Hate Speech

Der Umgang mit den Klimaprotesten

Sie sind Tagesgespräch und sie regen auf: Die Umweltaktivistinnen und -aktivisten, die derzeit wieder vielerorts den Verkehr blockieren, werden oft angegriffen, sowohl verbal als auch physisch. Die Medienethikerin Claudia Paganini kritisiert den Umgang mit den Klimaprotesten und sieht im Blick auf eine christliche Ethik die Politik gefragt.

Menschen, die sich an wichtigen Verkehrspunkten auf der Straße festkleben und diese blockieren, Transparente entfalten und mehr Klimaschutz fordern: Das Phänomen Klimaproteste wird äußerst kontrovers diskutiert, auch und gerade in Internetforen und auf Social Media. Der oft brutale Ton, der in diesen Foren vorherrscht, schwappe zunehmend in die Realität über, sagt Paganini im Gespräch mit religion.ORF.at.

Im Netz kursieren Bilder und Videos von Misshandlungen, Beschimpfungen und Drohungen von Zivilpersonen gegen die Menschen, die sich auf Straßen festkleben. Diese Gewalt komme nicht aus dem Nichts, so Paganini. Hassrede, Häme und eine Verrohung der Sprache auch seitens der Politik – wenn zum Beispiel die Rede von „Klimaterroristen“, „Radikalisierung“ und so weiter sei – führe zu „direktem Hass von Einzelpersonen“.

„Chaoten“ und „Terroristen“

Bezeichne man Klimaaktivisten als „Chaoten“ und „Terroristen“, finde sozusagen eine Umkehr statt: „Von einem Terroristen geht eine Gefahr aus, und gegen die direkte Gefahr darf man sich ja auch wehren. Aber wir sind keine Terroristen. Wir sitzen da friedlich und tun niemandem was“, sagt der deutsche Student und „Letzte Generation“-Klimaaktivist Vincent Schäfer zu religion.ORF.at. Wenn Wort wie diese aus der Mitte der Gesellschaft geäußert würden, dann gebe es eine „implizite Gewaltlegitimation“.

Politik in der Verantwortung

Dabei komme der Politik hier eine besondere Verantwortung zu, sagt Medienethikerin Paganini, einerseits dadurch, mit dem Gebrauch solcher Begriffe nicht selbst die Dehumanisierung der Aktivistinnen und Aktivisten zu befördern. Andererseits sollte die Politik rechtliche Mittel ergreifen, um aktiv gegen Gewalt und Hassrede im Netz vorzugehen. „Es geht um die menschliche Würde und um Verantwortung.“

Klimaaktivisten auf einer Straße in München
Letzte Generation
Klimaprotest in München

Diese endeten nicht, „nur weil die Protestform eine unbequeme ist“. Das Gegenteil sei aber häufig der Fall, zuletzt etwa im niederösterreichischen Wahlkampf, als für das Blockieren von Verkehrswegen strengere Strafen gefordert wurden.

Hass wird zu Normalität

„Der hasserfüllte Ton wird zur Normalität, und das bringt oft nicht das Beste im Menschen heraus“, so die Medienethikerin – der Schritt von der „Hate Speech“ im Internet hin zu konkreter Gewalt sei klein. „Die Körperkraft der Sprache“ entfalte ihre verletzende Wirkung aber nicht nur im Onlineraum – und auch dort sei sie nicht zu unterschätzen, weil sie zu echten Traumata führen kann -, sondern erhöhe die Gewaltbereitschaft auch im wirklichen Leben.

TV-Hinweis

„Dok1: Die Klima-Kleber“ beleuchtet am Mittwoch um 20.15 Uhr in ORF1 die Welt der Aktivistinnen und Aktivisten – mehr dazu in tv.ORF.at.

Dazu kommt die Form der Proteste: Große, in der Gruppe durchgeführte Proteste und Demonstrationen in Anwesenheit von Polizei bieten einen gewissen Schutz. Wenn aber einzelne Klimaaktivistinnen und -aktivisten Straßenblockaden durchführen, sinke die Hemmschwelle, so die Expertin: Die Festgeklebten könnten nicht flüchten und sich auch nicht wehren, schon gar nicht vor Angriffen mittels Pkw.

Keine absurden Forderungen

Im Grunde würden die Personen, die sich derart für Umweltschutz einsetzen, ja nichts anderes fordern als das, was sich die Politik ohnehin vorgenommen habe, so Aktivist Schäfer. Wenn man die offiziell gesteckten Klimaziele auch nur annähernd erreichen wolle – und danach sehe es nicht aus -, wären Forderungen wie nach Tempo 100 und der Einsatz gegen die Erschließung etwa neuer Gas- und Ölfelder nichts anderes als einfache, leicht einzuführende und wirksame Schritte. „Das ist umweltethisch gesehen keine anspruchsvolle Position“, so Medienethikerin Paganini.

Tradition friedlicher Sitzproteste

Die Form der aktuellen Proteste „in einer Tradition friedlicher Sitzproteste und zivilen Ungehorsams“ kenne man so ähnlich seit der Nachkriegszeit, unter anderem in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Doch in den derzeitigen Diskurs mischten sich viele Emotionen und Irrationales, besonders, wenn es um das Autofahren, das „heilige Kalb“, gehe, so Paganini. Der krasse Unterschied zwischen der nicht mehr zu leugnenden Realität der Klimakrise und dem „lieb gewordenen Alltag“ schaffe eine Spannung, die schwer auszuhalten sei.

Hier werde Erleichterung gesucht, und einige fänden sie in der Dehumanisierung und Entindividualisierung von Menschen – auch wenn das unlogisch erscheint. „Schon die Behauptung, dass das, was die ‚Klimakleber‘ fordern und machen, Blödsinn ist, lindert die Spannung.“ Dabei findet eine Mehrheit der Österreicher und Österreicherinnen (58 Prozent) es gut, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Allerdings sprechen sich einer aktuellen Umfrage zufolge noch mehr gegen Klebeaktionen aus – mehr dazu in news.ORF.at.

Worte als „Gewaltlegitimation“

Tätlichkeiten gegen die Protestierenden würden zur Anzeige gebracht. Dabei handle es sich um Schläge, Tritte und Versuche, die Angeklebten wegzuzerren. Einem Klimaaktivisten sei über den Fuß gefahren worden, erzählt Schäfer. Die „so harmlos daherkommende“ verbale Gewalt im Internet erfülle aber selbst oft einen Straftatbestand, erinnert Paganini. Es sei nötig, Hassrede strenger zu kontrollieren und zu sanktionieren. Auch hier sieht die Ethikerin die Politik stärker gefragt.

Gerade im Sinne einer christlichen Ethik: Paganini zitiert Genesis 1,28, „das gerne als Rechtfertigung für die Ausbeutung der Natur herangezogen wird, und zwar mit der gängigen Übersetzung: ‚Macht euch die Erde untertan!‘ Dabei bedeutet das betreffende Verb ‚kabasch‘ so viel wie Verantwortung übernehmen für das, was mir anvertraut wurde, also nicht Ausbeutung und Unterdrückung, sondern Fürsorge – es müsste eigentlich heißen: ‚Übernehmt Fürsorge für die Erde!‘“