Epigenetik-Forscher Thomas Jenuwein - Der Mensch ist mehr als die Summe der Gene

ORF/Langbein & Partner/Max-Planck-Gesellschaft

„Was unsere Gene lenkt - Epigenetik und Schicksal“ und „Schicksal“ - Woran glauben wir, wenn wir an Schicksal glauben?

„Wir dachten bis vor 20 Jahren, dass die Information in den Genen liegt. Und seit Kurzem wissen wir, dass sie wie ein Lichtschalter angeschaltet und abgeschaltet werden“, weiß Prof. Matthias Beck um den Zerfall eines Dogmas der Naturwissenschaft.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 10. Dezember 2019
um 22.35 Uhr, ORF 2

„Das ist wie beim Klavier. Sie haben eine Tastatur, das wären die Gene, das ist die Grundinformation, aber jetzt muss einer drauf spielen. Also wenn Sie wollen: Die Epigenetik ist der Spieler auf den Tasten der Genetik“. „kreuz und quer“ zeigt dazu am Dienstag, dem 10. Dezember 2019, um 22.35 Uhr in ORF 2 die Dokumentation „Was unsere Gene lenkt – Epigenetik und Schicksal“ von Kurt Langbein und Andrea Eder.

Irgendwann passiert das Unerwartete, bringt Tod und Verderben. Urplötzlich, unverschuldet, unaufhaltsam – schicksalshaft. Doch woran glauben wir, wenn wir an Schicksal glauben? An ein vorherbestimmtes Los? Gottes Plan? Karma? Oder ist doch alles nur Zufall? Antworten auf diese existenziellen Fragen sucht die Dokumentation „Schicksal“ von Fritz Kalteis um 23.25 Uhr.

Epigenetik-Forscher Thomas Jenuwein - Der Mensch ist mehr als die Summe der Gene

ORF/Langbein & Partner/Max-Planck-Gesellschaft

„Was unsere Gene lenkt – Epigenetik und Schicksal“

Kurt Langbein und Andrea Eder sind durch Europa gereist, um filmisch einzufangen, was die junge Forschungsrichtung „Epigenetik“ im zu Ende gehenden Jahrzehnt herausgefunden hat. Menschen etwa, die im holländischen Hungerwinter 1944 gezeugt wurden, leiden vermehrt unter Stoffwechselstörungen – und ihre Kinder ebenfalls. „Wir existierten zum Teil schon im Körper unserer Großmutter.

Das Ei, aus dem wir wurden, bildete sich zwei Generationen vor unserer Geburt“, kommentiert die Amsterdamer Biologin Tessa Roseboom die Ergebnisse der Studie. Die veränderte Schaltung der Gene kann über Generationen weitergegeben werden. Wir sind also mehr als die Summe unserer Gene. Umwelteinflüsse wie Ernährung, Traumata, Krankheit oder unser Lebensstil sind in der Lage, bestimmte Gene ein- oder auszuschalten.

Tatsächlich zeigt die Epigenetik, dass selbst subtile Umweltveränderungen auf unser Erbgut zugreifen – die neue Forschung zeigt, dass die Entstehung von Krankheiten oder die Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen epigenetisch beeinflusst sein kann – auch wieder in die positive Richtung. „Das ist die Schönheit des Epigenoms“, sagt die Biologin Isabelle Mansuy von der ETH Zürich, „dass es veränderbar ist. Wenn es eine Mutation in den Genen gibt, kann die nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das Epigenom dagegen ist flexibel.“

Ein Film von Kurt Langbein und Andrea Eder

Korken im Wasser

ORF/Metafilm

„Schicksal“

Einer der Protagonisten des Films „Schicksal“ ist Benedikt von Ulm-Erbach. Er ist seit einem schweren Snowboardunfall im Jahr 2010 querschnittgelähmt. Der Journalist Lars Langenau von der „Süddeutschen Zeitung“ hat seine Geschichte in einem Buch mit dem Titel „ÜberLeben“ aufgezeichnet: „Wenn ich Leuten erzähle, was Überlebenswille bedeuten kann, dann ist Benedikt der Mensch, der mich am meisten fasziniert hat. Sein Satz, dass er ja noch Glück gehabt habe, weil er seinen Zeigefinger bewegen kann, hat sich tief bei mir eigebrannt.“

Gemeinsam mit Lars Langenau besucht Benedikt von Ulm-Erbach im Rahmen des Filmes mit Serfaus in Tirol erstmals jenen Ort, an dem sich sein Schicksal gewendet hat. Benedikt fährt dabei selbst mit dem Auto: „Mein Ziel war von Anfang an, so selbstständig wie möglich zu werden, und die Verantwortung dafür habe ich ganz klar bei mir gesucht. Und nicht bei jemand anderem.“

Oberflächlich betrachtet scheint es, als habe das Schicksal als lebensbestimmende Macht an Stellenwert verloren. Immer mehr von dem, was früher schicksalshaft erschien, hat der Mensch unter seine Kontrolle gebracht: Er heilt einst tödliche Krankheiten, bezwingt Naturgewalten und forscht gar an der Überwindung des Todes selbst.

Und doch bleibt vieles unserem Zugriff entzogen, bestätigt der Kirchenhistoriker Thomas Prügl von der Uni Wien. „Was immer einem Menschen passiert, er wird sich fragen: Woher kommt das? Wenn mir etwas passiert, das ich als schicksalshaft wahrnehme, glaube ich erstmal, dass das irgendwo einen Grund haben muss. Es muss eine Ursache für alles geben. Weil es den Zufall so nicht geben kann.“

Und so beleuchtet der Film unterschiedliche Schicksalsvorstellungen: Von der Idee eines unabwendbaren Schicksals, wie es König Ödipus erfährt, über die Vorstellung, dass Schicksal eine Prüfung oder gar Strafe Gottes sei, bis hin zum allgegenwärtigen „Inshallah – So Gott will“ im islamischen Kulturkreis. Zentral sei dabei die Frage, wie Leid erklärt wird, denn – so die Theologin Monika Prettenthaler – „ein allwissender Gott, ein liebender Gott, ein allmächtiger Gott geht mit dem Leid in der Welt nicht zusammen“.

Die Frage nach dem Sinn des eigenen Schicksals stellt sich auch Benedikt von Ulm-Erbach: „Ich sage sicher nicht im Nachhinein, dass ich froh bin, dass mir meine Querschnittlähmung passiert ist. Aber es sind auf jeden Fall viele Dinge geschehen, die höchstwahrscheinlich ohne den Unfall nicht passiert wären.“ Tatsächlich ist aus einer Unterstützungsaktion seiner Freunde eines der größten Benefizfußballturniere Österreichs entstanden, mit dem heute vor allem Rollstuhlsportler/innen unterstützt werden.

Auch wenn die Quantenphysik die Existenz des reinen Zufalls längst bewiesen hat, hält der Mensch doch gerne an der Vorstellung fest, dass das Leben mehr ist als Zufall, so Prof. Prügl: „Das Leben braucht das Schicksal. Das Schicksal ist die Summe der Dinge, die sich unvorhergesehen mir darbieten. Aber das Leben ist das, was ich aus dem Schicksal mache.“

Ein Film von Fritz Kalteis