Cordelia Lehmann-Reinthaller und Ulrich Reinthaller

ORF/Cinevision

Die Heimkehr des Vaters

„Mein Leben ist seit jeher von Heimweh geprägt. Woher hab ich das?“ fragt sich der Schauspieler Ulrich Reinthaller zu Beginn dieser „Feierabend“-Sendung. Er vermutet, dass es etwas mit seinem Vater zu tun hat: „Er ist aus dem Krieg heimgekehrt, und ich hege diese Sehnsucht, heimzukehren in eine bessere Welt.“

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ORF

Sendungshinweis

FeierAbend, Christi Himmelfahrt, 30.5.2019, 19.52 Uhr, ORF 2

Seit September 2018 spielt Ulrich Reinthaller im Theater in der Josefstadt die Rolle eines jüdischen Arztes in der Uraufführung von Daniel Kehlmanns „Die Reise der Verlorenen“. Dieses Stück erzählt die wahre Geschichte von 937 Juden, denen die Nazis „erlaubt“ haben, Deutschland per Schiff zu verlassen, um in Kuba Aufnahme zu finden. Am Ende steht die erschreckende Erkenntnis: Kuba lässt niemanden mehr ins Land.

Auf seinem Weg ins Theater kommt Ulrich heute täglich am Piaristengymnasium vorbei und denkt dabei oft an seinen verstorbenen Vater, der 1943 im Alter von 16 Jahren von der Schulbank weg zur Wehrmacht eingezogen wurde. Wenn er sich heute in die damalige Situation seines Vaters Thomas versetzt, wird Ulrich Reinthaller „stellvertretend für meinen Vater zum ungläubigen Thomas. Mein Vater ist zwar nie aus der Kirche ausgetreten, aber er hat sich oft lustig gemacht über die Kirche. Er konnte die Kirche als Machtfaktor einfach nicht mehr akzeptieren, nachdem er erlebt hatte, das große Teile dieser Kirche das Nazi-Regime stillschweigend hingenommen oder gar kollaboriert haben.“

Seine kirchenskeptische Haltung sollte Thomas Reinthaller freilich nicht daran hindern, als Architekt unter anderem auch eine Kirche zu bauen – die Kirche des Wohnparks Alt Erlaa in Wien. Als Ulrich den Kirchenraum nach vielen Jahren wieder einmal aufsucht, wird ihm bewusst, dass der Gekreuzigte neben dem Altar der gleiche ist, wie jener Christus, den sein Vater für sein Privathaus anfertigen ließ – nur dreimal so groß: „Es muss ihm etwas bedeutet haben. Vermutlich war das Kreuz für ihn ein Zeichen für das Leiden in der Welt. Und er wusste, was Leiden bedeutet. Er war im Krieg, er kannte die Fratze der Menschen.“

Bereits als 14-jähriger hat Ulrich auf dem Dachboden die in alten Koffern abgelegten Briefe und Kriegstagebücher seines Vaters gefunden und gelesen – soweit er die Handschrift des Vaters entziffern konnte. Die Beschäftigung mit Daniel Kehlmanns Theaterstück hat Ulrich die Briefe seines Vaters wieder in Erinnerung gebracht, die er in der Folge systematisch las und ordnete.

Im „Feierabend“ zeigt Ulrich seiner Schwester Cordelia ausgewählte Textstellen aus den Briefen und Aufzeichnungen seines Vaters und skizziert bei dieser Gelegenheit seine Idee, im kommenden Jahr gemeinsam mit allen Geschwistern eine Spurensuche zu unternehmen, den Kriegsstätten des Vaters folgend, um auf diese Weise ein tieferes Verstehen seiner Biografie einzuleiten. Bruder und Schwester gehen angesichts der alten Schriftdokumente und Fotos der Frage nach, was ihren Vater für sie zu einem „Schwierigen“ gemacht hat. „Er konnte keine Gefühle zeigen“, formuliert Cordelia Lehmann-Reinthaller, „er hat uns Kinder nie umarmt und gesagt, dass er uns lieb hat.“ Was Ulrich an seine Zeit am Sterbebett des Vaters denken lässt: „Ich hab ihm damals gesagt, dass ich ihn lieb hab. Da hab ich ihn dann zum ersten Mal weinen gesehen.“

Die Erinnerung an die letzten Stunden seines Vaters ist für Ulrich eine tröstliche: „Seine letzten Atemzüge waren wie ein Atemholen, das weiß um die Erleichterung in zwei Minuten - wo er schon irgendwas gesehen hat oder gespürt hat. Es war keine Qual mehr. Diese letzten Atemzüge haben eine Größe gehabt, und ich hab eine Ehrfurcht empfunden vor dem Leben und dem Tod gleichzeitig. Und dann der letzte Atemzug, und dann nichts mehr… Wie die Stille wie ein großer Gongschlag das Zimmer erfüllt hat und nichts von Leiden mehr da war, da hab ich zum ersten Mal in meinem Leben gedacht, wenn das so ist, dann hab ich vor diesem letzten Augenblick überhaupt keine Angst mehr.“

Ein Film von Michael Cencig
Redaktion: Barbara Krenn