Detail aus dem Albrechtsaltar: Die Königin der Potestates, Stift Klosterneuburg, um 1438/39
Stift Klosterneuburg
Stift Klosterneuburg
Muttertag

Maria, die Mächtige

Maria, Gottesmutter und überhöhte „ewige Jungfrau“ des Christentums: Im „Marienmonat“ Mai und besonders rund um den Muttertag lohnt sich ein Blick auf die mächtigste Frauengestalt des Christentums. Die christliche „Über-Heilige“ hat aber auch ihre Schattenseiten – gerade in ihrer Rolle als Vorbild für Frauen.

„Maria wurde den Frauen oftmals als unerreichbares Vorbild präsentiert, die personifizierte Demut, Fürsprecherin bei Gott“, sagt die Neutestamentlerin Eva Puschautz von der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien gegenüber religion.ORF.at.

Unzählbare Mariendarstellungen in Kirchen und Museen der Welt eint der Blick auf diese Frau, die man mit Fug und Recht als das weibliche Zentralgestirn des Katholizismus bezeichnen kann. Einmal ist sie jung, seltener eine Matrone, einmal ist ihr Herz von Messern durchbohrt, meistens hält sie den Jesusknaben auf dem Schoß. Aber die Heilige übernahm über die Jahrhunderte hinweg auch ganz andere Rollen.

In Schutzmantel und Rüstung

In ihrer Rolle als starke Beschützerin wurde Maria über Jahrhunderte hinweg in Notsituationen angerufen. Davon zeugen die zahlreichen Abbildungen Marias als „Schutzmantelmadonna“ ebenso wie als stillende „Maria lactans“ – aber auch in voller Rüstung wurde sie dargestellt und um Hilfe angerufen, speziell in Kriegszeiten.

Schutzmantelmadonna von Enguerrand Quarton und Pierre Vilatte, 1452
Public Domain/Wikipedia
Schutzmantelmadonna von Enguerrand Quarton und Pierre Vilatte, 1452

Maria in ihrer Eigenschaft als nährende und inspirierende Mutterfigur wurde im Mittelalter bis in die Neuzeit gern mit entblößter Brust dargestellt. Vorbilder hierfür finden sich in der Antike, etwa bei Hera, aus deren Brüsten die Milchstraße entsteht, und bei der ägyptischen Muttergöttin Isis. Es blieb nicht beim Stillen des Jesuskindes: Unter anderen will der Mystiker Bernhard von Clairvaux in einer Vision Milch von Maria getrunken haben, was ihm Beredsamkeit verschafft habe.

Milchreliquien und eine Mondsichel

Das Spätmittelalter kannte einen Boom an Milchreliquien. Seither füllen Marienstatuen Brunnen mit Wasser, das aus ihren Brüsten spritzt, etwa beim barocken Marienbrunnen in Großgmain in Salzburg. Frauen, die Schwierigkeiten mit dem Stillen hatten, riefen Maria um Beistand an.

Lactacao de Sao Bernardo von Josefa de Obidos (zw. 1660 und 1670 )
Public Domain/Wikipedia
Lactacio des heiligen Bernhard von Clairvaux von Josefa de Obidos (zw. 1660 und 1670). Mit ihrer Milch spendet sie dem Heiligen seine Beredsamkeit.

Viel weniger mütterlich ist der Ehrentitel „Maria vom Siege“, der auf einen Sieg Papst Pius’ V. (1566–1572) und der Heiligen Liga in der Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken zurückgeht. Darstellungen Marias als Rüstung tragende Schildmaid kennt man schon aus früheren (Kriegs-)Zeiten, etwa aus dem Albrechtsaltar im niederösterreichischen Stift Klosterneuburg, der unter dem Eindruck der Hussitenkriege (1419–1434) entstand.

Neutestamentlerin Eva Puschautz
Tori Dexter
Neutestamentlerin Eva Puschautz

Ein Vorbild, um daran zu scheitern

Das 19. Jahrhunderts brachte einen besonderen Schwerpunkt auf die „immerwährende Jungfräulichkeit“ Marias und ihrer Freiheit von der „Erbsünde“. „Die katholische Kirche baute Maria als Vorbild für Frauen auf, an dem sie nur scheitern können“, sagt die Expertin. „Wenn Jesus Mensch war, dann war es Maria erst recht, und dieses Menschsein sollten wir ihr auch zugestehen“, so Puschautz. Schwierig ist in diesem Kontext auch die Frage nach weiteren Kindern Marias.

„Das passt mit dem Dogma der immerwährenden Jungfräulichkeit nicht zusammen.“ Trotzdem ist in den Evangelien mehrmals von Jesu Brüdern und Schwestern die Rede. „Mit diesen Texten ist die Kirchengeschichte ‚kreativ‘ umgegangen und hat die Brüder und Schwestern zu Cousins/Cousinen oder Kindern aus Josefs erster Ehe umgedeutet.“ Die Frage sei zu stellen, ob die Verfasser der Evangelien das auch schon so gesehen haben oder ob das eine Deutung aus der späteren Entwicklung des Marienbilds heraus ist.

„Er ist von Sinnen“

Die neuere feministische Theologie unterzieht alle biblischen Texte, in denen Maria vorkommt, einer frischen Untersuchung und stellt fest: Einfach war die Beziehung der Gottesmutter zu ihrem Sohn nicht. Speziell eine Stelle zeige das beträchtliche Konfliktpotenzial, das die Messias-Rolle des ältesten Sohnes einer Familie mit sich brachte, so Puschautz.

Maria und Jesus, El Greco, 1600-.1625
Public Domain/Wikipedia
Maria und Jesus: Ein nicht immer ganz friktionsfreies Verhältnis?

Das Markusevangelium erzählt: „Jesus ging in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass sie nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ (Mk 3,20-21) „Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen.“ (Mk 3,31)

„Intervention“ durch die Familie?

„Das Wort, das in der Einheitsübersetzung von 2016 als ‚mit Gewalt zurückholen‘ übersetzt wurde, ist das gleiche wie das ‚in ihre Gewalt bringen‘ oder ‚festnehmen‘ bei der Festnahme Jesu im Garten Gethsemane im 14. Kapitel des Markusevangeliums“, sagt Puschautz: ein unsanfter Zugang, der an eine „Intervention“ denken lässt.

Buchhinweis

Mirja Kutzer, Peter Walter: Maria in Geschichte und Gegenwart. Befreiende Perspektiven auf die Mutter Jesu. Herder, 296 Seiten, 29,50 Euro.

„Wir sehen hier nicht die Maria, die zu allem Ja und Amen sagt, sondern die zu Jesus, der mit den Jüngerinnen und Jüngern eine neue Familie gegründet hat, sagt: ‚Deine Aufgabe ist eine andere.‘“ Sie habe ihn heimholen wollen, damit er seine Pflichten der (Herkunfts-)Familie gegenüber erfüllen konnte, liest die Theologin aus dem Text.

„Interessant ist hier auch, dass Maria, die Mutter, als Erste genannt wird.“ Dieser Teil des ältesten Evangeliums sei lange Zeit übergangen worden, bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil – „wohl weil er dem Bild von Maria nicht entsprach“.

Ein für die feministische Theologie wichtiger Text ist das „Magnificat“, das im ersten Kapitel des Lukasevangeliums überliefert ist. Bei ihrem Besuch bei Elisabeth preist die schwangere Maria Gott in einer revolutionär anmutenden Lobrede: „… er stürzt die Mächtigen vom Thron/und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben/und lässt die Reichen leer ausgehen.“ (Lk, 1,53-54) Die in jeder Hinsicht ungewöhnliche Stelle (zwei Frauen unterhalten sich allein) wurde unter anderen von der deutschen Theologin Dorothee Sölle (1929–2003) als Vision von der Befreiung der Frau gedeutet.

Detail aus dem Albrechtsaltar: Die Königin der Potestates, Stift Klosterneuburg, um 1438/39
Stift Klosterneuburg
Detail aus dem Albrechtsaltar: Die Königin der Potestates, Stift Klosterneuburg, um 1438/39, entstanden unter dem Eindruck der Hussitenkriege

Puschautz betont, dass der Evangelist Lukas „seine“ Maria in diesem Text ganz als alttestamentliche Prophetin zeichnet und dadurch eine sehr kraftvolle Frau aus ihr macht, die in einer langen Tradition starker und von Gott ausgewählter Frauen steht.

„Sie darf nur schweigen“

Die deutsche katholische Bewegung „Maria 2.0“, die sich für Gleichberechtigung einsetzt, nahm sich die Heilige zum Vorbild – und weist schon in ihrem Namen auf den Zwiespalt hin, der der Marienverehrung innewohnt.

In einem offenen Brief an Papst Franziskus heißt es: „Frauenlob wird gerne von Kirchenmännern gesungen, die aber allein bestimmen, wo Frauen ihre Talente in der Kirche einbringen dürfen. In ihrer Mitte dulden sie nur eine Frau: Maria. Auf ihrem Sockel. Da steht sie. Und darf nur schweigen. Holen wir sie vom Sockel! In unsere Mitte. Als Schwester, die in die gleiche Richtung schaut wie wir.“