Wiener Franziskanerkirche während der Messe, Totale von der hinteren Orgel aus

ORF

„Europa quo vadis?“

Am Sonntag vor der EU-Wahl übertrug der ORF live aus der Wiener Franziskanerkirche einen Gottesdienst zur Verantwortung des Einzelnen in der Gemeinschaft. Mit der Gemeinde feierte Pater Gottfried Wegleitner.

Wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit! Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen! - Sätze in den Lesungen am fünften Sonntag der Osterzeit. Sie legen es nahe, eine Woche vor der Europawahl der Frage nach Verantwortungen und Aufgaben des Einzelnen in der Gemeinschaft, auch in Länder übergreifender Gemeinschaft, nachzugehen.

6 Nationen finden sich im Konvent der Franziskaner in Wien. Welche Erkenntnisse gewinnen sie aus der Praxis des Zusammenlebens? Wie kann die Friedens-Botschaft des Franz von Assisi für das Zusammenleben der Völker in Europa fruchtbar werden?

Der Antwortpsalm in mehreren Sprachen, mehrsprachige Fürbitten, die völkerverbindende Kraft der Musik und das europavereinende ‚Te deum‘ von Charpentier sollen zum Nachdenken über die Rolle der Christinnen und Christen im gemeinsamen Haus Europa anregen.

Männer voll Geist und Weisheit wählen

1. Lesung: Apostelgeschichte 6

In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger zunahm, begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden. Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: „Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit! Ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.“

Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde, und sie wählten Stephanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia. Sie ließen sie vor die Apostel hintreten, und diese beteten und legten ihnen die Hände auf. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer. Auch eine große Anzahl der Priester nahm gehorsam den Glauben an.

Musik
Marc-Antoine Charpentier: Te Deum

Sonne der Gerechtigkeit

Hans Haselböck:
Ehre sei Gott in der Höhe

Freut euch: Wir sind Gottes Volk

Leopold I.: Gavotte

Franz Schubert: Heilig, heilig, heilig

Christe, du Lamm Gottes

Johannes Ebenbauer:
Der Herr schenkt
seinem Volk den Frieden

Freu dich, du Himmelskönigin!

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Cappella Albertina Wien

Kantoren: Susanne Kurz, Florian Wolf

Trompete: Siegfried Koch

Violine und Dirigat:
Teresa Riveiro Böhm

Rieger-Orgel: Peter Peinstingl

Wöckherl-Orgel,
musikalische Leitung:
Johannes Ebenbauer

Stein für das geistige Haus sein

2. Lesung: Erster Petrusbrief 2

Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen!

Denn es heißt in der Schrift: Seht her, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen Eckstein, den ich in Ehren halte. Wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde.

Euch, die ihr glaubt, gilt diese Ehre. Für jene aber, die nicht glauben, ist dieser Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden, zum Stein, an den man anstößt, und zum Felsen, an dem man zu Fall kommt. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen, doch dazu sind sie bestimmt. Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.

Der Weg, die Wahrheit und das Leben

Evangelium: Johannes 14

"Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?

Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr."
Thomas sagte zu ihm: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“
Jesus sagte zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.“

Philippus sagte zu ihm: „Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns.“ Jesus antwortete ihm: „Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist, wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund der Werke! Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen. Und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater.“

Auf dem Weg des Evangeliums gehen

Predigt

In wenigen Tagen ist Europawahl. Genau gesagt, die Wahl zum europäischen Parlament. Da sind Sie, liebe Europäerinnen und Europäer, als Bürgerinnen und Bürger der EU wahlberechtigt. Eingeladen, Ihre Stimme abzugeben. SIE wählen das Parlament der Europäischen Union mit seinen 751 Abgeordneten. Manch einer von Ihnen wird sagen: Die Wahl interessiert mich nicht. Ich lade Sie ein, gehen auch Sie wählen! Wählen ist ein besonderes Gut. Ein demokratisches Recht.

Franziskanerpater Gottfried Wegleitner im Porträt

Franziskaner

Guardian P. Gottfried Wegleitner

Wohin geht die EU? Wohin führt der Weg der europäischen Union? Europa, quo vadis? Ich als Christ frage auch: Wird der Weg ein christlicher sein? Wird Christus den europäischen Weg prägen, Christus, der der Weg ist, die Wahrheit und das Leben? Denn auf der einen Seite stelle ich besorgt fest, vieles, was uns Christen wichtig ist, verliert an Wert. Der Sonntag als Tag des Herrn wird ausgehöhlt. Viel Hast und Rastlosigkeit begleitet uns die Woche über. Was für ein wunderbares Angebot ist der Sonntag! Um zu rasten, um aufzuatmen, um zu feiern, um Mensch zu sein. Die Familie wird zu wenig gefördert. Sie ist der Baustein einer stabilen Gesellschaft. Eine stabile Gesellschaft braucht stabile Familien. In der Familie lernen Kinder zu lieben, einander zu vertrauen. In gläubigen Familien lernen sie auch, auf Gott zu hoffen. Das menschliche Leben, so haben Christen oft den Eindruck, wird in Europa zu wenig geschützt. Wie banal und respektlos wird über das Leben geredet und entschieden! Das menschliche Leben hat eine Würde. Es ist wertvoll vom ersten Augenblick der Empfängnis bis zum letzten Atemzug. Wir stellen als Christen fest: Vieles was uns wichtig ist, verliert an Wert in Europa.

Auf der anderen Seite wissen wir, vieles, was sich in der EU entwickelt hat, ist erst auf Basis des Christentums möglich gewesen. Die Überzeugung von der Menschenwürde ist nicht zufällig im christlichen Kulturkreis entstanden. Weil Jesus sagt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Weil Jesus die Nächstenliebe predigt. Deshalb hat sich die Überzeugung entwickelt, jeder Mensch hat Würde, jeder und jede verdient Respekt.

Vieles, was fundamental geworden ist für das Zusammenleben der europäischen Völker, kommt direkt aus dem Christentum. Der Friede ist eine wesentliche Botschaft Jesu. „Friede sei mit euch!“ grüßt der Auferstandene seine Jüngerinnen und Jünger. Nach dem 2. Weltkrieg waren es christliche Politiker, die gesagt haben: „Nie mehr darf in Europa ein Volk gegen ein anderes Krieg führen.“ Schuman, Adenauer, De Gasperi waren überzeugte Christen und haben die Grundlage für die Europäische Union gelegt mit dem Wirtschaftsabkommen für Kohle und Stahl.

In Österreich hat nach dem 2. Weltkrieg der Franziskaner Pater Petrus Pavlicek um den Frieden und die Freiheit gebetet. Und hunderttausende Menschen haben mitgebetet. Das Gebet der Vielen hat zur Freiheit Österreichs beigetragen, Österreich hat den Staatsvertrag bekommen und damit die Freiheit. - Friede und Freiheit als wesentliche Werte der Christen.

Die Menschenwürde in Europa, der Respekt, der Friede und die Freiheit - alles Werte der EU. Und alles Werte, die im Evangelium grundgelegt sind. Das Evangelium ist die Seele Europas. Wohin gehst du, Europa? Ich bin der festen Überzeugung, Europa wird in eine gute Zukunft gehen, wenn es auf dem Weg des Evangeliums geht.

Weitere Übertragungen aus der Franziskanerkirche

„Gottes Wort verändert die Welt“, 16. März 2014

„70 Jahre Rosenkranz-Sühnekreuzzug“, 8. Oktober 2017

Wiener Franziskanerkirche und Franziskanerplatz

Peda-Verlag

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Thomas Bogensberger