Altbischof Reinhold Stecher lächelnd

ORF

Requiem für Reinhold Stecher

Aus dem Innsbrucker Dom zu St. Jakob übertrug der ORF live die Trauerfeierlichkeiten für Altbischof Reinhold Stecher mit seinem Amtsnachfolger Alois Kothgasser und dem jetzigen Bischof der Diözese Innsbruck Manfred Scheuer.

Der Trauergottesdienst wurde von Reinhold Stechers Amtsnachfolger Alois Kothgasser, dem jetzigen Salzburger Erzbischof, zelebriert. Die Predigt hielt der Bischof der Innsbrucker Diözese Manfred Scheuer. Unter den Trauergästen Kardinal Christoph Schönborn, Nuntius Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen, die Diözesanbischöfe Egon Kapellari, Alois Schwarz und Ivo Muser, die Altbischöfe Maximilian Aichern, Johann Weber und Johannes Jobst sowie die Weihbischöfe Helmut Krätzl und Franz Lackner. Zudem Vertreterinnen und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften, zahlreiche Politikerinnen und Politiker und viele private Freundinnen und Freunde des am Dienstag im 92. Lebensjahr Verstorbenen.
Nach der Einsegnung zog der Trauerkondukt durch die Innsbrucker Altstadt. Anschließend erfolgte die Beisetzung in der Krypta des Doms.

Musik

Johann Sebastian Bach:
Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit

Gabriel Fauré:
Requiem.
In paradisum deducant te angeli

Franz Schubert:
Wohin soll ich mich wenden?

Heilig, heilig, heilig

Mein Heiland, Herr und Meister

Ignaz Franz & Heinrich Bone:
Großer Gott, wir loben dich

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Innsbrucker Domorchester

Maria Erlacher, Sopran

Kristina Cosumano, Alt

Wilfried Rogl, Tenor

Martin Senfter, Bass

Innsbrucker Domchor

Domkapellmeister Christoph Klemm

Domorganist Reinhard Jaud

Lesung: Ezechiel 34
Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben. Ich führe sie aus den Völkern heraus, ich hole sie aus den Ländern zusammen und bringe sie in ihr Land. Ich führe sie in den Bergen Israels auf die Weide, in den Tälern und an allen bewohnten Orten des Landes. Auf gute Weide will ich sie führen, im Bergland Israels werden ihre Weideplätze sein. Dort sollen sie auf guten Weideplätzen lagern, auf den Bergen Israels sollen sie fette Weide finden. Ich werde meine Schafe auf die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen - Spruch Gottes, des Herrn.
Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.

Den Weg dorthin kennt ihr

Evangelium: Johannes 14

Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt, ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr."

Thomas sagte zu ihm: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ Jesus sagte zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

Dienen und Vertrauen

Reinhold Stecher wurde 1921 in Innsbruck geboren. 1939 trat er ins Priesterseminar in Matrei am Brenner ein, studierte nach Auflösung des Seminars durch die Gestapo in Kärnten weiter, wurde 1941 wegen der Organisation einer Protestwallfahrt inhaftiert, zur Wehrmacht eingezogen und verwundet. 1947 schließlich die Priesterweihe in Schwaz. Es folgten Aufgaben als Präfekt, Lehrer und Seelsorger, Professuren an der Lehrerbildungsanstalt Innsbruck sowie der Pädagogischen Akademie des Bundes und die Tätigkeit als Spiritual im Priesterseminar der Diözesen Innsbruck und Feldkirch. 1980 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Bischof. Stechers Wahlspruch: „Servire et confidere“ - „Dienen und Vertrauen“. Dazu passend war er in der Österreichischen Bischofskonferenz für die Caritas, aber auch für das Frauenreferat tätig.

Bischof Reinhold Stecher mit ernstem Blick

ORF

Reinhold Stecher 2011

1988 setzte der Diözesanbischof der Legende vom angeblichen jüdischen Ritualmord am „Anderl von Rinn“ ein offizielles Ende. Als 1993 das österreichische Asylgesetz verschärft werden sollte, unterzeichnete er als Caritas-Bischof die von „SOS Mitmensch“ initiierte Petition dagegen. Anlässlich eines Dekrets des Vatikans über Restriktionen in der Mitwirkung von Laien 1997 schrieb Stecher nach Rom, die Kirche habe „das Image der Barmherzigkeit verloren und sich das der repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt“ und attestierte der Kirchenleitung „ein theologisches und pastorales Defizit“. Im Jahr 2011 sprach er sich dafür aus, auch Verheiratete zu Priestern zu weihen, und nannte den Aufruf der Pfarrer-Initiative ein „breitgestreutes, flächendeckendes Anliegen“, das man nicht ignorieren dürfe.

Ein Deuter des Alltags

Predigt von Bischof Manfred Scheuer

Reinhold Stecher hat Tausende Briefe geschrieben, seine Handschrift ist unverwechselbar. Vermutlich haben viele, die heute da sind, von ihm einen bekommen. So sind die Briefe mit den Büchern und Bildern ein wichtiger Teil seines Vermächtnisses, sie geben auch heute noch zu denken und zu glauben, provozieren und ermutigen. „Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes." Bei Bischof Reinhold ist der Brief Christi angekommen, in einer Zeit, in der er bei vielen auf halbem Weg verloren gegangen war. Mit seinem Zeugnis wird er zu einem Trostbrief in der Anfechtung, zum Mahnschreiben in dunklen Phasen des Lebens und des Glaubens, in winterlichen Gezeiten der Kirche.

„Der Gang zur Quelle", so ist der Fastenhirtenbrief von Bischof Reinhold aus dem Jahr 1990 überschrieben. „Einer der größten Schätze unserer Heimat ist das Wasser. Die Faszination in Bächen, Wasserfällen und Bergseen hat es bis heute behalten. Wenn ich an die verdurstenden Siedlungen der Welt, die kilometerweit Wasser schleppenden Frauen und Kinder, die schmutzigen Pfützen denke, dann fällt über den sprudelnden Wassersegen meiner Heimat ein Schatten und mit ihm eine Verpflichtung zur Solidarität mit den Durstenden", begründet Altbischof Reinhold Stecher sein Engagement für die Initiative „Wasser zum Leben". Bischof Reinhold ist ein Brunnenbauer mit Wasserfarben. Sein Name steht inzwischen in vielen Orten in Afrika und Albanien.

„Der Gang zur Quelle", der Fastenhirtenbrief von 1990 ist ein Wort zur Heiligen Schrift. Er verweist auf das Wort Gottes als reine ergiebige Quelle. „So möchte ich auch euch einladen zur Quelle zurückzuwandern, sich vor sie hinzusetzen, still zu werden, zu staunen, zu horchen, zu schauen und zu trinken und dann mit neuer Glaubensfreude weiterzugehen." Eine wichtige Quelle war für Reinhold Stecher das Gebet. Die Wegstrecke auf die Waldrast hat er nicht in Stunden, auch nicht in Höhenmetern, sondern in Rosenkränzen gemessen. Es ist für ihn ein Gebet der Stille, erlernt im Schweigen der Einzelhaftzelle, in der Stille der Schützengräben, am Krankenbett. „Geduld bringt Rosen. Wir sind nun einmal sprunghaft-unruhig, nervös-unkonzentrierte Menschen des Augenblicks. ‚Momentanisten‘ hat uns ein Verhaltensforscher genannt. Der Rosenkranz kann uns in eine gewisse Ruhe hinein begleiten und ist so zeitgemäß. Das geduldige, rhythmische Treten ist etwas beschwerlich, aber es bringt nach oben.“

Bischof Reinhold ist für mich ein Deuter der kleinen und unscheinbaren Dinge, ein Deuter des Alltags. Unter Staub verbirgt sich ein goldener, göttlicher Hintergrund, in der Entlegenheit eines Gletscherhahnenfußes erschließt sich Lebens- und Überlebenskraft. Seine Bilder und seine Sprache führen zu Aha-Erlebnissen, die Sprachphilosophie nennt das „disclosure", Erinnerungsarbeit.
Der junge Reinhold Stecher kam wegen „Organisation einer Wallfahrt" in Gestapo-Haft. Als Altbischof schilderte er, wie er als junger Theologe den seligen Provikar Carl Lampert erlebte - als Figur des Widerstandes, eine einsame und tragische Figur in Zeiten des Staatsterrors.

Bei einem Gedenken an die Opfer der Pogromnacht hat er das Entsetzen über die Ermordung von Innsbrucker Juden ausgedrückt. Er vermittelte aber auch den prophetischen Zorn des Amos über die Auflösung des Rechtsstaates. Dann forderte er das nüchterne Bedenken der Hintergründe, den Wurzelverzweigungen des Hasses nachzugraben. Den Nährboden für Vorurteile, Sündenbocktendenzen, Horizontverengungen, Rassenstolzdummheiten und Aberglauben aufzuspüren. Schließlich hat er sich „vor den vielen unschuldigen Opfern" verneigt. Bischof Reinhold hat bisher alle Gedenk- und Festreden für die jüdische Kultusgemeinde gehalten. Er ist für die Kultusgemeinde ein Freund und Zadik, ein Gerechter.

Am Samstag, den 16. Dezember 1944, fielen zwei Bomben in das Innere der Kirche St. Jakob. „Diese schöne Kanzel war einmal ein Puzzle-Spiel. Im 2. Weltkrieg hat eine Fliegerbombe den Dom auf dieser Seite getroffen. Diese Bombe hat sehr viel kaputt gemacht. Unter anderem hat sie die Kanzel in viele hundert Stücke zerschlagen. Niemand hat gehofft, dass man diesen Schaden noch einmal reparieren könnte. Aber wie wieder Friede war, ist ein sehr alter, geduldiger und geschickter Meister gekommen und hat in monatelanger Arbeit das ganze Puzzle aus den vielen Trümmern wieder zusammengesetzt. Diese Kanzel erinnert uns daran, dass Krieg und Hass in wenigen Sekunden zerstören, was viele Jahre mühsam geschaffen haben und was man monatelang herrichten muss. Die zerbrochenen Engel konnte man ja reparieren. Aber was ist mit den Menschen, die zugrunde gegangen sind, und mit denen, die Arme und Beine verloren haben?" (Reinhold Stecher in seinem Kirchenführer für Kinder 6)

Bischof Reinhold war einer, der die Trümmer der Vergangenheit zusammenfügte. Erinnerung hat eine versöhnende Kraft und ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Bischof Stecher erzählte, um die gegenwärtige Verantwortung zu unterstreichen. Um zu verändern mit dem Blick auf die Verwirklichung einer Zivilisation der Liebe. Seine Erinnerung macht uns Mut, heute Menschen mit Zivilcourage zu sein, die entschieden jede Form des sozialen Todes, jede Form der Ungerechtigkeit ablehnen und sich unabhängig von menschlichen Unterschieden den Notleidenden zuwenden.

„Es führen viele Wege zu Gott, einer geht über die Berge." Den Menschen im Land Tirol und weit darüber hinaus ist Bischof Stecher als Wanderer und Bergsteiger in Erinnerung. Er war auch bis zuletzt bei Bergmessen, bei Festen des Alpenvereins und hat Bücher über das Gehen und Wandern geschrieben. Gehen, Wandern und Bergsteigen erschließt Stecher auf eine Selbstaussage Jesu im Johannesevangelium hin: „Ich bin der Weg." Voraussetzung für die Faszination des Bergsteigens ist bei ihm, dass der Berg unheimlich ist, Größe und Unendlichkeit ausstrahlt. Das Erlebnis des Heiligen speise sich immer aus der Mischung von Anziehendem und Abschreckendem, von „Fascinosum und Tremendum". Bischof Reinhold war und ist ein Wanderer, ein Wanderprediger zwischen den Weiten, die sich auf engstem Raum finden - säkulare Welten, fromme Milieus, ein Wanderer zwischen Kindern und Sterbenden, aus intellektuellen Milieus in einfachere. Da ist Vielsprachigkeit gefordert und Einfühlung, Verständnis, der Versuch von Kommunikation, Kirchlichkeit und Kritik.

„Wenn alle Bischöfe so wie Bischof Stecher wären, dann würden weniger Leute aus der Kirche austreten, dann würde die Kirche besser dastehen.", so habe ich es in diesen Tagen im Internet gelesen. Aber auch: „Bischof Stecher ist mit seinen liberalen Positionen eine Ursache für die Kirchenkrise." Bei Begegnungen mit Joseph Kardinal Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. fragte dieser in den letzten Jahren fast immer: „Wie geht es Bischof Stecher? Was macht Bischof Stecher?“ Meine Antwort: „Er gibt Exerzitienkurse, hat einen ökumenischen Predigtpreis bekommen, hält Vorträge, geht wandern, malt Bilder für viele karitative Anliegen..." Der Papst hat aber auch noch die Briefe von 1997 ganz genau in Erinnerung, diese sind ihm sehr nahe gegangen. Bischof Stecher beklagte oft die Kluft einer emotionalen Entfremdung zwischen Bischöfen und alltäglicher Seelsorge und befürchtete das „sakramentale Austrocknen" und eine schleichende Entpersonalisierung der Kirche. Und er hat sich über die Jahrzehnte hinweg für die Weihe von „viri probati“ zu Priestern ausgesprochen. Er hat aber auch vorgelebt, wie ein zölibatärer Bischof, ohne das Gefühl zu vermitteln, zu kurz gekommen zu sein, ohne Ressentiment ziemlich vernünftig, emotional ausgeglichen, lebensfroh und bejahend, in guten Freundschaften leben kann.

Unterscheidung der Geister: Wir haben diskutiert über die Schwierigkeiten der Kirche. Du, Reinhold, sagtest: „Lass das Beiwerk nur wackeln, konzentriere dich auf das Wesentliche, auf den Glauben an Gott und an die Auferstehung." (Dr. Bruno Miller) Bischof Reinhold sah die Kirche im Vierfarbendruck, nicht schwarz-weiß, nicht fundamentalistisch, auch nicht mit liberaler Gleichgültigkeit, sondern bunt. „Mit der kühlen Farbe des Blau“ umreißt Stecher im Kirchenbild „das Institutionell-hierarchisch-Juridische", mit dem die meisten Schwierigkeiten bestehen. „Über das Blau der Institution muss das Rot des Geistes gelegt werden. Es ist die biblisch-theologisch-mystische Seite der Kirche." Die Gelbschicht ist „die gemeinschaftlich-offen, geschwisterliche, pastorale Kirche. Es ist die Kirche, die in die dunkle Welt ein wenig Helle bringen will." Und schließlich: „Der Grau- oder Schwarzdruck" ist „unsere eigene, persönliche Kirchenerfahrung, die positive und die negative, die Kirchenfreude und das Kirchenleid, die Kirchenlust und der Kirchenfrust.“

Vergelt’s Gott, Bischof Reinhold, für deine Briefe, für dein Gebet, für die Seelsorge, für deine Arbeit an Erinnerung und Versöhnung, für deine kritischen Fragen, damit wir der Barmherzigkeit Gottes auf der Spur bleiben. Danke für deine Kreativität in Sprache und Bild, für deinen Humor und die Karikaturen, mit denen du Freiräume und Spielräume in deprimierenden Situationen und Phasen der österreichischen Kirche erschließt.
Vergelt’s Gott für den Gang zu den Quellen. Mit deinem Gehen verweist du auf den, der von sich sagt: „Ich bin der Weg." Du bist bei IHM angekommen. Behüte dich Gott!

Begräbnis von Bischof Reinhold Stecher

APA/EXPA/Jürgen Feichter

Ehrenwache im Dom zu St. Jakob

Trauer über Tirols Grenzen hinaus

Schon die Aufbahrung fand unter großer Anteilnahme statt, Tausende strömten in die Bischofskirche. Unter ihnen auch Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbruck Esther Fritsch.
Zehntausende Sterbebildchen von Bischof Reinhold wurden ausgegeben. Der Dom selbst sowie viele weitere öffentliche Gebäude des Landes waren Tage lang schwarz beflaggt. Ab dem Ableben des Altbischofs erklang jeweils nach dem Angelus zur Mittagszeit die große Glocke des Innsbrucker Doms.

In der Diözese Innsbruck trafen Beileidskundgebungen aus aller Welt ein, und noch Wochen lang nutzten viele das digitale Kondolenzbuch des „Tiroler Sonntag“, um Bischof Reinhold mit ganz persönlichen Worten zu würdigen

Kondolenzbuch des „Tiroler Sonntag"
www.dibk.at

Kommentar
Georg Laich
Elisabeth Rathgeb

Bildregie
Fritz Melchert