Arik Brauer von zwei großen Gemälden im Dezember 2018
APA/Robert Jaeger
APA/Robert Jaeger
Di., 26.01.2021, 22:35 Uhr, ORF 2

„Arik Brauer. Eine Jugend in Wien“ und „Vergiss nicht deinen Namen“

In Memoriam Arik Brauer zeigt „kreuz und quer“ ein Portrait des österreichischen Universalkünstlers von Regisseurin Helene Maimann: Aufgewachsen im Arbeiterbezirk Ottakring, „wo das Leben sein wahres Gesicht zeigt“, überlebte er als jüdisches Kind in Wien die NS-Zeit, wurde nach Kriegsende leidenschaftlicher Kommunist, Bergsteiger und Sänger und unternahm als Kunststudent weite Reisen mit dem Rad durch Europa und Afrika.

Di., 26.01.2021, 22:35 Uhr, ORF 2

„kreuz und quer“

Jeden Dienstag um 22.30 Uhr in ORF 2

Ein Film, in dem Arik Brauer sein Leben erzählt. Zu Wort kommen zudem seine Frau Naomi, seine Töchter Timna und Ruth, seine Enkelin Jasmin und seine Freunde Otto Schenk und Ernst Steinkellner.

Der berühmte Maler und Musiker, Mitbegründer der Wiener „Schule des Phantastischen Realismus“, erzählt seine Kindheit und Jugend. Erich Brauer unterschied sich kaum von den Gassenbuben seiner Umgebung. Aber er wurde zutiefst geprägt von seinem Vater, einem ostjüdischen Schuhmacher, und seiner Wiener Mutter, beide überzeugte Sozialdemokraten.

Brauer wuchs mit den skurrilen und farbprächtigen Figuren der Vorstadt auf, darunter dem „Spiritus“ und dem „Froschermandl“, die er besungen und für diesen Film auch gemalt hat.

Er besuchte mit dem Filmteam erstmals wieder die Elternwohnung in einem alten Zinshaus am Ludo-Hartmann-Platz – Zimmer-Küche, Klo am Gang, in dem sich praktisch nichts geändert hat seither – und die Parks und Strassen, in denen seine Bubenbande ihr Unwesen getrieben hat.

Arik Brauer  Dezember 2018, in Wien.
APA/Robert Jäger

Seine Erinnerungen an diese Kindheit, die weitaus freier und ungebundener war als die der behüteten Bürgerkinder, sind voll Wärme und Zärtlichkeit. Diese Jahre waren eine harte Schule, die ihm aber auch das Rüstzeug zum Überleben gaben.

Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich verschwand der Vater nach Osteuropa. Brauer sollte ihn nie mehr wiedersehen. Er lernte die Tragödien der Verfolgung und die Strategien des Überlebens kennen und schaffte es, in der Tischlerei der jüdischen Gemeinde den Krieg zu überleben.

Brauer wurde aus nächster Nähe zum Augenzeugen des Schicksals der Deportierten, das ihn zum Schluss auch fast selbst getroffen hat. Er war gerade 16, als er im Winter 1945 in einem Schrebergarten am Wilhelminenberg untertauchte.

Nach dem Krieg wurde er sofort auf die Akademie der Bildenden Künste aufgenommen, stürzte sich voll Leidenschaft in den Kommunismus, den er später schwer enttäuscht hinter sich ließ, und entwickelte sich zum begeisterten Alpinisten und Schifahrer. Bis zuletzt ging er regelmäßig über die Rax und machte ausgedehnte Schitouren. Und er wurde ein Reisender, der mit dem Fahrrad quer durch alle Demarkationslinien und Grenzen Europa und Nordafrika erforschte, bevor er zum ersten Mal nach Israel aufbrach und dort seine künftige Ehefrau Naomi kennen lernte.

Brauer hatte viele Identitäten, ebenso farbig wie seine Bilder: Wienerisch, jüdisch, israelisch, kosmopolitisch, sozial engagiert. Kreativ als Maler, Musiker, Architekt, Bildhauer und Bühnenmensch. Er ist sein Leben lang ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler gewesen: In dem Film von Helene Maimann erinnert er seine Jugend in Wien, die ein Leben lang Inspiration und fester Bezugspunkt gewesen ist.

Mit ihm erzählen seine Frau Naomi, seine Töchter Ruth und Timna und zwei seiner engsten Freunde: der Schauspieler und Regisseur Otto Schenk und der Tibetologe Ernst Steinkellner. Gesungen wird natürlich auch. Gedreht wurde in Wien und Niederösterreich. Kamera: Helmut Wimmer. Schnitt: Jörg Achatz. Musik: Otto Lechner, Arik, Timna und Jasmin Brauer und das Ensemble Timna Brauer und Elias Meiri.

Sehr außergewöhnlich sind die Archivbilder, die Helene Maimann verwenden konnte und hier erstmals zu sehen sind: Darunter private Aufnahmen der Familie Baker von den Tagen des März und April 1938 in Wien, die das Holocaust Memorial Museum in Washington zur Verfügung gestellt hat.

Ein Film von Helene Maimann
Eine Ko-Produktion amourfoufilm und ORF

Robert Perels als Kind.
ORF/D5 Productions

Vergiss nicht deinen Namen

Man kann sich nicht vorstellen, was es heißt, mit einem zweijährigen Kind ohne Geld und ohne Papiere als Jüdin vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Wenn Robert Perels davon erzählt, ist es, als wäre man dabei gewesen. 1939 flieht die Mutter mit ihrem Sohn aus Wien.

In Frankreich werden sie aufgegriffen und in das berüchtigte Sammellager Drancy gebracht. Von dort gehen die Züge nach Auschwitz. Bei einem Halt auf freier Strecke gelingt es Roberts Mutter, den Stacheldraht von einer Oberlichte zu entfernen. Ihrer plötzlichen Eingebung folgend wirft die Mutter den fünfjährigen Robert aus dem Fenster.

Sie weiß, dass sie ihren Sohn nie mehr wiedersehen wird, aber sie weiß auch, dass es seine einzige Überlebenschance ist. Sekunden später setzt der Zug seine Todesreise fort. Roberts Mutter wird sofort nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet.

Der fünfjährige Robert verbringt Jahre auf der Flucht, allein, ohne irgendeinen Menschen. Immer wieder sucht das Kind nach einem Grund, warum ihn seine Mutter aus dem Zug geworfen haben könnte. Es kommt zu der Überzeugung, sie habe ihn mit ihrer Tat bestrafen wollen, weil er „schlimm“ gewesen war.

Diese Vorstellung lastet wie ein Alb auf ihm und lässt ihn verzweifeln. Erst eine Nonne in einem Schweizer Kinderheim erklärt Robert, der jede Nacht weinend im Schlafsaal liegt, dass seine Mutter ihn aus dem Zug geworfen hat, um ihn zu retten. Auf die Frage, wann sie denn kommen wird, ihn abzuholen, antwortet die Nonne hilflos: „Bald kommt sie zu Dir. Wenn der Krieg vorbei ist“.

Roberts Mutter kam nie mehr wieder.

Alles, was ihm geblieben ist, sind ein paar vergilbte Fotos. Ein hübsches, junges Paar mit dem kleinen Robert in der Mitte lächelt strahlend in die Kamera. Wenig später waren beide tot, von den Nazis ermordet, und Robert irrte ohne Schutz durch die Welt.

Robert Perels erzählt ohne Vorwurf und ohne Bitterkeit. Es ist schwer, sich seiner Lebensgeschichte zu entziehen, seinem freundlichen Gesicht und seinem Blick, der in die Kamera schaut, als würde er nach so vielen Jahren immer noch nach Antworten suchen.

Buch und Regie: Andrea Eckert
Redaktion: Christoph Guggenberger