„Der Körper wird eigentlich sehr früh mit Vorstellungen von sozialer Ordnung verknüpft. Das ist ganz wesentlich, und das heißt dann auch, dass bestimmte körperliche Vorgänge als unrein betrachtet werden“, sagt die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller von der Universität Wien im Gespräch mit dem ORF.
Mit Unreinheit wird etwa die Menstruation von Frauen und die Sexualität in Verbindung gebracht. Um dieses Ordnungssystem aufrechtzuerhalten, sind in der Geschichte viele Vorschriften entstanden, sei es die Perücke im streng religiösen Judentum, der Hidschab im Islam oder das „richtige“ Bedecken des Körpers mit Kleidung, wie etwa der traditionelle Sari in den Hindutraditionen.

Körperfeindlichkeit und Askese
„Die asketischen Traditionen, die man innerhalb des Christentums, in den Hindutraditionen oder im Buddhismus findet, haben als Gemeinsamkeit eine starke Tendenz zur Körperfeindlichkeit“, so Heller. Im Judentum und im sunnitischen wie schiitischen Islam sind allerdings nur am Rande asketische Traditionen vertreten, was, so die Religionswissenschaftlerin, zu einer geringeren Körperfeindlichkeit führe.
Abgesehen von den asketischen Traditionen gebe es aber in den verschiedenen Religionen auch positive Sichtweisen auf den Körper, etwa ästhetische Darstellungen von Göttinnen und Himmelsnymphen in den Hindutraditionen.
Schönheitsoperationen
Die Lippen ein bisschen aufspritzen, ein wenig Botox oder Hyaluron, die Nase korrigieren – das sind schon fast gängige Eingriffe für viele junge Menschen. Jeder Eingriff sei eine Verletzung des menschlichen Körpers, antwortet der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister auf die Frage, wie denn das Judentum zu Schönheitsoperationen stehe.
Body Positivity
Das ist die Ansicht, dass alle Körper schön sind. Die Bewegung weckte das Bewusstsein, wie unrealistisch und diskriminierend Schönheitsideale sind.
Mit dem jüdischen Gesetz seien sie jedenfalls nur in Ausnahmefällen vereinbar, erklärt er: „Zum Beispiel, wenn die psychische oder die körperliche Gesundheit des Betroffenen tatsächlich in Gefahr ist. Dann gibt es auch die Möglichkeit, bestimmte Eingriffe zu erlauben, und die Halacha, also das jüdische Gesetz, erlaubt es dann auch. Aber nur um einem Modeideal zu entsprechen, die die Gesellschaft momentan hat, diesem zu entsprechen, den Körper zu verletzen, einen Eingriff zu machen, selbst einen reversiblen Eingriff – das ist nach dem jüdischen Religionsgesetz nicht erlaubt.“
Im Islam sind Schönheitsoperationen umstritten, ob sie „haram“, also unrechtmäßig oder verboten, sind oder nicht, wird unterschiedlich gesehen. In der offiziellen islamischen Lehre hat die ästhetisch-plastische Chirurgie den Status einer rekursiven Medizin – einer Medizin also, die die Wiederherstellung ursprünglicher oder eigentlich intendierter Zustände ermöglicht.
Rassismus und Schönheit
Schönheit und Rassismus seien eng miteinander verknüpft, sagt Betül Tomakin: „Wenn man zurück in die Geschichte blickt, da galt immer: Je heller die Haut, desto schöner wurde man wahrgenommen. In der Kolonialzeit wurde beispielsweise auch anhand des Teints festgestellt, welcher Gesellschaftsschicht man angehört.“
Sendungshinweis
„Body-positiv oder körperfeindlich? Schönheit und Körper in den Religionen“ in „TAO – aus den Religionen der Welt“ zum Nachhören
Tomakin ist in Salzburg geboren und aufgewachsen, als Muslimin mit türkischem Background hat auch sie Rassismus in Bezug auf ihr Aussehen erlebt: „Mir wurde schon in der Volksschule gesagt, dass türkische Frauen sehr behaart sind, meine Mitschüler und Mitschülerinnen haben dann immer meine Arme angeschaut, um festzustellen, wie behaart ich bin, oder mich gefragt, ob mein ‚Frauenbärtchen‘ schon gewachsen ist.“
Mittlerweile übt Tomakin, ihren Körper so zu lieben, wie er ist, „oder noch besser, ihn gar nicht zu bewerten“.
Diesseitsreligion
Den modernen Körper- und Schönheitskult und das große Augenmerk auf Äußerlichkeiten vor allem auf Social Media als Diesseitsreligion zu betrachten, sei je nach Definition von Religion möglich, sagt Religionswissenschaftlerin Heller – unter der Voraussetzung jedoch, Religion als ein System zu betrachten, das Menschen einen umfassenden Sinn vermittelt.