Tagung

Protestantische Geschichte in Österreich wenig bekannt

Rund 40 Experten und Expertinnen befassen sich bei einer interdisziplinären Tagung in Wien mit der Erinnerungskulturen des Protestantismus in Österreich. Die Geschichte des Protestantismus sei zu wenig bekannt, so die Kritik der Experten und Expertinnen.

„Evangelisches Erinnern“, die erste interdisziplinäre Tagung zu diesem Thema, wurde am Mittwochabend am Campus Wien eröffnet. Noch bis Freitag beschäftigen sich 40 Expertinnen und Experten aus universitären, kirchlichen und musealen Bereichen mit Erinnerungskulturen innerhalb und außerhalb des österreichischen Protestantismus.

Wie einer der Experten, der Kirchenhistoriker Rudolf Leeb zu Beginn der Tagung betonte, sei die Vertreibung der evangelischen Deferegger im 17. Jahrhundert und die Ausweisung der Salzburger oder der Zillertaler in Österreich weniger bekannt als die Massenvertreibung der französischen Hugenotten. Die Erinnerung an den Protestantismus sei in der katholischen Kirche oder auf regionaler Ebene mehr beheimatet als beim österreichischen Staat auf Bundesebene, erklärte der Experte, der sich für ein öffentlich gefördertes Museum des Protestantismus starkmachte.

Leeb konstatiert Fehlen des staatlichen Engagements

Vonseiten des österreichischen Staates habe es bis dato keine entsprechenden Initiativen gegeben, sich an die protestantische Tradition öffentlich zu erinnern, konstatierte Leeb. Dieses Fehlen des staatlichen Engagements zeige sich etwa in der „nahezu völligen Absenz der Emigrationen und Ausweisungen im öffentlichen österreichischen Geschichtsbewusstsein“. Bei der Identitätsstiftung des Staates sei dem Protestantismus in der Geschichte die längste Zeit eine Negativrolle zugewiesen gewesen.

„Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass es kein vom Staat unterstütztes evangelisches Museum gibt“, meinte Leeb. Dennoch sei die offizielle Erinnerung des österreichischen Staates an den Protestantismus in seiner eigenen Geschichte keine völlige Fehlanzeige, denn bei der Einführung des Karfreitags als gesetzlichen Feiertag sei es 1955 auch um die staatliche Erinnerung an den Protestantismus gegangen. 2019 wurde der Karfreitag als gesetzlicher Feiertag für Evangelische und Altkatholiken jedoch abgeschafft.

Chalupka fordert Museum des Protestantismus

Das Schleifen des „Denkmals Karfreitag“ habe eine Lücke hinterlassen, die es „zeitgemäß zu füllen gilt“, sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka in seinen Eingangsworten. Für Chalupka ist die Tagung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Erinnerungskultur der evangelischen Kirchen in Österreich.

Die Gegenreformation, ihre Märtyrer und Bekenner hätten „einen festen Platz in der Geschichtskonstruktion unserer Kirchen“. Bis heute fehle jedoch ein zentraler Ort der Erinnerung ebenso wie ein physisch begehbares Museum des Protestantismus in Österreich, „das vieles begreifbarerer machen könnte“. Deutlich warnte Chalupka vor einer „Selbst-Viktimisierung“, keine Kirche dürfe sich in ihrer Erinnerung „auf die Toten berufen“. Vielmehr gehe es darum, aus der Geschichte und auch ihren Opfern zu lernen und Zukunft zu gestalten.

Heil: „Keine Märtyrergeschichte in rosaroter Färbung“

„Evangelisches Erinnern ist notwendig, denn evangelisches Vergessen ist allgegenwärtig“, befand die Dekanin der evangelisch-theologischen Fakultät, Uta Heil. Dieses Erinnern müsse „kritisch und reflektorisch“ erfolgen, „keine Märtyrergeschichte in rosaroter Färbung“.

Veranstaltet wird die Tagung vom „Memory Lab – evangelisches:erinnern“ des Albert-Schweitzer-Haus-Forum der Zivilgesellschaft in Kooperation mit den Instituten für Kirchengeschichte, Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst sowie für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, sowie auch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich.