Deutschland

Evangelische Ratsvorsitzende legt Amt nieder

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, tritt von ihrem Amt zurück. Zuvor waren Vorwürfe erhoben worden, sie habe schon vor vielen Jahren vom Verdacht eines sexuell übergriffigen Verhaltens gegen einen damaligen Kirchenmitarbeiter gewusst.

Ihren Rückzug teilte die 60-Jährige am Montag in einer persönlichen Erklärung in Bielefeld mit. „Ich trete von beiden kirchlichen Leitungsämtern zurück.“ Sie war neben dem Ehrenamt an der Spitze der EKD schon seit 2012 Präses der westfälischen Landeskirche. Auch dieses Amt gibt sie auf.

Bei ihrer Rückzugserklärung wies sie die Anschuldigungen zurück, sie habe Missbrauch vertuscht. Niemals sei es ihr darum gegangen, Sachverhalte zu vertuschen oder einen Beschuldigten zu decken. Inzwischen habe sich aber die Debatte um den Vorgang derart zugespitzt, dass sie keine Alternative zum Rücktritt sehe.

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus
APA/AFP/Oliver Berg
Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus tritt zurück

Sie gab auch Details zu dem früheren Kirchenmitarbeiter aus ihrem Umfeld bekannt, dem sexuell übergriffiges Verhalten vorgeworfen wird. Mit dessen Familie sei sie lange befreundet gewesen, sagte die Theologin. Nie habe sie aber zu dem Mann in einem Dienstverhältnis gestanden.

Ermittlungen gegen Kirchenmitarbeiter

„Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren bereits so aufmerksam, geschult und sensibel für Verhaltensmunster gewesen, die mich heute alarmieren würden“, sagte Kurschus. „Ich habe allein die Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen.“ Die Siegener Staatsanwaltschaft ermittelt in mehreren Verdachtsfällen gegen einen früheren Kirchenmitarbeiter, der in den 1990er Jahren wie Kurschus im Kirchenkreis Siegen tätig war.

Betroffene fordern „lückenlose Aufklärung“

Ob bei dem Mann strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, ist laut Staatsanwaltschaft bisher ungeklärt. Für Kurschus geht es im Kern um die Frage, was die Geistliche wann von mutmaßlichen Verfehlungen des Beschuldigten gewusst hat. Der Druck auf die EKD-Vorsitzende, die rund 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen vertritt, war enorm gewachsen.

Die Betroffenen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD waren zuletzt auf Distanz zur EKD-Ratsvorsitzenden gegangen. Ihre Glaubwürdigkeit sei in Frage gestellt, „eine klare, lückenlose und unabhängige Aufklärung“ geboten. Ein Gremien-Sprecher hatte Kurschus als nicht mehr tragbar bezeichnet. Auch die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, war auf Abstand gegangen.

Mutmaßliche Vorfälle aus den 1990ern

Kurschus hatte beteuert, sie kenne den Siegener Fall erst seit Anfang 2023, als eine anonyme Anzeige gegen die nun beschuldigte Person eingegangen sei. „Vorher hatte ich keine Kenntnis von Taten sexualisierter Gewalt durch diese Person“. Die mutmaßlichen Vorfälle sollen sich vor allem in den 1990er Jahren ereignet haben, der Beschuldigte ist inzwischen Rentner.

Bischöfin übernimmt kommissarische Leitung

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist der Dachverband der 20 lutherischen, reformierten und unierten evangelischen Landeskirchen. Sie vertritt rund 19,2 Millionen protestantische Christen in der Bundesrepublik. Der Verband wurde 1945 im hessischen Treysa gegründet und übernimmt die ihr von den Landeskirchen übertragenen Gemeinschaftsaufgaben.

Unter anderem vertritt sie diese in ihren Außenbeziehungen sowie in politischen und gesellschaftlichen Fragen. Sitz der EKD ist Hannover. Kirchenleitende Organe sind die Synode, der Rat und die Kirchenkonferenz.

Die EKD wird von einem 15 Mitglieder zählenden Rat geleitet, an dessen Spitze eine Ratsvorsitzende oder ein Ratsvorsitzender steht. Seit 2021 war dies Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Nach ihrem Rücktritt von beiden Ämtern besteht der Rat nur noch aus 14 Personen und wird kommissarisch von der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs geleitet.

Parlament der deutschen Protestanten

Die EKD-Synode ist das Parlament der deutschen Protestanten. Ihr gehören 108 von den Synoden der Landeskirchen gewählte und 20 vom Rat der EKD berufene Mitglieder an. Das leitende Präsidium der Synode besteht aus sieben Personen. Die Amtszeit der Synode beträgt sechs Jahre. Im Frühjahr 2021 hat sich die Synode neu konstituiert, an der Spitze steht Präses Anna-Nicole Heinrich (27).

Innerhalb der EKD haben sich die deutschen Landeskirchen zu konfessionellen Bünden zusammengeschlossen, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), der vor allem unierte und reformierte Kirchen angehören. Beide Kirchenbünde verfügen über eigene Parlamente, die seit Mai 2009 im Vorfeld einer EKD-Synode tagen.