbogenpastoral der Diözese Linz, versichert im Gespräch mit religion.ORF.at, die gelebte Praxis in Österreichs Diözesen sehe völlig anders aus, als die „Orientierungshilfe“ das vorsehe: „Das ist nicht mehr aktuell, das war es schon damals nicht. Wir in der Pastoral gehen ganz andere Wege.“ Ob jemand homosexuell oder heterosexuell sei, „ist ganz egal. Mein Gottesbild ist: Es geht nur um den Menschen.“ Die Diözese Linz nahm 2022 an der Linzpride teil, die sich als sichtbares Zeichen der LGBTIQ+-Community versteht.

Wenn es irgendwann die offizielle Lehre gegeben habe, die in dem Leitfaden Niederschlag fand, werde das von der Pastoral anders gelebt, so Neunhäuserer. „Es gibt doch moderne wissenschaftliche Erkenntnisse, wo man sieht: So ist das nicht mehr haltbar.“ Zum Leitfaden sagt der Seelsorger: „Ich weiß nicht, ob sich das noch Menschen anschauen. Ich hoffe nicht.“

Papst „wagt sehr viel“

Die Aussagen des Papstes sieht er eher positiv: Franziskus wage schon sehr viel, wenn er so etwas sage wie zuletzt in dem AP-Interview. „Es gibt noch viele Länder, wo Strafen, auch die Todesstrafe, drohen, und manche Bischöfe, die das nicht anzusprechen wagen.“ Tatsächlich steht gleichgeschlechtliche Sexualität in 67 Ländern der Welt unter Strafe, in elf davon droht sogar die Todesstrafe.

Neunhäuserer weist als weiteres positives Beispiel dafür, dass sich in der Kirche etwas bewegt, auf das Arbeitsdokument zur derzeit laufenden Weltsynode hin, das immerhin erstmals den Begriff „LGBTQ-Personen“ beinhaltet.

„Man lebt in einer Zwickmühle“

Die Bischöfe in der Pflicht sieht auch Stefanie Hinterleitner, Seelsorgerin und Pastoralassistentin für Kinder- und Jugendpastoral in einer Pfarre der Diözese Linz. „Queere Lebensformen als Thema sind gerade bei den Jungen sehr stark da.“ Die Lehre der katholischen Kirche mit der Realität der betroffenen Menschen in Einklang zu bringen sei nicht leicht: „Man lebt in einer Zwickmühle“, so Hinterleitner zu religion.ORF.at. Es brauche eine Veränderung des Katechismus, denn „die katholische Lehre ist etwas, das sich weiterentwickeln muss und das auch immer getan hat“.

Regenbogenpastoral

Die Regenbogenpastoral der österreichischen Diözesen mit Angeboten für LGBTIQ+-Personen.

Die darin und in der „Orientierungshilfe“ vertretene Haltung sei „erstens sehr alt und von einer großen wissenschaftlichen Unkenntnis, da wird es auch bei den Bischöfen inzwischen neue Erkenntnisse gegeben haben, und zweitens sehr verletzend gegenüber denen, über die da gesprochen wird. Für mich richtet sich das gegen die Menschenrechte.“ Die Bischöfe als „Sprachrohr in den Vatikan“ müssten die Lebensrealität der Menschen dort hintragen, so die Seelsorgerin.

Kirche „nicht losgelöst von den Menschen“

„Die Kirche hat ja nie losgelöst von den Menschen existiert. Es ist eine gegenseitige Bereicherung.“ Kirche habe den Auftrag, heilsam zu sein, „inkludierend, nicht exkludierend. Folgt man der Lehre und dem Wirken Jesu, sieht man: Es geht in Richtung Liebe und Zuwendung.“ Andernfalls sei zu befürchten, dass die Menschen der Kirche den Rücken kehren.

Der Dompfarrer von St. Stephan in Wien, Toni Faber, sagt gegenüber religion.ORF.at: „Ich glaube, wir müssen neue Töne anschlagen im Umgang mit den Menschen. Wir ringen um eine Sprache, mit der wir sie besser begleiten können.“ Das betreffe auch gleichgeschlechtlich liebende Menschen, die „auf ihrer Suche nach Liebe und Erfüllung in Beziehungen“ auch Orientierung benötigten.

Dompfarrer: Segne regelmäßig homosexuelle Paare

Das Wort „Sünde“, das der Papst kürzlich verwendete, werde „in der Realität der Profangesellschaft nicht richtig verstanden“. Denn auch wenn der Papst sich regelmäßig selbst als „Sünder“ bezeichne, sei das „gar nicht hilfreich“. In seiner Pfarre würden alle „ganz normal behandelt“, und er selbst erteile homosexuellen Paaren „regelmäßig“ den Segen, betonte Faber. Der (mittlerweile von der Website der Bischofskonferenz entfernte) Leitfaden „schreit nach Überholung“.

Das sieht Bischof Glettler auch so: „Mehrfach habe ich mich auch dafür ausgesprochen, dass homosexuellen Paaren, die einen Weg mit der Kirche gehen wollen und deshalb um eine Segnung ihrer Partnerschaft bitten, diese zu ermöglichen ist.“ Die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare wurde im März 2021 vom Vatikan per Dekret untersagt.

Die katholische Kirche in Österreich pflege seit vielen Jahren „einen bewusst wertschätzenden Umgang mit LGBTIQ+-Personen. In einigen Diözesen gibt es spezielle Initiativen und Arbeitskreise, um mit und für diese Zielgruppe auch als Kirche präsent zu sein“, so Glettler. „Darüber hinaus sollte sich jedoch eine spezifische Seelsorge für homosexuelle Menschen erübrigen, weil alle kirchlichen Angebote, Veranstaltungen und Gottesdienste selbstverständlich allen offen stehen.“