Lexikon der Religionen:

Islamische Geschichte

Der Islam verbreitete sich schnell in der Arabischen Welt und bis nach Asien. Die politische Bandbreite von Staaten mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung war immer schon groß.

Der Islam ist in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel entstanden. Diese war durch eine tribale, nomadische Bevölkerungsstruktur und den Glauben an viele Gottheiten geprägt. Muslime bezeichnen die Zeit vor dem Islam als „Zeit der Unwissenheit“ („Dschahiliya“).

Auf der einen Seite versuchten sich die Anhänger der neuen Religion vehement vom altarabischen Polytheismus abzugrenzen, übernahmen gleichzeitig aber auch Praktiken aus Judentum und Christentum sowie auch vorislamischer Zeit, wie die Verehrung der „Kaaba“, dem muslimischen Heiligtum in der saudiarabischen Stadt Mekka.

Offenbarungserlebnis des Mohammed

Im Alter von 40 Jahren soll Mohammed (570 - 632 n. Chr.), ein Kaufmann aus Mekka, in einer Höhle am Berg Hira’ die Offenbarung durch den Erzenegel Gabriel erhalten haben. Zunächst verkündete er sein Offenbarungserlebnis innerhalb seines engeren Umfelds und geriet bald in Konflikt mit politisch und wirtschaftlich führenden Familien in Mekka.

Schließlich entschloss er sich im Jahr 622 n. Chr. mit seinen Anhängern Mekka zu verlassen und nach Medina, das damals Yathrib hieß, zu gehen. Diese Auswanderung („Hidschra“) gilt als zentraler Wendepunkt in der islamischen Geschichte und markiert das Jahr eins der Islamische Zeitrechnung. Von Medina aus gelang es Mohammed den Großteil der Stämme auf der arabischen Halbinsel für seine Botschaft zu gewinnen.

Spaltung der muslimischen Gemeinschaft

Nach dem Tod Mohammeds im Jahr 632 n. Chr. setzten seine Nachfolger die Expansion des Islam fort. Diese Jahre, die Zeit der „vier rechtsgeleiteten Kalifen“, werden im Islam als eine besonders fromme, gute und gerechte Zeit erinnert. Allerdings verlief die Nachfolge Mohammeds keineswegs friedlich sondern führte vielmehr zur Spaltung der muslimischen Gemeinschaft. Mohammed hinterließ weder einen Sohn, noch traf er Regelungen für seine Nachfolge.

Die ersten Kalifen - Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali - stammten aus dem engen Umfeld Mohammeds. Mit dem gewaltsamen Tod Uthmans brachen massive Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Parteien aus: Während eine Gruppe, die Schiiten, in Mohammeds Schwiegersohn Ali den rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds sahen, bildete sich unter Mu’awiya, ein Nachkomme Uthmans, in Damaskus eine Gegenkalifat.

Schiiten sehen sich als legitime Nachfolger von Ali

661 n. Chr. wurde Ali ermodert und Mu’awiya übernahm die alleinige Herrschaft. Damit fanden die innerislamischen Streitigkeiten jedoch keineswegs ein Ende. Die Schiiten erkannten die Herrschaft Mu’awiyas und der Umayaden auch nach Alis Tod nicht an, sondern forderten, einen Nachfahren Alis in das Kalifenamt einzusetzen.

Bis heute sehen die Shiiten in den Nachfahren Alis die legitimen Nachfolger des Propheten. Die Schlacht von Kerbala im Jahr 680, in der Hussein, ein Sohn Alis, ums Leben kam, besiegelte schließlich die Spaltung der muslimischen Umma in Sunniten und Schiiten.

Mehrheit der Muslime sind Sunniten

Die überwiegende Mehrheit – zwischen 85 und 90 Prozent – der Muslime bekennen sich heute zum sunnitischen Islam, welcher in sich unterschiedliche Strömungen und Rechtsschulen (Hannafiten, Schafiiten, Hanbaliten, Malikiten) kennt. Shiiten leben vor allem im Iran, Irak, im Oman, Aserbaidschan, dem Libanon und Bahrain. Auch im shiitischen Islam gibt es unterschiedliche Gruppierungen, die größten sind die Ismailiten und die Zaiditen.

Die islamische Expansion unter den Umayyaden

Mit den Umayyaden übernahm 661 n. Chr. die erste Kalifendynastie die Macht. Von Damaskus aus regierten sie fast 100 Jahre das Arabische Reich. Unter ihrer Herrschaft dehnte sich die islamische Herrschaftssphäre über die Iberische Halbinsel bis an die Grenzen des Frankenreiches aus. Im Osten expandierte der Islam bis nach Indien.

Das Ziel der muslimischen Expansion war es nicht, die Bevölkerung der eroberten Gebiete zur Konversion zum Islam zu zwingen. Vielmehr wurden Anhängern anderer monotheistischen Religionen – Juden, Christen und Zoroastriern – besondere Rechte eingeräumt und die freie Religionsausübung zugesichert. Im Gegenzug mussten Nicht-Muslime („Dhimmis“) eine Abgabe („Dschisya“) entrichten.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein basierte das Verhältnis der muslimischen Herrscher und ihrer nicht-muslimischen Untertanen auf dem Konzept dieser Regelung, der „Dhimma“. Dennoch war für viele die neue Religion mit ihren sozialen Regeln und Aufstiegschancen attraktiv und so verzeichnete der Islam einigen Zulauf, insbesondere seitens der christlichen Bevölkerung. Auch die arabische Sprache setzte sich immer mehr durch und verdrängte indigene Sprachen wie Aramäisch und Koptisch.

500 Jahre Abbasiden-Kalifat

Mit der Abbasidendynastie verlagerte sich Mitte des 8. Jahrhunderts das Machtzentrum von Damaskus nach Bagdad, von wo die Abbasiden die islamische Welt über 500 Jahre regierten. Unter den Abbassiden wurde die islamische Welt in kultureller und politischer Hinsicht komplexer und heterogener. Sprachliche und kulturelle Einflüsse kamen insbesondere aus dem Iran, aber beispielsweise auch von den nordafrikanischen Berbern. So verlor der Islam allmählich seinen rein arabischen Charakter und entwickelte sich zur Weltreligion.

In politischer Hinsicht fragmentierte sich die Gemeinschaft der Muslime. Zwar konnte das Kalifat von Bagdad die Macht bis zur mongolischen Invasion im Jahr 1258 halten, allerdings gelang es den Umayyaden, auf der Iberischen Halbinsel und in Nordafrika ein Gegenkalifat zu etablieren. Zudem setzten sich lokale Sultanate durch: Besonders einflussreich waren die Fatimiden im heutigen Ägypten, die Seldschuken und Ayyubiden im Nahen Osten und die Idrissiden und Almohaden in Nordafrika.

Zwar unterstanden alle Sultane nominell dem Kalifat von Bagdad, de facto regierten sie ihre jeweiligen Territorien jedoch selbstständig. Damit gehörte die Idee eines einheitlichen islamischen Reiches sowie eines zentralistischen Kalifats der Vergangenheit an.

Blütezeit des Islam

Die Zeit der Abbasiden im Osten und der Umayyaden im Westen gilt als kulturelle Blütezeit des Islam, in der sich eine islamische Wissenschaftstradition herausbildete. Neben dem religiösen Recht entwickelte sich auch eine reiche weltliche Wissenschaftskultur. Bedeutende Grundlagenwerke zur Mathematik, Philosophie, Medizin, Physik und Astronomie entstanden in arabischer Sprache und fanden durch Übersetzungen ins Lateinische auch Eingang in europäische Wissensdiskurse des Mittelalters. Insbesondere in Andalusien gab es einen intensiven Austausch zwischen muslimischen, jüdischen und christlichen Gelehrten.

Der Weg in die Moderne

Im ausgehenden 15. Jahrhundert begannen sich drei Großreiche herauszubilden, die in den folgenden Jahrhunderten die islamische Welt prägen sollten. Im Iran setzten sich die schiitischen Safawiden durch, die Großmogulen herrschten in Indien und die Osmanen, Nachkommen des turkmenischen Stammesführers Osman, etablierten von Konstantinopel aus eine Großmacht, die über 600 Jahre weite Teile Kleinasiens, Südost-Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikas dominierte.

Kolonialismus und Ausprägung von Nationalstaaten

Die islamische Welt der Neuzeit ist vor allem durch den Kolonialismus und die spätere Herausbildung unabhängiger Nationalstaaten geprägt. Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befand sich nahezu die gesamte islamische Welt von Marokko bis nach Malaysia unter europäischem Einfluss, sei es direkt als Kolonie oder aber indirekt durch wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten.

Der intensive Kontakt mit Europa beeinflusste die islamische Kultur sowohl im Profanen wie im Religiösen und führte zur Herausbildung unterschiedlicher Reformbewegungen. So wurde beispielsweise über eine Reformierung des islamischen Rechts ebenso diskutiert wie die Modernisierung von Bildung und Erziehung.

Politischer Wandel rund um den Zweiten Weltkrieg

Durch die massive Präsenz europäischer Großmächte in verschiedenen islamischen Ländern waren diese auch direkt und indirekt in das Kriegsgeschehen des 20. Jahrhunderts involviert. Besonders radikal war der politische Wandel für die islamisch geprägt Welt während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

So kam es zur Teilung Indiens und Pakistans, zur Unabhängigkeit vieler arabischer Staaten, wie Ägypten und Irak, sowie zur Staatsgründung Israels. Viele Staatsbildungsprozesse verliefen blutig, wie in Algerien. Auch Revolutionen wie die im Iran 1978 oder in der arabischen Welt 2011 sorgten immer wieder für eine Erschütterung und die Umkehr bestehender Machtverhältnisse.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September sind vor allem radikale Strömungen im Islam in das mediale Interesse der westlichen Welt gerückt. Die islamische Welt im 21. Jahrhundert präsentiert sich allerdings sehr heterogen und divers, geprägt durch eine Vielzahl von politischen Gruppen, Sprachen und kulturellen Partikularitäten.

In 50 Staaten Mehrheitsreligion

Heute gibt es weltweit fast 50 Staaten in denen der Islam die Mehrheitsreligion ist, darunter Monarchien, Demokratien und Diktaturen. Es gibt wirtschaftlich arme Länder wie den Sudan und Somalia und sehr reiche Staaten, wie beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate. Es gibt säkulare Länder, wie Aserbaidschan und die Türkei und Staaten, wo die „Scharia“ auch das Zivilrecht bestimmt, wie in Saudi Arabien und im Iran.

Buchhinweise:

  • Albert Hourani: Die Geschichte der arabischen Völker. Fischer Taschenbuch Verlag, 640 Seiten.
  • Reinhard Schulze: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. C.H. Beck, 469 Seiten.

Weitere Übersichtsartikel zum Islam

Siehe dazu auch im ORF-Religionslexikon: