Eine Hand nimmt einen Koran aus einem Bücherregal
Pixabay/Joko Narimo
Pixabay/Joko Narimo
Rezension

Buch: Antijudaismus im Koran aufarbeiten

„Keine Gemeinschaft oder Religion kann ihrer Vergangenheit entkommen“, sagt der algerisch-deutsche Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Mit seinem Buch „Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“ möchte er einen Beitrag zur Etablierung einer „kritischen Erinnerungskultur“ im Islam leisten.

In seinem neuen Buch beschreibt Ourghi anhand des Korans den Umgang der im 7. Jahrhundert entstandenen neuen Religion mit dem Judentum. Zugleich fordert er eine Verortung des Textes in eben dieser Zeit. Heute müssten die Verse anders gedeutet werden.

Laut Ourghi sind Antijudaismus und Judenfeindschaft im Koran angelegt. Daher spricht er von islamischem, nicht von islamistischem Antisemitismus. Der Islam an sich und die Muslime seien nicht pauschal antisemitisch, auch der Koran nicht. Aber „dass der Islam und Judenfeindschaft nichts miteinander zu tun haben sollen, ist unwahr“.

Koranverse für heute deuten

Ourghi ist selbst Muslim, leitet den Fachbereich Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und ist Mitbegründer der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Die Moschee steht nach eigenen Angaben für einen Islam, der weltliche und religiöse Macht voneinander trennt und sich um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Korans und der Hadithe (die Überlieferung der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed) bemüht.

Unterscheidung zwischen Prophet und Staatsmann

Im Kern geht es Ourghi um eine Unterscheidung zwischen Mohammed als Verkünder einer neuen Religion und als politischem Staatsmann. Als Letzterer habe er auch gnadenlose Feldzüge gegen seine Gegner – auch gegen Juden – geführt.

Buchcover von Abdel-Hakim Ourghis Buch „Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“
Verlag Claudius
Abdel-Hakim Ourghi, „Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“, Verlag Claudius 2023, 192 Seiten, 26,80 Euro

Im 7. Jahrhundert floh Mohammed mit seinen Anhängern von Mekka nach Medina, weil sie in Mekka unterdrückt wurden. Damals hätten Kämpfe gegen diejenigen begonnen, die die neue monotheistische Religion nicht annehmen wollten, schreibt der Islamwissenschaftler.

Der Mohammed der mekkanischen Periode (610–622) verkörpere die Verkündigung friedlicher Koran-Lehren, in denen Andersgläubige anerkannt werden, so Ourghi. „Der medinensische Prophet (622–632) vereint dagegen die Macht des verkündigten Wortes mit der Gewalt des Schwertes". Um heute Frieden herzustellen, sei für Muslime und Musliminnen die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und mit den religiösen Quellen nötig.

Für eine „achtsame, ganzheitliche Erinnerung“

Ourghi ist der Ansicht, dass sowohl in der islamischen Welt als auch bei Musliminnen und Muslimen im Westen eine „selektive Erinnerung“ vorherrscht. Den Ursprung des sogenannten politischen Islams verortet Ourghi in der medinensischen Zeit des Propheten Mohammed, als dieser sich auch mit Waffengewalt gegen Feinde des Islams verteidigte.

In der offiziellen Erinnerung „der Muslime“, wie er durchgehend schreibt, „werde der politisch-ideologische Islam“ auf islamistische Strömungen reduziert. Die historische Wirklichkeit werde hinter frommen Worten versteckt.

Er plädiert für eine „achtsame, ganzheitliche Erinnerung“, die nicht nur die „guten“ Seiten der islamischen Kultur betont, sondern sich auch kritisch mit einer auch gewaltvollen Geschichte und deren religiöser Motivation auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang schlägt Ourghi die Errichtung von Gedenkstätten und Denkmälern für die aus den arabisch-muslimischen Ländern vertriebenen Juden vor.

Vorzeigeprojekt Andalusien „Mythos“

Auch die im Allgemeinen als Vorzeigeprojekt für religiöse Toleranz betrachtete muslimische Herrschaft in Andalusien zwischen 711 und 1492 zerpflückt er als Wunschbild vor allem westlicher Denker. Denn eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben sei das nicht gewesen, Jüdinnen und Juden hätten sich entscheiden können zwischen Kopfsteuer und dem Tod. Zudem sei damals die Idee entstanden, Juden mittels bestimmter Kleidung und Farben zu markieren. Sie hätten einen gelben Flicken auf der Kleidung tragen müssen.

Der Fokus in Ourghis Buch liegt auf den negativen Aspekten der Geschichte von Judentum und Islam. Dass es durchaus friedliche Koexistenzen beider Religionen gegeben hat und dass es Phasen gab, in denen die jüdische Bevölkerung unter muslimischer Herrschaft besser lebte, als unter christlich-abendländischer, wird nur beiläufig erwähnt. Hier wäre mehr Information fair gewesen.

Persönliche Betroffenheit

Ourghi schreibt aus einer persönlichen Betroffenheit heraus, denn er selbst sei als „indoktrinierter Antisemit“ mit 23 Jahren aus Algerien nach Deutschland gekommen. Hier haben sich seine Ansichten grundlegend geändert und er bedauert, dass jüdische Einrichtungen und Veranstaltungen von der Polizei bewacht werden müssen, wie er gegenüber religion.ORF.at sagt. In seinem Buch schreibt er, dass er es als seine „moralische muslimische Pflicht“ sehe, Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt zu verteidigen und zu unterstützen.

Der Autor ist sich bewusst, dass das Thema Juden im Koran ein heikles ist und dass viele Musliminnen und Muslime seine Ausführungen als verletzend empfinden könnten. Er sei von Freunden auch gewarnt worden, sein Buch könne zum einen die Gräben zwischen Juden und Muslimen noch vertiefen, zum anderen antimuslimischen Rassismus befeuern. Er scheue sich nicht vor Kritik, denn die gehöre zu einer Debatte dazu, sagt er im Gespräch mit religion.ORF.at. Daher hofft er auf konstruktive Auseinandersetzungen.