Leben auf kleinstem Raum. Hausherrin Silke Bernhardt in ihrem noch im Bau befindlichen "tiny house" in Niederösterreich

ORF/Posch TV/Ursula Merzeder

„Das Leben entrümpeln“ und „Lichtblicke – Leben mit Demenz"

Ein Bewohner Westeuropas besitzt durchschnittlich rund 10.000 Gegenstände. Der Besitz der Haushalte ist in den vergangenen 50 Jahren quantitativ stark gestiegen, aber es wird vergleichsweise auch immer mehr entsorgt.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 26. September 2017
um 22.35 Uhr, ORF 2

2015 hat jeder in Österreich 482 Kilogramm Müll verursacht – die Tendenz ist weiter steigend. „kreuz und quer“ – präsentiert von Christoph Riedl-Daser – zeigt dazu am Dienstag, dem 26. September 2017, um 22.35 Uhr in ORF 2 Steffi Hawliks Film „Das Leben entrümpeln“, der folgenden Fragen nachgeht: Wie viel Besitz braucht man, um gut zu leben oder um glücklich zu sein? Und ist eine Trendumkehr in Sicht?

Um 23.10 Uhr folgt die Dokumentation „Lichtblicke – Leben mit Demenz“, für die Filmemacherin Ruth Deutschmann und Kameramann Franz Posch drei an Demenz Erkrankte und deren Angehörige über einen längeren Zeitraum begleitet haben. Um 23.55 Uhr steht danach Nikolaus Leytners preisgekröntes Drama „Die Auslöschung” aus dem Jahr 2012 auf dem Programm von ORF 2:

Darin stellt sich Judith (Martina Gedeck) den bitteren Herausforderungen, die Ernsts (Klaus Maria Brandauer) fortschreitende Alzheimer-Erkrankung für ihre noch junge Beziehung darstellt. Was heißt es für die Liebe, wenn sich der Partner mehr und mehr vergisst? Neben Brandauer und Gedeck sind in der ORF/SWR-Koproduktion auch Birgit Minichmayr und Florian Teichtmeister zu sehen.

Leben auf kleinstem Raum. Hausherrin Silke Bernhardt in ihrem noch im Bau befindlichen "tiny house" in Niederösterreich

ORF/Posch TV/Ursula Merzeder

„Das Leben entrümpeln“

Immer mehr Leute „sharen“, also teilen Gegenstände wie Autos, Bücher, Werkzeug oder Kleidung. Ist das der neue nachhaltige Konsum? Der Film zeigt Menschen, die ihren Alltag nachhaltig umgestellt haben – sei es durch eine Shopping-Diät, durch einen Jobwechsel, durch die Entdeckung eines neuen Sinns. Das geht bis zum völligen Ausstieg aus dem Leben, wie wir es kennen.

Silke Bernhardt hat ihre 80-Quadratmeter-Wohnung aufgegeben und ihre Sachen auf einem Flohmarkt verkauft. Ihr Besitz hat sie belastet. Jetzt wohnt sie mit wenigen Gegenständen in einem Wohnwagen und hat das Gefühl, mehr Zeit zu haben.

Franz Köck hat 27 Jahre lang in einer Bank gearbeitet, bis ihn der ständig wachsende Geld- und Konsumwahn dazu gebracht hat, zu kündigen. Heute ist er Qigong-Lehrer und hält sich an keinem Besitz mehr fest.

Nunu Kaller war shoppingsüchtig. Bei jeder Gelegenheit ging sie einkaufen. Vor fünf Jahren zog sie die Reißleine und machte einen eiskalten Entzug – ein Jahr Shoppingdiät und der Vorsatz, nichts zu kaufen. Sie schaffte es und hat ihren Kleiderkonsum völlig umgestellt. Heute shoppt sie, wenn überhaupt, nur noch ökologisch, vor allem aber wird Kleidung getauscht. Denn Tauschpartys sind gerade bei jungen Frauen immer mehr im Trend.

Julia Petschnig hat ihren eigenen Verein gegründet, wo Lebensmittel und Gegenstände vor dem Müllplatz gerettet werden. Jeder, der mag, kann sich Dinge abholen, die er für sich brauchen könnte.

Die katholische Sozialethikerin Ingeborg Gabriel und der evangelisch-methodistische Pastor und frühere Superintendent Lothar Pöll analysieren die gesellschaftlichen Trends und reflektieren die drängenden ethischen Fragen und alternativen Lebensmodelle.

„Wenn jeder Einzelne darauf verzichtet, Besitz anzuhäufen, dann werden alle genug haben“, meinte schon Franz von Assisi – und drückt damit die Überzeugung aller großen Religionen aus, die gerade in Maßhalten und Verzicht wichtige langfristige Schritte zu einem geglückten Leben sehen.

Ein Film von Steffi Hawlik

Regisseurin Ruth Deutschmann, Anton, Kameramann Franz Posch.

ORF/Posch TV/Ursula Merzeder

„Lichtblicke – Leben mit Demenz“

„Etwa 100.000 Menschen gelten in Österreich als demenzkrank – fast drei Viertel dieser Patientinnen und Patienten leiden an Morbus Alzheimer. Infolge der steigenden Lebenserwartung geht man davon aus, dass es im Jahr 2050 dreimal so viele Demenzkranke geben wird.

Somit zählt Demenz zu den großen Bedrohungen der alternden Gesellschaft. Trotz jahrelanger Forschung gibt es bisher weder einen Früherkennungsmarker noch wirksame Medikamente.

Auch die Fragen nach den Ursachen der Erkrankung können bis heute nicht beantwortet werden. Und das, obwohl der deutsche Psychiater und Neuropathologe Alois Alzheimer (1864–1915), nach dem Morbus Alzheimer benannt ist, schon vor 108 Jahren über abgestorbene Nervenzellen im Gehirn seiner 1906 verstorbenen Patientin Auguste Deter referierte und auch die für die Demenzerkrankung typischen Eiweißablagerungen beschrieb, die sogenannten Plaques.

Die filmische Dokumentation ist ein Rahmen, der in der Finsternis des Vergessens Augenblicken von Licht und Wärme nachspürt. Zu finden sind sie dort, wo Betroffene sich auf das noch Mögliche konzentrieren, statt dem Verlust an geistigen Fähigkeiten nachzutrauern.

Dann wird deutlich, dass auch ein Leben mit Demenz es wert ist, gelebt zu werden. Eine Erfahrung, von der im Film auch Arno Geiger berichtet, dessen preisgekröntes Buch „Der alte König in seinem Exil“ ein berührendes Bekenntnis zu seinem an Alzheimer erkrankten Vater ist. Für ihn ist es klar, dass wir, die „Gesunden“, verpflichtet sind, Brücken zu den Menschen zu bauen, die ihr Gedächtnis verlieren. Ebenso zu Wort kommt Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie in Heidelberg.

Er reflektiert über die Bedrohung durch die Demenzerkrankung und bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass ein Mensch seine Identität bewahrt, auch wenn er sein Gedächtnis verliert. An Demenz erkrankt zu sein und zu wissen, wahrscheinlich über kurz oder lang sich selbst abhanden zu kommen und völlig auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, bedeutet existenzielles Ausgesetztsein.

Das Leben mit schwindendem Bewusstsein muss nicht bedeuten, rettungslos in Trostlosigkeit und Dunkelheit zu versinken. Es kann auch eine Reise ins Licht sein. Zumindest für Augenblicke – für die Erkrankten und die, die sie begleiten.

Die Protagonisten der Dokumentation: Barbara, ehemals Volksschullehrerin in der Weststeiermark, war nur geringfügig älter als Auguste Deter, als ihre Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit abnahm. Ärzte vermuteten bei der Alleinstehenden anfangs eine Depression, später ein Burn-out, bis schließlich Demenz vom Typ Morbus Alzheimer diagnostiziert wurde.

Seither sind mehr als vier Jahre vergangen. Den anfänglichen Schock über die niederschmetternde Diagnose hat Barbara überwunden. Sie sieht ihrer Zukunft gefasst entgegen und versucht sich mit dem Verlust ihres Gedächtnisses zu arrangieren.

„Der Alzi hat wieder zugeschlagen“, ist eine stehende Redewendung der noch nicht einmal 60-Jährigen, wenn sie wieder einmal etwas vergisst. Es ist der Galgenhumor, der ihr hilft, mit den Einschränkungen umzugehen, die die fortschreitende Demenz mit sich bringt. Was sie sich wünscht? Einmal noch möchte sie ans Meer, bevor ihr der „Alzi“ das Gedächtnis vollends raubt.

Anton lebt mit seiner Frau Anna Maria am Stadtrand von Graz. Er wird bald 85 Jahre alt und leidet seit etwa sechs Jahren an Alzheimer. Der ÖBB-Bedienstete in Pension hat immer viel Bewegung gemacht, weder geraucht noch getrunken und sich – dank seiner Frau Anna Maria – äußerst gesund ernährt.

Ohne dass es ihm bewusst war, hat er genauso gelebt, wie Experten heutzutage empfehlen, dass man leben soll, um das Risiko, an Demenz zu erkranken, möglichst zu minimieren. Warum er trotzdem an Alzheimer erkrankt ist? Niemand weiß es. Mittlerweile hat sich sein Zustand so verschlechtert, dass er ohne die „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ seiner Gattin nicht mehr leben könnte.

Anna Maria will auf keinen Fall, dass ihr Mann in ein Heim kommt, und möchte derzeit auch noch nicht auf eine 24-Stunden-Hilfe zurückgreifen. Der Preis dafür ist, dass sie immer öfter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stößt. Was den beiden tief gläubigen Grazern guttut, sind die wöchentlichen Zwei-Tages-Aufenthalte von Anton im Demenz-Tageszentrum ELISA der Caritas Graz-Seckau.

Es hat lange gedauert, bis sich beide dazu entschlossen haben. Vor allem Anna Maria hatte das Gefühl, ihren Mann im Stich zu lassen, wenn sie nicht in seiner Nähe ist, um ihn betreuen zu können. Aber mittlerweile weiß sie, dass sie ihm nur helfen kann, wenn es auch ihr gutgeht.

Alfred, etwas über 70 Jahre alt, ist an Vaskulärer Demenz erkrankt, der zweithäufigsten Demenzerkrankung nach Alzheimer. Er lebt im SeneCura-Pflegeheim Grafenwörth in Niederösterreich. Bei dem ehemaligen Briefträger ist die Erkrankung schon sehr weit fortgeschritten. Er kann nicht mehr sprechen, und ob er seine Ehefrau Monika bei ihren täglichen Besuchen als solche wahrnimmt, weiß niemand.

Monika hat ihn mehr als zwei Jahre daheim betreut, dann war sie am Ende ihrer Kräfte und unmittelbar vor einem Zusammenbruch. Sie musste Alfred 2009 im Heim unterbringen und kämpfte lange mit dem Gefühl, ihn verraten zu haben. Doch das in Validation nach Naomi Feil ausgebildete Pflegeteam hat ihr geholfen, das schlechte Gewissen zu überwinden und einen neuen Zugang zu ihrem Mann zu finden, der mittlerweile in seiner eigenen Welt lebt.

Der Schlüssel dazu ist, dass sie versucht, „in den Schuhen ihres Mannes“ zu gehen. Auf diese Art kann sie einen Zugang zu ihm finden und neue Seiten an ihm – und in der Folge an sich selbst – entdecken. In dieser neuen Phase ihrer Ehe zählt nur der Augenblick. Und diese Augenblicke können voll von Licht sein. Alfred und der Vater von Schriftsteller Arno Geiger sind kurz nach den Dreharbeiten gestorben.

Ein Film von Ruth Deutschmann