Di., 13.10.2020, 22:35 Uhr, ORF 2
„kreuz und quer“
Jeden Dienstag um 22.30 Uhr in ORF 2
Ein Recht auf den Tod?
Das sensible Thema beschäftigt jedes Jahr tausende betroffene Menschen und ihre Angehörigen. Manche wünschen sich, in einem solchen Fall Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können.
In Österreich aber sind Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe grundsätzlich verboten. Hilfestellung oder Beratung, auch durch den Arzt, können als Verleitung zum Selbstmord Strafe nach sich ziehen. In anderen Ländern Europas dagegen sind Suizidbeihilfe und etwa in den Beneluxstaaten auch Tötung auf Verlangen für Menschen mit schweren tödlichen Erkrankungen am Lebensende oder auch aus anderen Gründen schwer leidenden Patienten erlaubt.
Die Diskussion wird zurzeit nicht nur in Österreich geführt. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht erst im Februar 2020 ein Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe aufgehoben, dadurch die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen legalisiert und dabei ausdrücklich festgehalten, dass einschränkende Kriterien wie schwere Krankheit und schweres Leid nicht gelten.
Kritiker in Österreich sehen diese Entwicklungen mit Sorge: Sie meinen, dass aus dem vermeintlichen Recht auf würdiges Sterben bald Druck auf Schwache, Alte und Kranke entstehen könnte, unfreiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sie befürchten einen ethischen Dammbruch und eine nachhaltige gesellschaftliche Veränderung.
Peter Beringer hat nachgefragt: bei Betroffenen, bei Ärzten, Juristen, Theologen und Ethikern, die Sterbehilfe befürworten, und solchen, die sich vehement dagegen wenden. Er zeigt, wie unterschiedlich in Europa Sterbehilfe gehandhabt wird und verdeutlicht Graubereiche und Alternativen, die es auch in Österreich gibt.
Regie: Peter Beringer
Produktion: PreTV, Nikolaus Wisiak
Redaktion: Helmut Tatzreiter
Später Frühling
Eine Liebesgeschichte
65 Jahre war Marianne mit Oswald verheiratet. Die ersten 60 Jahre waren schwierig, erst dann kam ganz plötzlich der Durchbruch in der Beziehung, der den letzten fünf Jahren eine ganz neue Qualität gab. Dann ist Oswald gestorben. Im Alter von 92 Jahren lernt Marianne Klavierspielen.
Es geht ihr nur um ein einziges Stück: „An den Frühling“ von Edvard Grieg. „Ein schwieriges Stück“, sagt ihr Lehrer Adrian Cox, Professor an der Wiener Musikhochschule. Umso schwieriger für eine 92-Jährige, die kaum mehr sehen kann.
Für Marianne ist dieses Stück eine Möglichkeit, in Kontakt mit ihrem verstorbenen Mann zu treten. „Ich weiß hundertprozentig, dass er nicht tot ist. Er ist da, wenn er will. Er will hören, wenn ich Klavier spiele.“
Oswald war strenggläubiges Mitglied der sogenannten katholisch-apostolischen Gemeinde, einer christlichen Sondergemeinschaft. „Dort ist der Mann eine Eins und die Frau eine Null“ sagt Marianne.
„Jeder andere hätte sich scheiden lassen, aber ich wusste, dass Oswald wie in einem Kokon steckt aus religiösen Regeln und Vorstellungen und ich wusste, ich liebe ihn und nicht seine religiösen Regeln.“
Es dauert 60 Jahre, bis sich Oswald aus seinem Kokon befreit. Da sind die beiden schon über 80. Sie haben 5 schöne Jahre, in denen sie sich mehr lieben als je zuvor.
Nach seinem Tod fällt Marianne in eine Depression, will nicht mehr leben. Ihre Tochter Ria, die als Therapeutin und Supervisorin arbeitet, weiß nicht mehr, wie sie ihr helfen kann. Der Arzt rät Marianne zu einem Hobby. Aber was kann man als 92-jährige blinde Frau für ein Hobby haben? Sie hatte mal eins, aber das ist lange her: Vor fast 80 Jahren lernte Marianne Klavier und konnte vom Blatt spielen.
Mariannes Tochter Ria begegnet auf einem Seminar Adrian Cox, Professor für Klavier an der Musikhochschule. „Ich dachte sofort, er könnte der richtige für Marianne sein“, erinnert sich Ria. Sie fasst sich ein Herz und fragt ihn, ob er ihrer Mutter Klavierunterricht geben würde, da gebe es nur ein Problem – sie sei über 90 Jahre alt und blind.
Als Adrian ja sagt, weiß er noch nicht, wie stur seine neue Schülerin ist; denn sie will nur „An den Frühling“ von Edvard Grieg lernen, sonst nichts. „Sie ist besessen von dem Stück“, sagt Adrian Cox.
Für das Stück habe sie sich entschieden, weil es so lebensbejahend sei und eine tiefe Weisheit in sich trage.
„Töne sind nicht einfach nur Töne, durch sie kann man miteinander in Kontakt treten“, sagt Marianne. „Mit Musik kann ich Oswald treffen, ich spüre ihn hinter mir stehen und ich weiß, dass er sich freut. Ich habe keine Angst vor dem Tod.“
Regie: Tobias Dörr
Redaktion: Christoph Guggenberger