Doku Frauen in Freiheit

ORF/Journeyman Sales/© Abeer Zeibak Haddad

„Frauen in Freiheit“ und „Eine Frau auf der Flucht“

Es ist eine tragische Geschichte, die sich vor vielen Jahren in Nazareth zugetragen haben soll und den Ausgangspunkt dieser Dokumentation bildet: Eine junge Palästinenserin wird getötet, weil sie die Ehre der Familie verletzt hat.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 06. März 2018 um 22.35 Uhr, ORF 2

Eines Nachts schleicht sich die Großmutter in das Zimmer des Mädchens und tropft der Schlafenden Quecksilber ins Ohr. Das Mädchen stirbt sofort.

Die palästinensische Regisseurin Abeer Zeibak Haddad erzählt diese Geschichte in ihrer Dokumentation „Frauen in Freiheit“, die „kreuz und quer“ im Rahmen des ORF-Programschwerpunkts zum Weltfrauentag zeigt.

Das Schicksal dieses Mädchens hat sich in ihrer Kindheit tief in Abeer Zeibak Haddads Gedächtnis gegraben. Vielleicht auch, so sagt sie, weil ihr Familienname „Zeibak“ Quecksilber bedeutet.

Der Erzählung gegenüber steht die reale Situation: Immer wieder werden palästinensische Frauen und Mädchen zu Opfern sogenannter „Ehrenmorde“. Sie werden erschossen, erstochen oder erwürgt. Die Täter sind häufig männliche Verwandte der Frauen.

„Seit zehn Jahren bin ich ständig auf der Flucht“, schreibt die Irakerin Zaenab Al Khashmany in ihr Tagebuch. Nach dem Schulabschluss ging sie nach Syrien, weil sie dort als junge Frau mehr Freiheiten als in ihrer konservativen Heimatstadt Tikrit hatte.

Der Syrien-Krieg zwang sie, in den Irak zurückzukehren. Doch kurz danach wurde ihre Stadt vom IS erobert. Über die Türkei und Griechenland konnte sie schließlich nach Österreich flüchten und sich in Horn niederlassen.

Obwohl sie sich dort gut eingelebt hat, ist ihre Flucht noch lange nicht zu Ende, wie die anschließende „kreuz und quer“-Dokumentation „Eine Frau auf der Flucht“ von Michael Brauner und Christian Schüller um 23.25 Uhr zeigt.

Doku Frauen in Freiheit

ORF/Journeyman Sales/© Abeer Zeibak Haddad

„Frauen in Freiheit“

Filmemacherin Abeer Zeibak Haddad begibt sich auf eine – immer wieder auch sehr persönliche – Spurensuche durch die palästinensische Gesellschaft. Sie reist durch Israel und die palästinensischen Gebiete, führt Gespräche mit ganz unterschiedlichen Akteurinnen und sammelt Geschichten, Geständnisse, Beweise und Gerüchte.

Sie trifft Frauen, deren eigene Erlebnisse Betroffenheit erzeugen, und Aktivistinnen, die sich für Frauenrechte starkmachen. Sie spricht mit einer Politikerin und Psychologin über die verborgenen Mechanismen, die es möglich machen, dass sogenannte „Ehrenmorde“ fast schon als Teil der Kultur betrachtet werden. Und sie trifft die Eltern einer jungen Frau, die von einem Unbekannten erschossen wurde.

„Frauen in Freiheit“ erzählt von Frauen und Mädchen, die im Namen der Ehre ermordet wurden. Und von jenen, die dem Schlimmsten entkommen konnten – und doch schwer an den Folgen der Geschehnisse leiden.

Da ist etwa Halaa. Ihr fällt es hörbar schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Immer wieder stockt die junge Frau. Die heute 24-Jährige verlobt sich als Jugendliche mit einem Burschen aus ihrem Dorf. Doch Halaa zieht schließlich zum Studieren in eine andere Stadt, macht neue Erfahrungen und verändert sich. Es kommt zum Streit mit dem Verlobten – und er schlägt sie.

Halaa will die Verlobung lösen – doch statt Unterstützung vonseiten ihrer Eltern zu erhalten, greift ihr Vater sie mit einem Messer an. Ihre Tante rettet sie vor Schlimmerem. Tagelang verbarrikadiert sich Halaa danach mit ihrer Schwestern in ihrem Zimmer.

Die beiden schlafen in Schichten, aus Angst, der Vater könne sich sonst unbemerkt Zutritt verschaffen. Heute arbeitet die junge Frau und finanziert sich so selbst Studiengebühren und Miete. Ihre Mutter halte die Tochter dennoch für „schlecht“, sagt Halaa.

Eine andere junge Frau, Amal, ist traumatisiert. Die palästinensische Gesellschaft sei patriarchal und Frauen hätten keinerlei Rechte, sagt sie. Sie selbst hat schwerverletzt einen Mordversuch ihres eigenen Bruders überlebt. Doch die Unterstützung ihrer Umgebung galt nicht etwa der jungen Frau, sondern dem Bruder. „Alle stellten sich gegen mich“, erzählt sie.

Doch es gibt immer mehr, die diese Situation nicht länger hinnehmen wollen. Da ist etwa die unabhängige Frauenrechtsorganisation SAWA, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen in der palästinensischen Gesellschaft einsetzt.

„In unserer Gesellschaft muss nur das Mädchen seine Ehre bewahren“, kritisiert eine SAWA-Aktivistin. Sie müsse bei der Heirat Jungfrau sein, unterliege sozialen Zwängen und müsse jederzeit gegenüber der gesamten Familie Rechenschaft über ihr Verhalten ablegen.

Und unerschrockene Frauen und auch Männer demonstrieren offen gegen Gewalt gegen Frauen, gegen die Praxis der „Ehrenmorde“. Schon der Begriff hat schließlich fast etwas Euphemistisches: „Ein Verbrechen ist und bleibt ein Verbrechen“, ruft eine Demonstrantin ins Mikrofon. Niemand könne behaupten, das habe irgendetwas mit Ehre zu tun.

Ein Film von Abeer Zeibak Haddad (deutsche Bearbeitung: Sabine Aßmann)

Zaenab Al Khashmany besucht die Schule für Sozialbetreuungsberufe Horn

ORF/Metafilm/Michael Brauner/Christan Schüller

„Eine Frau auf der Flucht“

„Seit zehn Jahren bin ich auf der Flucht“, schreibt Zaenab Al Khashmany in ihr Tagebuch. Nach dem ersten Irakkrieg musste ihre Familie Bagdad verlassen und in die Provinz ziehen.

Als junge Frau wollte sie sich den Regeln der konservativen Männergesellschaft nicht mehr beugen und ging zum Studium nach Syrien, wo das Leben damals westlicher war. In Damaskus lernte sie auch die christliche Weltanschauung kennen.

Besonders Christen protestantischer Gemeinden gefielen ihr, weil Frauen dort Pastorinnen werden konnten. Doch der syrische Bürgerkrieg hat sie aus Damaskus vertrieben. Wieder zurück im irakischen Tikrit, musste sie vor dem IS in die Türkei flüchten. Über Griechenland kamen Zaenab und ihr jüngerer Bruder Taha nach Österreich. Jetzt leben sie in Horn im östlichen Waldviertel.

Doch ihre Flucht ist nicht zu Ende. Denn Zaenabs Asylantrag wurde abgelehnt. Als irakische Bürger bekamen die Geschwister nur befristeten Aufenthalt. Da der IS inzwischen aus ihrer Stadt vertrieben wurde, droht ihnen die Abschiebung.

Für die Biologin bedeutet das eine Katastrophe. Denn in ihrem zerstörten Land regieren weiterhin jene Kräfte, vor denen sie seit Jahren flieht: konservative religiöse Führer und bewaffnete Milizen, die Frauen wie ihr keine Freiräume lassen. „Meine Träume sind für europäische Frauen selbstverständlich“, schreibt sie in ihr Tagebuch.

„Ich will als Biologin arbeiten oder wenigstens als Krankenschwester. Ich will gut Deutsch sprechen, den Führerschein machen und einmal ein eigenes Auto haben.“ Zurzeit besucht sie eine Schule für Altenpflege. Ihr Bruder Taha geht ins Gymnasium und hat eine österreichische Freundin, ihr ungewisser Status überschattet jedoch den Alltag.

Ein Film von Michael Brauner und Christian Schüller