Freiluftgottesdienst mit Altar, Pfarrer, Musikern und der festlich gekleideten Gemeinde

Pfarrgemeinde Naßwald

„Die Fenster bleiben rund“

Der Evangelische Reformationsgottesdienst kam heuer aus Naßwald in Niederösterreich. Mit der Gemeinde feierten Pfarrer Andreas Lisson sowie der Naßwalder Theaterverein.

Was haben die Form der Fenster und der Bau eines Glockenturmes mit dem evangelischen Glauben zu tun? Bis heute erzählt man sich in Naßwald die spannenden Geschichten über Georg Hubmer, der im ausgehenden 18. Jahrhundert mit fester Überzeugung zu seinem Glauben stand. Besonders beim Bau des Bethauses wagte er es, sich mit Witz und Eigensinn den Einschränkungen zu widersetzten, die den Protestanten beim Bau ihrer Gotteshäuser auferlegt waren.

Kurz vor dem Reformationsfest 2015 versammelte sich nun die Gemeinde von Naßwald auf einer Freiluftbühne neben dem alten Bethaus. Das Team um Pfarrer Lisson erinnerte an den Glaubensmut der Vorfahren und beschäftigt sich damit, wo das Bekenntnis des Glaubens in unserer Zeit herausgefordert ist. Mit Szenen aus dem Stück „Der Raxkönig“ brachte der Naßwalder Theaterverein die Gestalt des Georg Hubmer anschaulich in die Feier hinein.

Selig werden

Lesung: Matthäus 5

Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

MUSIK

Ein feste Burg ist unser Gott

Nun freut euch, liebe Christen gmein!

Selig seid ihr

Herr, erbarm dich unser!

Allein Gott in der Höh sei Ehr

Halleluja

Lass mich, oh Herr, in allen Dingen

Herr, erbarme dich!

Großer Gott, wir loben dich

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Musikalische Gestaltung:

Naßwalder Blos
Leitung: Leopold Ramser

Musikalische Gesamtleitung:
Sybille von Both

Allein durch den Glauben

Lesung: Römer 3

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied - sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.

Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Wo ist mein Glaube gefordert?

Predigt

Liebe Gemeinde, mögen Sie Dickschädel? Nein? Ich auch nicht. Aber ich sag Ihnen was: Ich stehe hier mitten in einem Dorf voller Dickschädel. Und ich liebe sie alle. Die meisten von ihnen gehören zu meiner Gemeinde. Es gibt hier ein altes Sprichwort. Das sagen die Leute heute noch: „Und die Fenster bleiben rund!“ Früher hatten es die Evangelischen in Österreich sehr schwer mit ihrem Glauben. Nachdem sich die Reformation in weiten Teilen des Landes rasch ausgebreitet hatte, setzte nach einigen Jahrzehnten die Gegenreformation ein und mündete schließlich in Gewalt. Die Protestanten standen vor der Entscheidung: Glaube oder Heimat? Entweder ich verlasse mein Heimatland oder ich werde wieder brav. Römisch-katholisch. An die 200.000 Evangelischen wurden in dieser Zeit ins Exil vertrieben.

Ab 1781 durfte man durch das Toleranzpatent Josefs II. seinen evangelischen Glauben wieder leben. Unter strengen Auflagen und Einschränkungen, versteht sich. Die Evangelischen durften zum Beispiel keine Gebäude bauen, die einer Kirche ähnlich gesehen hätten. So hat man „Bethäuser“ errichtet – ohne Turm, ohne Glocken, ohne Rundbogenfenster, kein Eingang zur Straße hin. Ein solches Bethaus bauten auch die Naßwalder, aber sie dachten nicht daran, sich an alle Auflagen zu halten. Die Obrigkeit kontrollierte streng, doch die Fenster blieben rund. Schwemmmeister und Dorfoberhaupt Georg Hubmer aber war nicht nur berühmt für seine Durchsetzungskraft und seinen gesunden Hausverstand. Er war auch ein schlauer Fuchs, er hatte tatsächlich einen persönlichen Fürsprecher gefunden: Erzherzog Johann, des Kaisers Bruder. Der hatte ihm eine Audienz bei seiner Majestät Franz II. eingefädelt. Der Kaiser soll schließlich zu Hubmer gesagt haben: „Man lasse mir meinen Raxkönig in Ruhe!“ So blieb das bescheidene Bethaus in Naßwald das einzige mit runden Fenstern in der gesamten Donaumonarchie. Das Bethaus konnte man übrigens bald direkt von der Straße aus betreten. Hubmer hatte nicht etwa den vorgeschriebenen Hintereingang widerrechtlich nach vorne verlegt, er hatte einfach die Straße auf die andere Seite verlegen lassen. Sogar die streng verbotenen Glocken konnte man schließlich läuten hören. Ein kleines Stück weit entfernt vom Bethaus stand unversehens ein hölzernes Gerüst, von dem drei Eisenglocken erklangen. Man musste ja schließlich ein Feuerwarnsystem haben und zu den Ortsversammlungen rufen können. Es gibt noch etliche solcher Naßwalder Geschichten.

Ja, ich liebe diese Naßwalder Dickschädel. Aber diese Dickköpfigkeit kommt ja nicht von ungefähr. Ohne sie hätten sie sich damals gar nicht behaupten können. Ein buchstäblich notgedrungener „Glaubens-Dickschädel“ also, - dessen Ursprung wohl in die Zeit des Geheimprotestantismus zurückreicht. Die Zeiten des konfessionellen Gegeneinanders in diesen Breiten sind mittlerweile längst vorbei, auch hier in Naßwald, Gott sei Dank. Längst ist Naßwald nicht mehr nur lutherisch bevölkert. Konfessionsverbindende Ehen sind heute kein Problem mehr. Die katholischen Pfarrer oben in Schwarzau im Gebirge und unten in Gloggnitz zum Beispiel sind meine Freunde, gelegentlich feiern wir miteinander Gottesdienst. Wozu da noch einen Glaubens-Dickschädel?

Bedarf es heute in unserem freien Europa mit seinem Grundrecht auf freie Religionsausübung überhaupt noch einer Standfestigkeit im Glauben? Wenn ich Sie frage: Würden Sie für Ihren Glauben den Kopf hinhalten? Sie würden vermutlich meine Frage gar nicht verstehen: Kopf hinhalten? Für den Glauben? Es tut mir ja keiner etwas.

Doch auch den Familien um den Raxkönig ist es ja um weit mehr gegangen als um ihren Wunsch nach runden Kirchenfenstern. Im Kern des evangelischen Glaubens ging es und geht es darum, wer vor Gott etwas gilt. Nur, wer fromm ist? Gibt es vielleicht Bedingungen? Oder gilt Gottes Liebe vielleicht gerade denen, die an den gestellten Bedingungen immer wieder scheitern? Wie sieht es denn heute aus? In der Gesellschaft gehörst du in dem Maß dazu, wie du mithalten kannst, solange du noch was auf deinem Bankkonto hast, solange du gesund bist. Ich denke an alle die, die Jesus seligpreist: die geistlich arm sind, die da Leid tragen, die Sanftmütigen, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Friedfertigen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden – alle die haben auch bei uns wenig zu lachen. Die will eine Spaßgesellschaft gar nicht sehen. Wir kennen solche seliggepriesenen Leute! Jede Menge. Manchmal gehören wir selbst zu ihnen.

Und auch Georg Hubmer war einer von ihnen. Auch wenn manche sicher zu Recht behaupten, er sei – wie Martin Luther – einer gewesen, dem schnell einmal der Kragen platze, der mit der Faust auf den Tisch haute und derb und laut wurde. Der aber für sich und die Seinen beschlossen hatte, ein bescheidenes und menschenwürdiges Leben zu führen. Kinder zum Beispiel haben damals nichts gegolten. Junge, billige Arbeitskräfte waren es. Was hat Hubmer gemacht: Er hat dafür gesorgt, dass Kinder und Erwachsene in Naßwald lesen und schreiben lernten. Das Bethaus war zugleich auch Schule! Alle sollten eine Grundbildung besitzen, sollten selbst die Bibel lesen können! Auch darin waren die Naßwalder echte Evangelische: Protestantismus und Bildung und die Heilige Schrift in der Muttersprache gehören zusammen. Das wissen die Evangelischen heute noch. Daher ist das heurige Jahr, auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 das Jahr der Bildung in Österreich.

Hubmer hat in diesem Tal eine Krankenkasse und eine Sozialversicherung eingeführt, ein Schutzhaus für die Schulkinder gebaut. Er hat im Glauben begriffen, dass wir Empfangende, von Gott Beschenkte sind, dass wir allein aus der Gnade Gottes leben. Die es gilt, weiterzugeben! Er hat mit Paulus und mit Luther begriffen, dass alle die, die Jesus seligpreist, ihre Seligkeit nicht mit irgendeiner eigenen Anstrengung verdienen müssen, nicht verdienen können! „… und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Diesem evangelischen Glauben bleib Hubmer treu. Für den hielt er seinen Kopf hin. Zu dessen Ehre hatten die Fenster rund bleiben müssen. Protestantisch war er auch in seiner Überzeugung: Ich bin Gott verantwortlich und damit an mein eigenes Gewissen gebunden. So sind die dickköpfigen Naßwalder nicht nur Gott, sondern auch sich selbst treu geblieben. Die Jesus seligpreist, die kuschen nicht. Die folgen ihrem Gewissen, mit dem sie vor Gott bestehen wollen, mit dem sie Mensch bleiben wollen.

All jenen, die ohne Rücksicht auf Verluste dem letzten Modeschrei nachjagen, immer höher hinaus wollen, immer weiter weg, immer mehr Action, immer mehr Spaß mit immer höherem Tempo, wünsche ich, dass sie einmal einen Fuß ins alte Naßwald setzen. Demut lernen. Entschleunigung. Menschengerechter zu leben beginnen. Für sich selbst, für andere. Ich wünsche ihnen, dass Sie einmal auf diesem hohen Felsen stehen und von dort einen klaren Blick bekommen. Von dort oben erkenne ich, dass in meinem Leben getrost auch einmal etwas hinterwäldlerisch sein darf, etwas langsamer, bedächtiger halt. Nicht, dass die Naßwalder rückständig wären. Sie waren und sind bis auf den heutigen Tag alles andere. Sie sind immer noch Experten auf ihrem Gebiet, hochqualifizierte Spezialisten in der naturnahen Forstwirtschaft und im Quellschutz für die Stadt Wien. Von hier fließt das Wasser nach Wien. Die Naßwalder sind gescheit, talentiert, weltoffen. Sie schauen aufeinander. Sie schauen auch auf andere: Gerade haben sie in ihrem kleinen Dorf eine sechsköpfige Flüchtlingsfamilie aufgenommen. Die Naßwalder stehen mitten im Leben. Das Vermächtnis ihrer Vorfahren ist ihr Dickschädel.

Zusammen mit den Naßwaldern dürfen wir uns fragen: Wofür lohnt es sich heute, seine Kraft einzusetzen, zu kämpfen, den Kopf hinzuhalten? Wo ist mein christlicher Glaube gefordert? Schauen Sie sich um! Schauen Sie in die Welt! Auf das, was Sie vor Ihrer Nase sehen. Und auf das, was weit hinter Ihrem Kirchturm liegt. Und hören Sie auf Ihr Gewissen! Die Welt braucht Sie. Braucht Menschen, die den Mut haben, zu ihrem Glauben zu stehen und mit Wort und Tat das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen. Das weist hinaus an die Schwachen und die Schwächsten dieser Welt. An die mit den leeren Händen, die Jesus seligpreist und denen Gottes bedingungslose Zuwendung gilt.

Weil wir Gnade empfangen, können wir nicht gnadenlos sein. Das ist es, was froh macht. Das ist es, was unserer Welt ein freundliches und menschenwürdiges Gesicht verleiht. Dafür einzutreten, wünsche ich Ihnen einen Naßwalder Dickschädel.

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